Der Republikanische Richterbund
Eine Buchbesprechung, zugleich Rückblick und Ausblick auf konservative Juristenvereinigungen
aus: vorgänge Nr. 62/63 (Heft 2-3/1983), S. 179-182
Birger Schulz: »Der Republikanische Richterbund (1921 – 1933)«, Verlag Peter Lang, Frankfurt am Main 1982, 211 S., 47 SFR.
Man liest diese Dissertation mit gemischten Gefühlen. Verdienst des Verfassers ist es einerseits, anhand zum Teil schwer auffindbarer Quellen die Geschichte des Republikanischen Richterbundes (RR) zusammenhängend dargestellt zu haben. Hieraus ergeben sich für den kundigen Leser einige verblüffende Parallelen zur Organisationsgeschichte heutiger Juristenvereinigungen. Diese Folgerungen sind so interessant, daß das Büchlein jedem der vergleichsweise wenigen rechtshistorisch und rechtspolitisch interessierten Juristen empfohlen sei.
Andererseits greift die politische Bewertung dieser Vorgänge durch den Autor meines Erachtens oft zu kurz. Das wäre durch einen Einblick in die Wurzeln der Entstehung des Nationalsozialismus und einen grundlegenderen Ausblick über das Verhalten der Justiz im Nationalsozialismus zu vermeiden gewesen. Vielleicht mache ich den Fehler, von einer Dissertation zuviel zu verlangen. Ich meine aber, es wäre schon hilfreich gewesen, wenigstens die Arbeit von Hans Wrobel, Der Deutsche Richterbund im Jahre 1933 (KJ 1982, S. 323ff), heran-zuziehen eine Arbeit, die in dem sonst sehr guten Literaturverzeichnis fehlt. Doch kann es sein, daß Schulz sie bei der Ablieferung seines Manuskripts an den Verlag noch nicht kennen konnte.
Auch stören kleinere Ungenauigkeiten, die sich vielleicht hätten vermeiden lassen. Dafür nur ein Beispiel: Der Republikanische Anwaltsverein heißt auch nach der von Schulz benutzten Quellen nicht »Republikanischer Anwaltsbund«; er ist keineswegs »zur Erinnerung an den Republikanischen Richterbund« gegründet worden, sondern mit sehr konkret beschriebenen verfassungspolitischen und in diesem Rahmen auch gesellschafts- und berufspolitischen Zielen (S. 16). Übrigens gab es auch in der Weimarer Zeit vorübergehend einen »Republikanischen Anwaltsverein«, über dessen Geschichte freilich nichts bekannt ist.
Der Republikanische Richterbund hatte sich ganz ähnliche Ziele gesetzt wie heute der Republikanische Anwaltsverein. Er lehnte es ab, Standesvertretung zu sein. Er betrachtete sich als »Verfassungsverein« und setzte sich ein »politisch neu interessiertes Richtertum«, Unterstützung der Justizreform, Kritik an Miß-ständen in der Justiz und Verwaltung und ein Vertrauensverhältnis des Volkes zur Rechtspflege »auf der Grundlage der demokratischen Republik« zum Ziel. Nach § 1 seiner Satzung erstrebte er »den vollen Einklang des Rechts mit der republikanischen Staatsordnung«.
In diesen Zielen sah der die Masse der Richter umfassende Deutsche Richterbund (DRB) einen Anschlag auf seine Hauptforderung der »Entpolitisierung der Justiz«. Darunter verstand der DRB, daß eine Parteinahme für die republikanische Staatsform unzulässig sei. Doch muß hinzugefügt werden, daß unter dem Deckmantel richterlicher Unabhängigkeit auch eine antidemokratische Gesinnung herrschte. Der zeitweise an der Spitze des DRB stehende Senatspräsident am RG Reichert gab 1930 als das »höchste Ziel« des DRB an, Recht zu sprechen nicht etwa im Sinne der Republik, sondern »zu Nutz und Frommen des Deutschen Volkes«, wobei die DRB-Richter für sich in Anspruch nahmen, dieses »wahre« Recht besser als die Legislative zu kennen, sich zugunsten des »wahren Rechts« von der Bindung an das positive Recht zu lösen und als oberste Kontrollinstanz »die hohen sittlichen Güter des Volkes« zu betreuen.
Daß dieses alles ein bloßer Deckmantel war für eine pointiert politische Haltung, wurzelnd in Nationalsozialismus und Republikfeindlichkeit, hatte sich schon im zweierlei Maß gezeigt, mit dem die Strafjustiz über rechte und linke Gewalttäter urteilte, sowie der Republik, ihren Emblemen und ihren Repräsentanten den justiziellen Schutz versagte. Es zeigte sich vor allem aber schon im Frühjahr 1933.
Jeder Richter wußte damals aus Hitlers Ankündigung im Ulmer Reichswehrprozeß, daß er, sobald an die Macht gekommen, einen neuen Staatsgerichtshof zur Sühne der »November-Verbrechen 1918« einrichten würde, damit »Köpfe in den Sand rollen«. Ebenso war bekannt, wie Hitler, Göring und Frank 1932 auf die Urteile gegen die fünf Nazi-Schläger reagiert hatten, die nachts in Potempa in die Wohnung eines Kommunisten eingedrungen waren, um ihn angesichts seiner Mutter und seines Bruders brutal zu ermorden nämlich indem sie Aufhebung dieses »Schreckensurteils« durch Eingriff des Reichskanzlers von Papen in die unabhängige Rechtspflege verlangt hatten. Ferner hatten am 11. März 1933 SA-Leute das Gerichtsgebäude in Breslau gestürmt, den Abbruch von Verhandlungen erzwungen, jüdische Richter und Rechtsanwälte verprügelt und aus dem Gericht hinausgeworfen. Eine Woche später aber, am 19. März 1933, begrüßte das Präsidium des DRB das verbrecherische Regime unter anderem mit den Worten: »Der Deutsche Richter war von jeher national und verantwortungsbewußt. Stets war er von sozialem Empfinden erfüllt, er hat nur nach Gesetz und Gewissen Recht gesprochen. Daß muß so bleiben! Der Deutsche Richterbund bringt der neuen Regierung volles Vertrauen entgegen.« Fünf Tage zuvor, am 14. März, hatte der Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen beschlossen (und das hatte die Zeitschrift des DRB selbst abgedruckt): »Die Deutschen Gerichte, einschließlich des Reichsgerichts sind von Richtern und Beamten fremder Rassen unverzüglich zu säubern… Schon jetzt ist allen fremdrassigen Anwälten, die als eingeschriebene Mitglieder marxistischer Parteien, also der SPD und KPD angehört haben, die Zulassung sofort zu entziehen. Das Gleiche gilt natürlich auch für die marxistisch gesinnten Richter…« Dazu Hitler in der Begründung des Ermächtigungsgesetzes am 23. März 1932: »Unser Rechtsleben muß in erster Linie der Erhaltung der Volksgemeinschaft dienen. Der Unabsetzbarkeit der Richter auf der einen Seite muß die Tatsache gegenübergestellt werden, daß im Mittelpunkt des Rechts nicht das Individuum, sondern das Volk steht. Landes- und Hochverrat sollen künftig mit barbarischer Rücksichtslosigkeit unterdrückt werden.« Hierauf richtete der DRB, wie übrigens auch die Mitglieder des Reichsgerichts, eine Dankadresse an Hitler.
Daß der konservative DRB der Forderung des RR nachdrücklich entgegentrat, in einem demokratisch-republikanischen Staate müsse auch die Rechtspflege republikanischen und demokratischen Geistes sein, hält Schulz aus Art. 130 1 RV für begründet, weil dort bestimmt war, daß die Beamten Diener der Gesamtheit, nicht einer Partei sein sollten; die Gesamtheit hätte aber keineswegs mit großer Mehrheit hinter der Republik gestanden, sondern ein Teil habe geradezu in verfassungszulässiger Weise die Wiedereinführung der Monarchie angestrebt. Ich halte diese verfassungsrechtliche Auslegung für ebensowenig vertretbar, wie die Bewertung der Urteilschelte des RR-Vorsitzenden Kroner an der berüchtigten Magdeburger Entscheidung, in der dem Reichspräsidenten Ebert Landesverrat angekreidet wurde. Schulz hält Kroners »ätzende Kritik« für »Entgleisungen«. Er meint, damit und auch mit anderen Justizkritiken hätte sich der RR selbst »ins Abseits« gebracht. Schulz billigt zwar die Ziele der RR, meint aber, man hätte ihn besser garnicht gegründet, sondern stattdessen republikanische Opposition innerhalb der konservativen Richtervereinigungen betrieben (S. 190f). Das aber ist angesichts der literarisch aufgearbeiteten und durch Beispiele belegten (vgl. etwa Holtfort, Die berufständische Anwaltsorganisation, in KJ 1978 S. 376ff) gruppenpsychologischen Methoden, mit denen reaktionäre oder konservative Juristenorganisationen die innerverbandliche Opposition mit einem Mantel des Schweigens zuzudecken pflegen, eine naive und falsche Spekulation. Aufgrund dieser Erfahrungen haben sich eben die aus dem konservativen Lager geradezu heraus-getriebenen Oppositionellen auch heute wieder zum Zusammenschluß in eigenen Gruppierungen genötigt gesehen, zum Beispiel Fachgruppe Richter und Staatsanwälte in der Gewerkschaft ÖTV »Richterratschlag« und Republikanischer Anwaltsverein (RAV).
Vergleicht man deren Entstehungsgeschichte mit der des Republikanischen Richterbundes, so wird deutlich, wie wenig sich in 60 Jahren in der deutschen Juristenschaft verändert hat. Heute wie damals werden Juristenvereinigungen, die die Verteidigung des Verfassungsprogramms und bürgerlicher Freiheiten gegen den Staat auf ihre Fahne schreiben, von den konservativen Juristen als politische Kampfverbände verabscheut, während das eigene autoritäre Gesellschaftsverständnis unter einer angeblich unpolitischen Verpackung der wirtschaftlichen Interessenvertretung, der Pflege des Gemeinsinns und des rechtswissenschaftlichen Geistes verborgen wird. Heute wie damals werden die Gründer der alternativen Vereinigungen der Eigensucht verdächtigt. Wie der Preußische Justizminister es 1922 nachdrücklich ablehnte, auch nur einen Vertreter zur Reichskonferenz des RR zu entsenden, so 1980 der Bayerische zur 4. Zusammenkunft der alternativen Strafverteidiger in München.
Heute wie damals wirken allerdings auch die republikanischen Juristenvereinigungen wie ein Hecht im Karpfenteich der Konservativen. Daß zum Beispiel der Deutsche Anwaltverein, der bis zur Gründung des RAV im Jahre 1979 jede aus der Hysterie der Terroristenbekämpfung herrührende Beschränkung der Freien Advokatur gelassen hingenommen, wenn nicht gar gebilligt hatte, sich neuerdings gegen eine weitere Verkürzung der Verteidigerbefugnisse zur Wehr setzen will, wäre wohl ohne die Arbeit des RAV schwerlich denkbar.
Allerdings gibt es heute auch einen Unterschied zur Weimarer Zeit, der nachdenklich stimmt. Die gesellschaftspolitisch außerordentlich wichtigen Auseinandersetzungen zwisehen den politisch für eine freiheitlich-demokratische Republik kämpfenden und den ihr gleichgültig oder kritisch gegenüberstehenden »unpolitischen« Juristen fanden in der Weimarer Republik die gespannte Anteilnahme der Medien und der Parlamente. Die für Schulz verwertbaren Quellen sind zum großen Teil Zeitungsberichte und Parlamentsprotokolle. Unsere heutige Öffentlichkeit hingegen steht dem Kampf um des Demokratieverständnis in einem sozial so einflußreichen Berufsstand vergleichsweise uninteressiert gegenüber.
Den Mitgliedern des Republikanischen Richterbundes, die damals als kleine Minderheit ohne Rücksicht auf die eigene Person und zum Teil wie der später im KZ ermordete Wilhelm Kroner von der Mehrheit ihrer Berufsgenossenschaft geradezu geächtet wurden, die überhaupt dem Terror des SS-Staates einen hohen Blutzoll entrichteten, ist mit dieser Kieler Dissertation erstmals ein Denkmal gesetzt. Der Rezensent hätte sich zwar ein leuchtenderes gewünscht, doch ist dieses besser als gar keines.