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Spenden­aufruf für einen Demon­s­tra­ti­ons­rechts­fonds

aus: vorgänge Nr. 62/63 (Heft 2-3/1983), S. 189-191

1. Auf der Jahrestagung im April 1983 in Frankfurt, die unter dem Thema stand »Demonstrationsrecht und gewaltfreier Widerstand«, hat das Komitee für Grundrechte und Demokratie einstimmig beschlossen, einen Demonstrationsrechtsfonds zur Rechtshilfe und anderweitigen Unterstützung für Betroffene zu gründen.

2. Dieser Demonstrationsrechtsfonds ist angesichts der Aushöhlung des Demonstrationsrechts durch staatliche Instanzen notwendig geworden. Das Grundrecht auf Demonstration, im Grundgesetz Artikel 8 Versammlungsfreiheit genannt, ist einer der Eckpfeiler der Demokratie. Dieses Grundrecht ist in einer primär repräsentativ-parlamentarisch organisierten Demokratie ein unabdingbares Korrektiv. Der politische Souverän, das Volk, kommt in dieser Demokratie fast nur noch über Wahlen des Parlamentes vermittelt zur Geltung. Um so wichtiger ist es, daß das Volk oder Teile des Volkes jederzeit und ohne auf bestimmte Formen vorab festgelegt zu sein, außer dem Element der Gewaltfreiheit, zu allen Fragen seiner Interessen demonstrativ sich versammeln und Stellung beziehen kann.

3. Schon das geltende Versammlungsgesetz, das die im Grundgesetz Artikel 8 Absatz 2 vorgesehenen näheren gesetzlichen Bestimmungen konkretisiert, verwendet einen ungemäß eingeschränkten Begriff der Demonstration. Auf Grund der normativen Kraft des Faktischen, nämlich der neuen Demonstrationsformen seit Mitte der sechziger Jahre, und der normativen Kraft des Normativen, nämlich der unmißverständlichen Forderung des Grundgesetz-Artikels 20 Absatz 1 (»Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat«), in Verbindung mit Grundgesetz Artikel 5 Absatz 1 (»Jeder hat das Recht, seine Meinung… frei zu äußern und zu verbreiten…«), ist die Praxis der Gerichte zum Teil erheblich über ein grundrechtswidriges verengtes Verständnis der Demonstration als Akte des politischen Souveräns hinausgegangen. Nicht ohne Grund wird gegenwärtig durch das Bundesverfassungsgericht geklärt, ob der immer noch geltende Begriff der Versammlungsfreiheit im Sinne des Versammlungsgesetzes grundrechtskonform ist. Außerdem hat der Deutsche Bundestag 1970 eine allgemeine Amnestie für vorgängige »Demonstrationsdelikte« beschlossen und eine Korrektur des Strafgesetzbuches dort vorgenommen, wo die Demonstrationsfreiheit unverhältnismäßig eingeschränkt wurde; insbesondere durch einen bis 1970 geltenden weiten Begriff des Landfriedens.

4. Seit Jahren werden erneut gesetzliche Einschränkungen der Demonstrationsfreiheit diskutiert. Die CDU/CSU, die die neue Bundesregierung führt, hat sich hierbei hervorgetan. Seit Jahren wird immer erneut versucht, mit Hilfe polizeilicher Praktiken, die politisch zu verantworten sind, das Demonstrationsrecht faktisch einzuschränken. Diese Versuche haben im Verlaufe verschiedener Großdemonstrationen geradezu symptomatischen Charakter angenommen (zum Beispiel Kalkar, Gorleben, Brokdorf, Startbahn West). Sie sollen dazu dienen, von der Teilnahme an Demonstrationen abzuschrecken und die Selbstverständlichkeit dieses demokratischen Urrechts in Zweifel zu ziehen.

Diese rechtlichen und zunächst vor allem die praktischen Schritte, dazu angelegt, das Demonstrationsrecht zu verkürzen, haben in letzter Zeit eine neue Qualität erhalten. Die niedersächsische Landesregierung und Ende des letzten Jahres die baden-württembergische Landesregierung haben beschlossen, den staatlichen Schutz des Grundrechtes ins Gegenteil zu verkehren. Wer das Grundrecht auf Demonstration wahrnimmt, muß befürchten, von den staatlichen Instanzen, als handle es sich um private, deren Hilfe man ungebührlich in Anspruch genommen hat, zur Kasse gebeten zu werden. Teilnahme an Demonstrationen wird monetär bestraft; zum Teil mit erklecklichen Summen. Polizeistunden und Materialkosten werden berechnet und den ermittelten Teilnehmern von Demonstrationen, wenn sie politisch nicht ins herrschende Passeppartout passen, als Rechnungen ins Haus geschickt. Ihre Bezahlung wird erzwungen.

Zu diesem unerhörten Vorgang der staatlich inszenierten Privatisierung eines Grundrechts gesellt sich die von der neuen Bundesregierung angekündigte Gesetzesänderung. Der einschlägige Paragraph, der den Landfriedensbruch regelt, soll erneut so ausgeweitet werden, daß jede Teilnahme an einer Demonstration, die im herrschenden Sinne nicht vollkommen friedlich verläuft, strafrechtlich geahndet werden kann. Wie die Praxis aussehen könnte, zeigt auch das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts zu Frankfurt in Sachen Alexander Schubart. Jeder Aufruf und jede Teilnahme an Demonstrationen kann hiernach als Nötigung interpretiert und entsprechend geahndet werden.

5. So wie sich die Bürgerinitiativen, Friedensgruppen und ähnliche mehr basisdemokratisch und dezentral organisiert haben, so bestehen bereits auch zahlreiche Unterstützungs- und Solidaritätsfonds auf lokaler oder regionaler Ebene. Auf diese lokalen und regionalen Solidaritätsaktionen und entsprechenden Finanzierungen kann nicht verzichtet werden.

Dennoch werden auch an das Komitee für Grund-rechte und Demokratie — in letzter Zeit zunehmend — Hilferufe gerichtet. Sei es in Fällen, in denen die lokalen Fonds überfordert sind, sei es, daß ein lokaler Fonds nicht existiert.

Es ist zu befürchten, daß im Zuge der Verschärfung der Konflikte (Stationierung der Pershing II und Cruise Missiles ab Herbst 1983) und zugleich durch grundrechtswidrige und dennoch durch die herrschende Rechtsmeinung sanktionierte Einschränkungen der Demonstrationsfreiheit die Teilnahme an einer demonstrativen Aktion mehr noch als bisher zum Risiko für den einzelnen Teilnehmer wird. Wir dürfen uns dadurch nicht einschüchtern lassen, und auch das Komitee für Grundrechte und Demokratie wird das ihm Mögliche dazu beitragen, gegen grundrechtswidrige Einschränkungen der Demokratie in diesem Lande anzugehen. Es gilt, für die Freiheit der Demonstration zu demonstrieren.

Der Demonstrationsrechtsfonds des Komitees für Grundrechte und Demokratie wird nicht im geringsten in Konkurrenz treten zu lokalen und regionalen Solidaritätsfonds. Er ist aber als übergreifender Fonds heute dringender denn je erforderlich, um zum Beispiel dann unterstützend einzugreifen, wenn es um Grundsatzprozesse geht, wenn Einzelne herausgegriffen und exemplarisch strafrechtlich verfolgt und/oder finanziell in Anspruch genommen werden sollen und ähnliches mehr.

Nicht zuletzt wollen wir mit dem Demonstrationsrechtsfonds ein Zeichen setzen gegenüber politischen und juristischen Instanzen, die sich den politischen Konflikten mit Bürgerinnen und Bürgern dadurch zu entziehen suchen, daß sie Demonstrationen und ähnliche Aktionen durch Diffamierung, KriminaIisierung, Einsatz staatlicher Gewaltmittel und Kostenbescheide o.ä. einschränken oder gar unterbinden wollen.

6. Die Verfügung über den Demonstrationsrechtsfonds obliegt einem Vergabeausschuß, dem ein Kuratorium zur Seite steht. Der Vergabeausschuß: Helga Einsele, Wolf-Dieter Narr, Klaus Vack. Das Kuratorium: Heinrich Albertz, Karola Bloch, Helmut Gollwitzer, Robert Jungk, Horst-Eberhard Richter und Dorothee Soelle. Vergabeausschuß und Kuratorium werden eine Verfahrensordnung über die Regelung von Unterstützungen aus dem Demonstrationsrechtsfonds festlegen und die beschlossenen Kriterien allen Interessenten zugänglich machen.

7. Das Komitee für Grundrechte und Demokratie ruft alle auf, auch diejenigen, die nie an einer Demonstration teilgenommen haben, sich durch Spenden und Bürgschaften an dem Demonstrationsrechtsfonds zu beteiligen. Spenden – die leider nicht steuerlich abzugsfähig sind – können überwiesen werden an Komitee für Grundrechte und Demokratie — Sonderkonto Demonstrationsrechtsfonds, 6121 Sensbachtal, bei Volksbank Oberzent eG., 6124 Beerfelden, Konto-Nr. 20024619, BLZ 50861401. Bürgschaften sollten ab DM 500— aufwärts gegenüber dem Demonstrationsrechtsfonds schriftlich erklärt werden; die Bürgschaften werden dann, wenn sie in Anspruch genommen werden müssen, mit einer Information über den konkreten Verwendungszweck zur Zahlung angefordert.

Adresse: An der Gasse 1, 6121 Sensbachtal.

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