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Werden Berufs­ver­bote wieder sichtbar?

vorgängevorgänge 62-6306/1983Seite 100-106

aus: vorgänge Nr. 62-63 (Heft 2-3/1983), S. 100-106

In dieser Republik reden allenfalls noch ein paar Betroffene oder Experten über Berufsverbote, sonst aber gilt des Berufsverbotsproblem als Ladenhüter – viele zucken die Achseln und meinen nicht erst seit dem 6. März 1983, daß Berufsverbote irgendwie zu dieser Republik gehören. Die neue Bundesregierung hat interessanterweise in den Koalitionsverhandlungen nicht den Versuch unternommen, für diese Legislaturperiode möglicherweise die politische Treuepflicht für Angehörige des öffentlichen Dienstes verschärfen zu wollen. Bundesinnenminister Zimmermann bekam einen »Prüfantrag« — mehr nicht.

Aus diesen beiden Beobachtungen lassen sich zwei gegensätzliche Schlußfolgerungen ziehen. Die eine könnte lauten, daß insgesamt eine Liberalisierung stattgefunden hat, was einschließen müßte, daß ein politisches Engagement in der Friedens-, Ökologie- oder Frauenbewegung zu keinen Berufsverboten führt. Die andere Version könnte lauten, daß die Berufsverbotspraxis nur scheinbar liberalisiert worden ist, die Liberalisierung also eine optische Täuschung darstellt und zu jeder Zeit wieder aktiviert wird, wenn die Gefahr neuer sozialer Bewegungen offenkundig ist. Ich will nachfolgend die zweite Variante belegen und mit der Schilderung von zwei aktuellen Berufsverbotsfällen beginnen, die eine gewisse Verschiebung der Berufsverbotsproblematik erkennen lassen.

1. Berufs­verbot wegen Aktivitäten in der Friedens­be­we­gung / Ökolo­gie­be­we­gung?

a) Der Fall Michael Reher (Berlin)

Seit Septemer 1980 ist Michael Reher als Honorar-Referent am Gesamtdeutschen Institut (Berlin) tätig.

Das Gesamtdeutsche Institut ist eine dem Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen nachgeordnete Bundesbehörde. Zu ihren Aufgaben zählt der »Besucherdienst«, eine »Pflichtanlaufstelle« für alle Berlin-Besucher-Gruppen, die mit staatlicher Förderung anreisen.

Die »Gewaltfreie Aktion Berlin«, der Arbeitskreis »Ohne Rüstung leben« und die »Alternative Liste Berlin« riefen für den Ostersonntag (1983) zu einer gewaltfreien Blockade der Zufahrtstraße zu der US-Radarstation auf dem Teufelsberg im Grunewald auf. Michael Reher beteiligte sich an dieser gewaltfreien Blockade, die im Zusammenhang mit weiteren Blockade-Aktionen und Ostermärschen in der Bundesrepublik den Widerstand gegen die »Nachrüstung« zum Ausdrück bringen und gegen die Aufrüstung in Ost und West Stellung beziehen sollte. Aufgrund dieser Blockade wurde Michael Reher mit weiteren 153 Personen vorübergehend von der Berliner Polizei festgenommen.

Die Teilnahme an der gewaltfreien Blockade-Aktion führte — ohne mögliche aber bis heute nicht eingetretene juristische Konsequenzen abzuwarten — zum Beschäftigungsverbot für den Referenten des Gesamtdeutschen Instituts. Aus der expliziten politischen Kündigung wurde kein Hehl gemacht: Die Teilnahme an der Demonstration sei mit dem Bildungsauftrag des Instituts unvereinbar.

b) Der Fall Langer (Ulm)

März 1977: Zulassung zum Vorbereitungsdienst für das Lehramt an Gymnasien nach Anhörung durch das Oberschulamt Stuttgart wegen ehemaliger KBW-Mitgliedschaft. Juni 1978: Zweites Staatsexamen mit »gut« bestanden; erneute Anhörung wegen angeblicher KBW-Tätigkeiten.

8. 8. 1978: Übernahme in den Schuldienst als Beamter auf Probe und Ernennung zum Studienassessor durch das Oberschulamt Tübingen; Dienstantritt an der Ferdinandvon-Steinbeis-Schule (Gewerbliche Berufsschule II) in Ulm.

Herbst 1979: Auseinandersetzung zwischen GEW-Kollegen und Schulleiter an der Steinbeis-Schule um die Frage der Unterrichtsbesuche — OStDir Schmid beharrt auf seiner bisherigen Praxis unangesagter Unterrichtsbesuche entgegen eines anderslautenden Erlasses des Ministeriums für Kultus und Sport (MKS), der die Regelankündigung von Unterrichtsbesuchen vorsieht.

Jan./Feb. 1980: L. steht zur (vorzeitigen) Anstellung als Studienrat und Verbeamtung auf Lebenszeit an; bei einem Unterrichtsbesuch Konflikt zwischen Schulleiter Schmid und L., L. verlangt »genaue Einhaltung des MKS-Erlasses« daraufhin Beschwerde S’s bei OSA Tübingen: L. »neigt zu Überreaktionen«.

Beurteilung eines OSA-Beauftragten: L. »besitzt gute pädagogische und methodische Fähigkeiten, …Unterrichtserfolg … positiv«, Note »gut bis befriedigend«; Dienstbeurteilung des Schulleiters S.: »begabter, eingagierter Lehrer«, Note »gut«.

März – Juli 1980: OSA Tübingen und MKS lehnen trotz erbrachter fachlicher Leistungen und des Nachweises der gesundheitlichen Eignung L’s Lebenszeitverbeamtung wegen bestehender »Anstände« ab.

März 1981: Erneute Unterrichtsbesuche als Grundlage für eine Dienstbeurteilung; Schmid bestätigt Langer gegenüber dessen »gute Lehrbefähigung«, kündigt jedoch weitere Unterrichtsbesuche an, da er aus L. »nicht schlau« werde; als L. gegen diese Praxis protestiert, Beschwerde S’s ans OSA Tübingen: L. »hat tiefsitzende panische Angst vor Unterrichtsbesuchen, …Verdacht, auch anderen Belastungsfällen nicht gewachsen (zu sein) (erhebliche) Zweifel an seiner Persönlichkeitsqualität«.

April 1981: Aufforderung des OSA Tübingen an das Staatliche Gesundheitsamt Ulm unter Bezugnahme auf die Beschwerden des Schulleiters, L. erneut auf seine gesundheitliche Eignung hin zu untersuchen, gegebenenfalls unter Einholung fachärztlicher Gutachten (!).

April-Juni 1981: L. bittet des OSA Tübingen mehrmals um schriftliche Auskunft über Rechtsgrundlage der o.g. Aufforderung, nachdem doch bereits im Februar 80 seine gesundheitliche Eignung eindeutig festgestellt wurde; OSA verweist schließlich auf eine diesbezügliche allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Landesbeamtengesetz; Wahl Langers in den Personalrat der Steinbeis-Schule.

September 1981: Schreiben des MKS: Verlängerung der Probezeit, da L’s »Bewährung für das höhere Lehramt insbesondere in gesundheitlicher Hinsicht noch nicht festgestellt werden (konnte)«; Auseinandersetzung L’s mit den Schulleitern Schmid und Schaible (R. Bosch-Schule Ulm) wegen seiner Teilnahme als Pressesprecher der GEW Alb-Donau an einer Pressekonferenz der IG Metall zur Lernmittelfreiheit an Ulmer Berufsschulen; Beschwerde S’s ans OSA Tübingen, obwohl L. sich — auch beamtenrechtlich — völlig korrekt verhalten hat.

März/April 1982: Gesundheitliche Eignung L’s durch amtsärztliche Untersuchung bestätigt; erneuter Unterrichtsbesuch und Dienstbeurteilung durch Schulleiter Schmid: »…gute geistige, fachliche und pädagogische Begabung, …’Vollblutpädagoge`, …infolge seines lebhaften gesellschaftskritischen Engagements fällt ihm… Objektivität und Ausgewogenheit schwer«, Note: »befriedigend«.

11. Juni 1982: Schulfest an der F.-v.-Steinbeis-Schule; gegen 0.30 Uhr versucht der Beauftragte der Schulleitung, OStR Greiner, das Fest durch Entfernen eines verbliebenen halbvollen Bierfasses zu beenden und fordert u.a. den für das Fest mitverantwortlichen Verbindungslehrer L. zur Mithilfe auf; auf dessen Entgegnung: »ich find‘ das nicht gut, was ‚Sie machen« reagiert Greiner mit einer schriftlichen Beschwerde beim Schulleiter Schmid, die dieser ans OSA Tübingen weiterleitet; daraufhin:

17. August 1982: Einleitung von Vorermittlungen gemäß § 24 Landesdisziplinarordnung gegen Langer wegen Verdacht eines Dienstvergehens; Kern der Vorwürfe des OSA Tübingen: Verletzung der Pflicht, den Anordnungen eines Vorgesetzten Folge zu leisten; dadurch Stopp des bereits laufenden Verfahrens der Lebenszeitsverbeamtung und der Ernennung zum Studienrat.

7. September 1982: MKS verlängert erneut Probezeit (bis zum 8. 8. 83); weist OSA Tübingen gleichzeitig an, »darüber zu entscheiden ob bereits aus (L’s) seitherigem Verhalten (seine) mangelnde Bewährung für den Schuldienst gefolgert und deshalb (seine) Entlassung ausgesprochen werden muß«.

8. 10. 1982: Schulleiter S. fragt Schüler der Klasse 13 hinter dem Rücken L’s über des-sen Unterricht und politische Gesinnung aus.

14. 10. 1982: Unangesagter Unterrichtsbesuch durch zwei Beamte des OSA Tübingen bei L.; dabei intensive Untersuchung von L’s Unterrichtsmaterialien.

5. 11. 1982: Erweiterung der Vorermittlungen gemäß § 24 LDzO; Vorwürfe: politisch unausgewogener Unterricht, Fehlverhalten als Verbindungslehrer und Drogenbeauftragter, Nichtentfernen von Flugblättern der Friedensbewegung aus Schulräumen, Verletzung der Pflicht zur Amtsverschwiegenheit, Verletzung der Friedenspflicht als Personalrat.

24. 11. 1982: 15 Ordner mit L’s Unterrichtsmaterialien ohne dessen Wissen aus einem Schrank in seinem Lehrerzimmer von Schulleiter S. »im Auftrag des Herrn Präsidenten des OSA Tübingen… in Verwahrung genommen«.

22. 12.1982: Erneute Erweiterung der Vorermittlungen gemäß § 24 LDzO: »Verdacht, daß (L.) einen unausgewogenen einseitigen Unterricht (hält); …(Unterrichtsmaterialien lassen) eine bestimmte politische Richtung erkennen; …(L’s) Unterrichtsgestaltung (ist) insgesamt von dieser politisch und gesellschaftskritisch geprägten Einstellung getragen und damit unausgewogen«. Vorgeworfen wird dem Lehrer, daß er unter anderem folgendes Material zum Unterricht verwendet hat:

  • bei einer Erörterung zum Theme Ökologie Veröffentlichungen aus »Südwest Presse«, »Stern«, »Spiegel«.
  • zum Unterrichtsthema »Argumentation« Berichte und Leserbriefe aus der »Südwest Presse« über den Stand der Homosexuellen in der Hirschstraße.
  • die »Stern«-Veröffentlichung »Deutschland erwache« über Rechtsradikale. Auf dieser Liste erscheint auch Loriots Satire »Eine Bundestagsrede«.
    Vorgehalten wird dem Lehrer auch die Verwendung eines Zeitungsberichtes aus der »Südwest Presse« zum Thema Startbahn West Frankfurt.

14. 1. 1983: GEW Alb-Donau geht mit dem »Fall Langer« an die Öffentlichkeit. 1.2. 1983: Solidaritätsveranstaltung von DGB, IGM, GEW Ulm/Alb-Donau für L. mit ca. 250 Menschen.

Mitte Februar 1983: OSA »reicht« Bericht über Unterrichtsbesuch vom 14. 10. 1982 »nach«; Beurteilung: »mangelhaft«; Beanstandungen: »unausgewogen«, »gesellschaftskritisch«, »mangelnder Lehrplanbezug« etc.

Erweiterung der Vorermittlungen: Verstoß gegen die Pflicht zur Amtsverschwiegenheit, »Flucht in die Öffentlichkeit«. – 25.2: 1983: Vorläufige Dienstenthebung; aus der Begründung: »Herstellung der Öffentlichkeit, Gefahr der Solidarisierung unter Lehrern und Schülern, Störung des Schulfriedens«.

c) Fragen

Wichtig für unseren Zusammenhang ist, daß in beiden Fällen das politische Engagement in den neuen sozialen Bewegungen als expliziter oder nachgeschobener Grund eine entscheidende Rolle für die jeweiligen Fälle spielen. Das nährt die plausible Vermutung, das Engagement für die Friedens- und Ökologiebewegung präventiv zu diskriminieren und das Engagement unter das Verdikt beruflicher Nachteile zu stellen. Zum zweiten ist bemerkenswert, daß die Gründe für die Berufsverbote offen genannt werden. Man hätte die Nicht-Übernahme oder das Beschäftigungsverbot — wie in den letzten Jahren in fast allen Bundesländern üblich — ja auch damit begründen können, daß im Moment weniger Aufträge für das Gesamtdeutsche Institut vorliegen bzw. nicht alle Lehrer nach ihrer Ausbildung übernommen werden könnten. Aber die explizite politische Begründung macht möglicherweise darauf aufmerksam, daß Berufsverbote als praktische
Politik wieder ihren sichtbaren disziplinierenden Status zurückerhalten könnten. So wichtig indessen diese Fälle sein mögen, sind die nicht doch Extrem-Fälle, die wenig typisch für die augenblickliche Berufsverbote-Landschaft sind? Versuchen wir deshalb knapp den Stand der Berufsverbotspraxis und seine jüngste Entwicklung zu skizzieren.

2. Libera­li­sie­rung eine optische Täuschung (1979—1981)

Wir gehen von der Hypothese aus, daß die »Liberalisierung« der Berufsverbote aus folgenden Gründen eine optische Täuschung ist:

Die »Liberalisierung« der Berufsverbotspraxis traf zeitlich mit dem vorläufigen Abschluß einer gesellschaftlichen Entwicklung zusammen, die das politische Instrument Berufsverbot derzeitig überflüssig gemacht hat. Die »Liberalisierung« konnte aus sich selbst heraus keine politische Wirkung erzeugen, sondern stellt den »erfolgreichen« Abschluß der Berufsverbotspraxis seit Anfang der siebziger Jahre dar: politische Disziplinierung und Selbstdisziplinierung.

Der »Liberalisierung« vorgelagert war eine Anzahl von Faktoren und Bedingungen, die eine Lockerung der Berufsverbotspraxis politisch ungefährlich und opportun erscheinen ließ:

  • Der Rückgang des studentischen politischen Engagements und der Verfall studentischer politischer Organisationen (1974 bis 1976) muß fast zwangsläufig einen Rückgang potentiell von Berufsverboten Betroffener ergeben. Die Berufsverbote wurden deshalb 1979/80 praktisch weitgehend überflüssig;
  • die Berufsverbotspraxis hat die Bereitschaft zum politisch organisierten Engagement der Studenten beeinträchtigt;
  • der arbeitsmarktpolitische Einbruch 1974/75 und in den folgenden Jahren hat beruflich und politisch Perspektivlosigkeit zugleich bewirkt und berufliche Positionen im öffentlichen und halböffentlichen Sektor weniger attraktiv gemacht;
  • die »Wertigkeit« des Studiums und der Ausbildung hat abgenommen. Gerade die politisch Engagierten haben sich alternativen Arbeits- , Lebens- und Politikformen zugewandt, die auf eine demokratische Selbstverwaltung und eine bewußte Distanz zur gegenwärtigen Struktur von Politik und Gesellschaft ausgerichtet sind;
  • diese Entwicklung wird durch die hochschulpolitischen Restriktionen studentischen Engagements verschärft, die insbesondere seit Mitte der siebziger Jahre die demokratische Beteiligung zur Farce machen.

Das Fazit ist simpel und plausibel. Die »Liberalisierung« wollte eine fehlgeleitete politische Praxis zu einem Zeitpunkt korrigieren, als die Wirkung der Berufsverbotspraxis im Zusammenhang mit den arbeitsmarkt- , bildungspolitischen und sozialisationsbedingten Veränderungen schon so weit fortgeschritten waren, daß nicht mehr sehr viel verboten werden mußte. Überanpassung an den Fachkanon der Hochschulen oder Aus-stieg aus den Hochschulen markieren die extremen Punkte, die deutlich machen, daß politisches Engagement für alle diejenigen zur »Fehlanzeige« wird, die sich um eine Stelle im öffentlichen Dienst bemühen. Das Berufsverbot hat alle institutionellen Hoffnungen auf politische Veränderungen in der beruflichen Praxis für den großen Teil der politisch motivierten jungen Generation vorerst begraben. Sie versuchen, ihr politisches Engagement oft unter Aufgabe ihrer beruflichen Perspektiven in den weiten Bereichen der politischen Alternativbewegung einzubringen. Diejenigen, die sich heute noch um eine öffentliche Anstellung bemühen, haben sich entweder sehr bewußt oder unbewußt vorher angepaßt oder haben allenfalls noch Vorstellungen vom minimalen politischen Spielraum. Ein offenes politischen Engagement ist die Ausnahme.

Das macht einsichtig, warum die Berufsverbotsfälle quantitativ seit 1979/80 rückläufig sind. Nach dem von uns im Rahmen einer Studie des Komitees für Grundrechte und Demokratie aufbereiteten Befund, sind im Zeitraum 1979 – 1981 noch ca. 400 Fälle anhängig. Die Vorhaltungen und Erkenntnisse beziehen sich auf Parteiämter und/oder Kandidaturen in »verfassungsfeindlichen« Parteien und Gruppen. Die Maßnahmen richten sich überwiegend gegen Bewerber, jedoch ist der Anteil der bereits im öffentlichen Dienst Beschäftigten an den Betroffenen mit gut einem Drittel relativ hoch. Die Betroffenen üben meist Berufe im Schul- und Hochschulbereich aus, mit weitem Ab-stand folgen Bedienstete bei Bahn und Post. Die Rechtsprechung bis 1981/82 ist von einer Zementierung der Berufsverbote durch Erweiterung des Behördenspielraums, Einschränkung der gerichtlichen Kontrolle und eine Vereinheitlichung der Rechtsprechung gekennzeichnet. Das läßt sich vor allem an dem Beurteilungsspielraum der Einstellungsbehörde hinsichtlich der politischen Eignung konkretisieren. Der Begriff »’Zweifel an der Verfassungstreue‘ hat dabei nur den Sinn, daß der für die Einstellung Verantwortliche im Augenblick seiner Entscheidung nach den ihm zu diesem Zeitpunkt zur Verfügung stehenden Erkenntnismitteln nicht überzeugt ist, daß der Bewerber seiner Persönlichkeit nach die Gewähr dafür bietet, nach Begründung eines Beamtenverhältnisses je-derzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung einzutreten. Die Feststellung, daß der Beamtenbewerber ein ‚Verfassungsfeind‘ ist und daß er darauf ausgeht, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen… ist zur Verneinung der Gewähr der Verfassungstreue nicht erforderlich… Da bereits berechtigte Zweifel an der Verfassungstreue die Ablehnung eines Beamtenbewerbers rechtfertigen, reicht es in der Regel aus, daß der Dienstherr sie auf feststellbare und festgestellte äußere Verhaltensweisen eines Bewerbers stützt und wertend auf eine möglicherweise darin zum Ausdruck kommende innere Einstellung zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung schließt« (BVerwG nach NJW 81; 1387).

3. Wieder sichtbare Berufs­ver­bot­s­pra­xis?

Über den Stand der Berufsverbotspraxis 1983 Aussagen zu machen erscheint ungleich schwieriger als für die zurückliegende Zeit. Die Materialbasis ist völlig unzureichend, nicht zuletzt deshalb, weil Berufsverbote von wenigen Ausnahmen abgesehen ein UnThema sind, das selbst früher engagierte Journalisten kaum noch zur Berichterstattung anregt. Eine telephonische Umfrage bei 20 Stadtteilzeitungen ergab das aufschlußreiche Ergebnis, daß sich kaum einer der Redakteure zuständig erklärte und die wenigen vorhandenen Berufsverbotsfälle nur dann zur Berichterstattung kommen, wenn eine politische Disziplinierung im Zusammenhang mit schul- , ökologie- oder friedenspolitischen Aktivitäten erfolgt.

Fragt man nach aktuellen Veränderungen der Berufsverbotspraxis, so läßt sich bei aller Vorsicht eine Entwicklung absehen, die einerseits auf eine fast komplette »Pazifizierung« des Problems hinausläuft und andererseits eine neue Virulenz wahrscheinlich macht.

Die fast komplette Pazifizierung ist vorallem dadurch erreicht, als die leeren öffentlichen Kassen nur noch eine Rekrutierungsquote von 10 – 15% der jeweiligen Absolventenjahrgänge zulassen und die Einstellungsbehörden ihren Spielraum bei zweifelhaft erscheinenden Bewerbern in ungeahnter Weise ausschöpfen können. Gleichzeitig hat die fehlende berufliche Perspektive im öffentlichen Dienst die Vorstellung verstärkt, sich auf ganz andere Lebens- und Arbeitsformen einzustellen. Der öffentliche Dienst wird immer weniger als real existierendes Berufsfeld antizipiert. Auf der anderen Seite ist eine neue staatliche Präventionsstrategie auszumachen, insbesondere Anhänger und Sympathisanten der Friedens- und Ökologiebewegung unter den Bewerbern und den Beschäftigten zu selektieren und mit expliziten politischen Begründungen Berufs- und Beschäftigungsverbote zu verhängen. Allein 1983 sind — ganz im Gegensatz zu 1979 – 1981 — 24 Fälle dieser Kategorie aufgetaucht. Gerade das zunehmende Engagement von Sozialarbeitern, Lehrern, Hochschullehrern u.a. in der Ökologie- und Friedensbewegung läßt es als wahrscheinlich erscheinen, daß die Zahl der Disziplinarverfahren jetzt dramatisch zunehmen wird. Die Teilnahme an gewaltfreien Blockaden gegen die Stationierung von Raketen könnte den Kollisionspunkt darstellen, wo die Mäßigungspflicht der öffentlichen Bediensteten mit der konservativen Vorstellung vom Eintreten für die freiheitlich-demokratische Grundordnung erneut aufeinander prallen. Die Berufsverbotspraxis würde sich demnach von den zahlenmäßig rückläufigen Einstellungen auf die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes verlagern. Die dargestellten Fälle sind ein erster Beleg dafür und nicht mehr! Es steht zu vermuten, daß die Disziplinarverfahren auch ohne die Entfernung aus dem öffentlichen Dienst mittelfristig ihre pazifizierenden Wirkungen haben werden.

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