Demonstrationsrecht und gewaltfreier Widerstand
aus: vorgänge Nr. 62/63 (Heft 2-3/1983), S. 3-8
1. Es gibt im wesentlichen zwei Anlässe, sich aktuell mit den Fragen des Demonstrationsrechts und des gewaltfreien Widerstand zu befassen und sich seitens der Bürgerrechtsorganisationen noch mehr als bisher dieser Fragen anzunehmen.
Zum einen ist es das nun schon jahrelang anhaltende, mal stärker, mal schwächer werdende Kesseltreiben insbesondere der CDU/CSU und ihrer Trabanten gegen die Freiheit der Demonstration. Dieses Kesseltreiben beschränkte sich nicht darauf, strafrechtsverschärfende und Demonstrationsrecht einschränkende Gesetzentwürfe vorzulegen. Es bestand auch in habhaften Fangergebnissen in einer politisch-bürokratischen und polizeilichen Dauerbehinderung von Demonstrationen und dem Versuch, die Teilnahme an Demonstrationen auch zum finanziellen Risiko werden zu lassen. Nun, da die neue Regierungskoalition mit den Bundestagswahlen im März 1983 bestätigt worden ist, scheint die Zeit vollends reif, zum Halali auf die Demonstrationsfreiheit zu blasen. Teilnehmerinnen und Teilnehmer an Demonstrationen sollen hinfort wissen, daß sie straf- und zivilrechtliche Sanktionen riskieren. Ihnen wird gegebenenfalls kräftig in die Tasche gegriffen, und zugleich wird ihre bürgerliche Freiheit bedroht.
Der andere Anlaß besteht in der Zuspitzung der Auseinandersetzungen um die sogenannte »Nachrüstung« (also die Aufstellung neuer amerikanischer atomarer Mittelstreckenraketen Pershing II und Cruise Missiles auf bundesdeutschen Boden). Wenn die »Nachrüstungs«-Absicht nicht gänzlich von US-amerikanisch-bundesdeutschen Regierungs- und Rüstungsbetreibern zurückgenommen wird und hierfür bestehen, je näher der geplante Stationierungstermin heranrückt, um so geringere Chancen dann ist zu erwarten, ja dann ist alles zu tun, daß vielfältige Oppositionshandlungen in großem Umfange gegen die Installierung der neuen Raketen unternommen werden: Demonstrationen; Streikhandlungen und Verweigerungen aller Art; gewaltfreie Blockaden von Standorten der Raketen u.ä.m. Dann ist allerdings auch zu erwarten, daß die gegenwärtige Regierung und ihre Organe nahezu kein Mittel unbenutzt lassen werden, um ihre einmal getroffene Entscheidung durchzusetzen. Ein Konflikt und seine Eskalation stehen in Aussicht, vor dem einem nur angst und bange werden kann, denkt man an die politischen und humanen Kosten und ist man nicht fasziniert von der schauerlichen Kampfesästhetik und dem Ersatz von Kommunikation durch Gewalt.
Diese beiden sich überschneidenden Anlässe sind Motiv genug, sich des Themas der Legimität und der Legalität von Demonstrationen zu widmen und darüber nachzudenken, welche Formen der Auseinandersetzung angesichts welcher Ziele gerechtfertigt scheinen. Was hat es also mit dem gewaltfreien Widerstand auf sich? Warum ist die Gewaltfreiheit des Widerstands angezeigt, wenn die menschenvernichtenden Waffen notfalls nur mit Gewalt an ihrer Installierung verhindert werden zu können scheinen?
Diese Fragen muß man immer erneut aktuell klären, wenn eine Demonstrationen bevorsteht, wenn man dieser oder jener staatlichen Maßnahme opponiert oder wenn man sich gar dazu entscheidet, ein Gesetz als »gesetzliches Unrecht« (G. Radbruch) zu begreifen und deswegen zu brechen. Aber dies ist nicht genug. Gerade wenn Einzelnen und Gruppen daran gelegen ist, die perspektivlose herrschende Politik zu überwinden, dann müssen sie selbst die Ziele ihres Handelns, seine Formen und die Kriterien derselben genau bedenken. Und sie müssen, wieder anders als die herrschende Politik und ihre machtblinden Repräsentanten, in der Lage sein, diese Ihre Ziele, ihre Handlungsformen und Kriterien in aller Öffentlichkeit zu vermitteln und zu rechtfertigen. Gerade hierin besteht eine der vornehmsten Wirkungschancen aller Oppositon, wenn es ihr um mehr geht, als um einen Machtkampf. In der Durchsichtigkeit und überprüfbaren Giaubwürdigkeit eigenen Handelns, im radikalen Ernstnehmen auch der Bürgerinnen und Bürger, die den eigenen Zielen (noch) ablehnend gegenüberstehen und sich auch deswegen auf die Seite der mächtigen Mehrheit schlagen, liegen die entscheidenden positiven Wirkungschancen unseres friedenspolitischen Engagements.
2. Demonstration und Demokratie sind nicht Zweige des gleichen Wortstammes. Aber sie sind in ihrer Substanz der gleichen Wurzel entwachsen. Diese Wurzel heißt: Gleichheit und Freiheit, Würde, Wert und Beteiligungschance jeder und jedes einzelnen. Diese Wurzel heißt, voll von Verheißung, eine Gesellschaft, die den Bedürfnissen aller soweit wie möglich gerecht wird, die Konflikte ohne Gewalt zu lösen imstande ist und die keine Herrschaftsapparate entstehen läßt, die aus einer bürgerlichen Gesellschaft eine Gesellschaft der Mächtigen und Ohnmächtigen, der Selbstbewußten und der Entfremdeten, der Reichen und der Armen machen.
Die Form der repräsentativen Demokratie, wie sie vom Grundgesetz vorgegeben ist, läßt die Demokratie in einem sehr eingeschränkten und bewußt sparsamen Maße verwirklichen. Demokratie ereignet sich hier prinzipiell mittelbar. Die politischen Teilnahmemöglichkeiten des Bürgers sind zum einen auf den öffentlichen Bereich und zum anderen auf Randzonen beschränkt. Nur in Wahlen kann sich der Bürger direkt beteiligen. Hier aber nur mit Hilfe eines individuell-isolierten Stimmrechts, das zwischen den Wahlperioden die »Herrschaft auf Zeit« (‚I’h. Heuss) inthronisiert. Der Bürger ist zwischen den Wahlperioden als Aktiver kaum gefragt. Wenn er in den Parteien aktiv ist, muß er nicht nur zur »Ochsentour« (J. Leber) bereit sein. Er wird sehr schnell wieder auf die Wahl von Delegierten und die Verteilung von parteilichem Werbematerial beschränkt sein.
Die repräsentative Demokratie, wie sie vom Grundgesetz begründet wurde, dessen Formulierer, wie man nicht zu unrecht gesagt hat, vom Mißtrauen gegenüber dem Volk erfüllt waren, ist durch die herrschende Praxis seit 1949 noch erheblich verengt worden. Parlamentarismus und Mehrheitsentscheidung wurden geradezu absolut gesetzt; die dem Verfassungsschutz dienliche, vom Bundesverfassungsgericht 1952/56 konstruierte Formel der »freiheitlich demokratischen Grundordnung« stellt jegliches Darüber-hinaus-denken unter den Verdacht der »Verfassungsfeindlichkeit«. Auch dies ein höchst wirksamer Begriff, den man vergeblich im ohnehin übermäßig mißtrauischen Grundgesetz sucht. Die Gefahr, daß Parteien und Parlamente den bürgerlichen Interessen gegenüber mehrundmehr abstrakt bleiben, ist längst Ereignis geworden. Die parlamentarisch-parteistaatliche Demokratie ist »nach unten« hin verstopft. Moderne Medien und Meinungsbefragungen werden zu den hauptsächlichen Vermittlungsorganen und Konstrukteuren der Wirklichkeit, die die politischen Repräsentanten allenfalls noch wahrnehmen.
Um so wichtiger ist es, daß die grundrechtlich verbürgten Institutionen frei und ungehindert bleiben, die als Korrektiv, als Ventil und als Unruhe des erstarrten und eingerosteten etablierten Willensbildungsmechanismus dienen: die Meinungsfreiheit, die Freiheit zu organisieren und sich Organisationen anzuschließen, das Streikrecht und nicht zuletzt das Recht, überall und jederzeit, mit allen Gleichgesinnten, im Hinblick auf jede beliebige Sache zu demonstrieren. Der Freiheit zu demonstrieren, gebührt als einer Art Verkörperlichung der Meinungsfreiheit, die die Freiheit der Kritik und der Opposition mit einschließt, ein besonderer demokratischer Adel. Im Korsett der repräsentativen, bürokratisch verharschten Demokratie ist sie eines der letzten grundrechtlich gewährleisteten Schlupflöcher, durch das sich der Souverän, das Volk, überall, wo Teile des-selben es wollen, winden, spontan sich äußern und dieser Äußerung durch ihre eigene physische Präsenz Nachdruck verleihen kann. Die Demonstrationsfreiheit ist gewissermaßen ein letztes Nachwehen von Volksversammlungen und unmittelbarer Demokratie.
Weil dem so ist, darf die Freiheit zu demonstrieren nicht auch noch ihrerseits dauernd eingeengt, in Verordnungen gezwängt und so unter behördlich-polizeiliche Vorbehalte, gestellt werden, woduch Demonstrationen allen spontanen, allen sperrig-korrektiven Charakter verlieren würden: Solange aber Demonstrationen noch Fermente der Spontanität und des Korrektivs behalten, werden sie auch, anders denn geordnete Aufmärsche und straff geführte Versammlungen, von den Vertretern der etablierten Institutionen scheel und mißtrauisch beäugt und möglichst restriktiv behandelt werden.
Seit Mitte der sechziger Jahre (die Urspünge liegen in den damaligen Ostermärschen der Atomwaffengegner) hat die Bundesrepublik Deutschland einen überraschenden Aufschwung in demokratischen Formen erlebt.. Demonstrationen aller Art, nicht mehr vergleichbar mit den parteilichen Massenaufmärschen wurden zum täglichen Ereignis. Diese Demonstrationen, Anfang der siebziger Jahre die vornehmste Form der neu entstehenden Bürgerinitiativen, zeigten negativ auf die Defizite des verstockt verstopften parteilich-parlamentarischen Verfahrens; sie wiesen aber auch positiv darauf hin, daß die Chancen der bundesdeutschen Demokratie, im Kalten Krieg nahezu erfroren, wieder größer geworden waren. Der basisdemokratische Aufbruch der siebziger Jahre (nach den Ostermärschen und den Protestbewegungen Ende der sechziger Jahre) wäre ohne die steigende Zahl der Demonstrationen und ihre häufigsten Organisatoren, die Bürgerinitiativen, nicht denkbar. Diese Demonstrationen lassen sich mit der herkömmlichen eher autoritären denn demokratischen gesetzlichen Eile, die sich auch noch im Versammlungsgesetz von 1953 findet, nicht mehr messen. Sie sind teils klein, teils in die Zehn- und Hunderttausende gehend groß. Sie werden meist nicht von einem oder wenigen Veranstaltern geplant. die genau wissen, wie sie verlaufen werden. Sie rinnen vielmehr aus Hunderten von Initiativen zusammen und werden durch keine mächtige Organisation, die ihre eigene parteiförmigen Ordner stellt, geleitet. Sie leiten sich, zusammengehalten durch gemeinsame Ziele und basisdemokratische Überzeugung, je nach Objekt, fast von selbst.
Was wunder, daß diese Demonstrationen vielen Vertreten herrschender Institutionen unangenehm geworden sind. Sie sind ihnen unangenehm, weil sie meist für andere Ziele eintreten als die offizielle Regierungspolitik, also ökologische Ziele, abrüstungspolitische u.ä.m. Sie sind ihnen aber vorallem deswegen oft mehr als nur ein Dorn im Auge, weil sie eine andere Form der Willensbildung und der Überzeugung anderer Bürgerinnen und Bürger benutzen, als die übliche abgehobene, oft auch manipulative und autoritäre. Die parteilich-parlamentarische Willensbildung ist von der Distanz zur Bevölkerung gekennzeichnet. Also wird versucht, diesen unangenehmen Bürgerinitiativen und Demonstrationen, die so oft die Grünen-Tisch-Pläne aIs unreif erwiesen haben, mit vielerlei Mitteln das Wasser abzugraben. Man versucht, sie, da sie so viele Anhänger und Mitmachende gefunden haben, wenn es nicht anders geht, mit so vielen Hindernissen zu umgeben, daß sie ins Straucheln geraten. Und man versucht, diejenigen, die sich eine Teilnahme an Demonstrationen überlegen, abzuschrecken. Jedoch, allen Diffamierungen, Einschüchterungen und Kriminalisierungen zum Trotz, hat sich die urdemokratische Instanz der Demonstration in den letzten Jahren ausgeweitet und mit der Friendensbewegung ein solches Ausmaß erreicht, daß man aus der Herrschaftssicht mancher Politiker sogar verstehen kann, daß sie nun daran gehen wollen, das Demonstrationsrecht bis zur Unkenntlichkeit zu verstümmeln.
3. Die geplante Stationierung neuer US-amerikanischer atomarer Mittelstreckenraketen (Pershing II, Cruise Missiles) auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland wäre ein leichtes, gäbe es diese »verdammten« Demonstrationen und die in ihnen steckende Kraft weiterer Mobilisierung nicht. Dies macht aber zugleich unter der Prämisse der Grundrechte und der Demokratie klar, warum das Demonstrationsrecht gehütet werden muß, fast als sei es unser Augapfel. Denn in der Tat sind Demonstrationen, Versammlungen unter freiem Himmel, wie es im Gesetz heißt, die von der Verfassung vorgesehene Form, die sich nicht ohne weiteres institutionell kanalisieren läßt. Hier hat der noch nicht gebändigte Volkssouverän das Wort.
Die Freiheit der Demonstration als Grundrecht zu hüten, eine Freiheit, die notwendig unter-schiedliche Formen der Demonstration ein-schließt, heißt aber ein dreifaches:
Zum einen gilt es, die Liberalisierung des Demonstrationsrechts (und teilweise auch der gerichtlichen Praxis), die 1970 als Folge der Erfahrung mit der Protestbewegung der sechziger Jahre stattgefunden hat, zu verteidigen. Gegen die neuerlich eingebrachten rechtlichen Einengungen, aber auch insbesondere gegen die längst praktisch unterhalb der Gesetzesschwelle erfolgten Kürzungen (polizeiliche Auflagen, Verbote, Gerichtsurteile u.ä.m.).
Zum zweiten wäre es falsch, den Kampf um die Freiheit der Demonstrationen nur defensiv zu führen. Nicht weil der veraltete militärische Spruch, Angriff sei die beste Verteidigung, nun zivilistisch übersetzt, weiter gälte. Vielmehr läßt sich zeigen, daß Demonstrationsrecht in der vom Bundestag 1953 verabschiedeten gesetzlichen Auslegung des Versammlungsgesetzes dem Versprechen des Grundgesetzes und seinem Verfassungssinn nicht entsprechend gestaltet worden ist. Der Bundestag hat seinerzeit einer Vorstellung von »Versammlungen unter freiem Himmel« gefrönt, die man allenfalls als vor- oder nachdemokratisch bezeichnen kann. Solche Versammlungen wurden von vornherein unter polizeilichen Sicherheitsgesichtspunkten betrachtet, als klar geführte und einheitlich geleitete Aufmärsche und Aufzüge konzipiert. Das spontan-unorganisierte, nicht vonvornherein institutionell sichtbare Element entbehrte die Konzeption des Gesetzes vollkommen. Heute wird nun versucht, diese ungebärdigen Demonstrationen der siebziger und der bisherigen achtziger Jahre erneut ins Gehege eines noch restriktiver gefaßten Versammlungsgesetzes zu pressen. Das ist grundgesetzlich unzulässig. Grundgesetzlich gefordert ist vielmehr eine Angleichung des Versammlungsgesetzes an die demokratisch unabdingbare Funktion von Demonstrationen.
Zum dritten aber gilt die Pflicht, die Freiheit der Demonstrationen wie den eigenen Augapfel zu hüten, auch reflexiv, das heißt für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an Demonstrationen und ihnen gegenüber. So sehr die Formenvielfalt des Demonstrierens allen Schematisierungsversuchen gegenüber zu verteidigen ist, so sehr ist eine klare und eindeutige Grenze zu akzeptieren. Diese Grenze heißt Gewalt. Physische Gewalt gegen andere Personen, auch Polizeibeamte, ist auszuschließen. Für sie gibt es keinen legitimen Grund. Physische Gewalt gegen Sachen ist auf ein unvermeidliches Minimum zu beschränken. Alle willkürliche Zerstörung ist auszuschließen. Wir formulieren diese Pflicht, auf Gewalttätigkeit zu verzichten, bewußt scharf und kompromißlos.
Allzuoft wird die »Gewaltfrage« ausgeklammert. Man will keinen Streit im eigenen, ohnehin minderheitlichen Lager. Man scheut auch verständlicherweise die Häme und die politischen Ausbeutungsabsichten der Vertreter etablierter Institutionen und Medien. Man will auch richtigerweise solche Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die doch Gewalt üben, nicht der unmäßigen Strafjustiz ausliefern. Obwohl das letztere zu vermeiden ist, gibt es in Sachen nötiger Kompromißlosigkeit im Hinblick auf die Gewaltmittel keine Ausflucht. Es geht nicht an, für die Sache des Friedens kompromißlos einzutreten, aber in den eigenen Formen ängstlich nach Formelkompromissen Ausschau zu halten und sich wie Politiker, die großen Koalitionen angehören, zu benehmen. Dazu sind die Ziele zu wichtig. Friedensbewegung muß ansteckend sein. Sie wird dies, wenn sie Frieden ausstrahlt, auch in ihren Methoden. Das erfordert aber, für den Frieden nur mit friedlichen Mitteln einzutreten, die die Unversehrtheit der Andersdenkenden achten.
4. Die Freiheit der Demonstration ist grundgesetzlich größer als es herrschend zugestanden wird. Fallen aber noch Formen des zivilen Ungehorsams und des gewaltfreien Widerstands darunter?
Will man die Verfassungsinterpretation, ganz jenseits der herrschenden Meinung, nicht unmäßig weiten, dann wird man nicht behaupten können, Formen des zivilen Ungehorsams, also spezifischen Gesetzesbruchs u.a. ließen sich noch ohne weiteres ins Recht auf Demonstration einfügen. Richtig ist, daß auch Formen des zivilen Ungehorsams (und des gewaltfreien Widerstands als einer Sonderform) gleichfalls demonstrative Akte darstellen. Sie zielen auf Meinungsbildung; sie wollen auf diejenigen, die bestimmte Gesetze erlassen und Maßnahmen ergreifen (wie z.B. die Forcierung des atomaren Wettrüstens) einwirken. Mit den Formen zivilen Ungehorsams intensiviert man allerdings die Art der Demonstration, man riskiert wie beim gewaltfreien Widerstand sich selbst. Richtig ist auch, daß es Situationen gibt, in denen Formen zivilen Ungehorsams und gewaltfreien Widerstands im Rahmen einer demokratisch verfaßten Gesellschaft legitim sind. Diese Situation ist in der Bundesrepublik heute angesichts der geplanten Stationierung der Pershing II und Cruise Missile zweifelsohne gegeben. Hier sollen vor dem Hintergrund einer zweifelhaften Regierungsentscheidung neue atomare Mittelstreckenraketen installiert werden, die das Risiko der Gefährdung aller Menschen, die in diesem Lande leben, nicht kalkulierbar erhöhen.
Aber so sehr auf die im Grundgesetz begründete Legitimität zu pochen ist, so wenig kann doch davon ausgegangen werden, daß Aktionen zivilen Ungehorsams in den einzelnen Artikeln des Grundgesetzes vorgesehen sind. Insofern kann es auch um des zivilen Ungehorsams und gewaltfreien Widerstands willen nicht darum gehen, diese Paragraphen förmlich zu institutionalisieren und ihnen ihren ungewöhnlichen Stachel zu nehmen. Formen des zivilen Ungehorsams sind vielmehr aus der demokratischen Gesamtverfassung heraus begründbar, aber immer erneut begründungspflichtige Ausnahmen von der normalen Handlungsregel und ihren Grenzen. Läßt sich aber die demokratische Legitimität auch infolge der übermäßig verengten repräsentätiven Demokratie und angesichts einer nicht mehr aufhebbaren Entscheidung, zu der die Bürgerinnen und Bürger nicht gefragt wurden, strikt begründen, ist auch gegen alle justizförmige Verfolgung von Aktionen zivilen Ungehorsams anzugehen. Damit die A-Normalität nicht zur Regel werde, muß bei begründeter anomaler Aktion vielmehr die Regel verändert werden. Das heißt auch: eine Regierung, die ihr Gewaltmonopol dazu nutzt, demokratische Rechte einzuschränken und existentielle sowie die Zukunft festlegende Entscheidungen wie die raketenstationierung herrschaftlich durchzusetzen, müssen wir lehren, gewaltfreie Formen der bürgerrechtlichen Auseinandersetzung, wie sie von Gandhi bis Martin Luther King entwickelt worden sind, in ihrer Legitimität anzuerkennen.
Wir empfehlen die ausführlichen Broschüren „Demonstrationsrecht und gewaltfreier Widerstand“ (DM 7) und „Friedensbewegung zwischen Gewalt und Gewaltfreiheit“ (DM 5), erhältlich bei Komitee für Grundrechte und Demokratie, An der Gasse 1, 6121 Sensbachtal.