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Der Friedens­no­bel­preis und die Friedens­aus­sichten in Zentra­l­ame­rika

aus: vorgänge Nr. 91 (Heft 1/1988), S. 6-10

Im Rückblick auf die vergangenen zwei Jahrzehnte erscheint es keineswegs ungewöhnlich, daß das norwegische Nobelkomitee das Prestige seines Friedenspreises gezielt einzusetzen versucht, um bedeutsame friedensorientierte Initiativen und Entwicklungen zu würdigen, deren Erfolg noch nicht gesichert ist. So war es im Falle der Preisverleihung an die nordirische Friedensbewegung, an Sadat / Begin und an Kissenger / Le Duc Tho. Auch mittels der Person des costaricanischen Präsidenten Arias wurde jetzt eine Friedensinitiative ausgezeichnet, deren Realisierung zum Zeitpunkt der Bekanntgabe der Entscheidung noch ganz am Anfang stand.

So muß in der Vergabe des hochangesehenen Preises an Oscar Arias über die Anerkennung von dessen persönlicher historischer Leistung hinaus zweifellos ein politisches Votum und ein moralischer Stimulus für den Anfang August in Esquipulas / Guatemala von den fünf zentralamerikanischen Präsidenten unterzeichneten Friedensplan gesehen werden. Mit dem Friedensnobelpreis sollte dem fragilen  Friedensprozeß ein Vertrauensvorschuß gewährt und durch die Demonstration einer internationalen Erwartungshaltung die Konfliktparteien unter Handlungszwang gesetzt werden. Gleichzeitig wollte man die politische Autorität des Initiators nach innen und außen, d.h. im Kreise der Unterzeichnerstaaten wie auch gegenüber den nicht direkt betroffenen, am Ausgang der Regionaikrise gleichwohl sehr interessierten Nationen stärken.

Wenn auch nicht Absichtserklärungen, sondern allein Taten über den möglichen Erfolg der Friedensinitiative entscheiden, so sollte vor dem Hintergrund der tristen Regionalgeschichte der jüngsten Vergangenheit die Tatsache nicht gering geschätzt werden, daß es überhaupt zu dieser grundlegenden Einigung der fünf Staatschefs gekommen ist. Noch in der ersten Hälfte des Jahres 1987 hätte kein Beobachter der zentralamerikanischen politischen Szene eine solche Entwicklung für möglich gehalten. Nachdem es seit Mitte 1984 um die von Mexiko, Venezuela, Kolumbien und Panama getragene CONTADORA-Initiative, die mehr als drei Jahre lang im Mittelpunkt der Bemühungen um eine friedliche Beilegung der regionalen Spannungen gestanden hatte, still geworden war, herrschten die negativen Meldungen in der Berichterstattung über die Situation in Zentralamerika vor. Bei unverändert hoher Auslandsverschuldung und fortbestehenden außenwirtschaftlichen Schwierigkeiten zeigten alle wichtigen soziökonomischen Kennziffern im besten Fall eine stagnative Tendenz, während allein die Ausgaben für Rüstungszwecke deutliche Steigerungsraten aufwiesen und die kriegerischen Handlungen an den Kriegs- und Bürgerkriegsfronten zunahmen. Der Versuch der Außenminister der CONTADORA-Staaten und der sogenannten Unterstützungsgruppe Brasilien, Argentinien, Peru, Uruguay), auf einer im Januar 1987 gemeinsam durchgeführten Informationsreise durch die Hauptstädte der Krisenregion die Möglichkeiten für eine Wiederaufnahme der Friedensverhandlungen zu erkunden, endete erfolglos. UNO-Generalsekretär Pérez de Cuéllar, der die Minister auf ihrer Mission begleitet hatte, sprach den konsultierten Regierungen ohne diplomatische Umschweife den »ernsthaften politischen Willen« für eine friedliche Überwindung des Konflikts ab.

Die Reaktion der Adressaten und indirekt betroffenen Staaten war denn auch kühl bis diplomatisch-unverbindlich, als Präsident Arias seinen Friedensplan im Februar erstmals vorstellte. Durch diverse Korrekturen am Vertragsentwurf, eine Serie von bilateralen Gesprächen mit seinen zentralamerikanischen Amtskollegen und ein erfolgreiches Werben für sein Anliegen in Westeuropa vermochte er in den folgenden Monaten die Chancen für eine seriöse Behandlung seines Friedensprojekts deutlich zu verbessern. Arias‘ Vorstoß profitierte in dieser Zeit sicherlich von der Stagnation des CONTADORA -Prozesses der  Lähmung der US-amerikanischen Regionalpolitik im Gefolge der Iran-Contra-Affäre und der sich immer stärker artikulierenden innenpolitischen Stimmung in einigen der Kleinstaaten gegen die andauernden Kriegshandlungen und die fortbestehende Sozialmisere. Dennoch erwartete kaum jemand einen entscheidenden politischen Durchbruch, als sich die fünf zentralamerikanischen Präsidenten Anfang August in Guatemala an den Verhandlungstisch begaben, zumal Präsident Reagan seine ablehnende Haltung zum Arias -Plan unmißverständlich zum Ausdruck gebracht hatte.

Umso größer war die Überraschung, als die Staatschefs nach zweitägigen Gesprächen einer modifizierten Ausführung des Arias -Papiers zustimmten. Die Unterzeichnerstaaten verpflichteten sich, innerhalb genau festgelegter Fristen, deren längste 150 Tage umfaßte, eine Reihe von konkreten Maßnahmen zur inneren und äußeren Entspannung und Versöhnung demokratische Öffnung durch Gewährung von Pressefreiheit, politischem Pluralismus und Dialog mit friedensbereiten Oppositionskräften, umfassendes Amnestieangebot für die Widerstandskämpfer, Waffenstillstand, Nichtunterstützung von Guerillatruppen etc. einzuleiten bzw. zu verwirklichen. Inwieweit die Vertragspartner die einzelnen Verpflichtungen erfüllt haben, soll zu einem festgelegten Zeitpunkt von einer internationalen Kommission überprüft werden, die neben den Außenministern der Staaten der CONTADORA- und der Unterstützungsgruppe auch deren zentralamerikanische Amtskollegen und die Generalsekretäre von UNO und OAS einschließt.

Bei den eingesetzten (wenn auch mittlerweile leicht verlängerten) Fristen mußte es sich bald erweisen, wie ernst es den einzelnen Regierungen mit Ihren Friedensbekundungen war, wobei hier vor allem die diesbezüglichen Anstrengungen der im Konfliktzentrum der Region stehenden Dreiergruppe Nicaragua, El Salvador und Honduras von Interesse sind, während die entsprechenden Aktionen in Guatemala und Costa Rica mehr innen- denn regionalpolitische Bedeutung besitzen. Ohne Zweifel ist es Nicaragua, das bei der Verwirklichung der Beschlüsse von Esquipulas die größten Fortschritte erzielt hat: Bildung einer nationalen Versöhnungskommission unter Vorsitz des regimekritischen Kardinals Obando, Eröffnung eines politischen Dialogs mit der inneren 0pposition, einseitige Feuereinstellung in diversen Kampfzonen, Erneuerung des Amnestieangebots an die Contra, Freilassung von rund 1 000 politischen Gefangenen, Rückkehrerlaubnis für eine Gruppe von 1986 des Landes verwiesener Priester sowie die Aufhebung des Erscheinungsverbots der Oppositionszeitung »La Prensa« und des Sendeverbots der Rundfunkstation Radio Catölica sind nur dle wichtigsten Schritte und Maßnahmen aus einer Serie von etwa 30 politischen Initlativen, welche die Sandinisten innerhalb von drei Monaten zur Verwirklichung des Arias -Plans unternommen haben.

Hingegen machte der nach langem Zaudern der Duarte-Regierung nach über zwei Jahren Unterbrechung wieder aufgenommene Dialog mit der salvadorianischen Guerilla erneut die kaum zu vereinbarenden Positionen und Forderungen der beiden Seiten deutlich. Weite Teile der Armee, die sich seit einigen Monaten auf eine große Offensive gegen den bewaffneten Widerstand vorbereitet, lehnten diese Gespräche von vornherein ab, während die Todesschwadronen als der bewaffnete Arm der politischen Ultrarechten auf die Versöhnungsappelle von Esquipulas mit einer neuen Mordserie reagierten, deren prominentestes Opfer der Vorsitzende der nationalen Menschenrechtsorganisation wurde. Es ist bezeichnend, daß El Salvador in US-Pressekommentaren im Hinblick auf die aktuellen Befriedungs – und Versöhnungsbemühungen zunehmend als hoffnungsloser Fall beurteilt wird.

Besonders auffällig ist die zögernde Haltung der honduranischen Regierung bei der Umsetzung der Vereinbarungen des Arias -Planes. So deutet bisher nichts darauf hin, daß das Land die Unterstützung für die auf seinem Territorium stehenden Contra-Verbände einzustellen oder auch nur einzuschränken gedenkt. Vielmehr hat Präsident Azcona in seinen Stellungnahmen die nicaraguanischen Maßnahmen als unzureichend kritisiert und eine Aufkündigung seiner Kollaboration mit der Contra von weiteren Vorleistungen der Sandinisten abhängig gemacht. Damit verstößt Honduras eindeutig gegen den pragmatischen Ansatz des Arias -Projekts, das durch eine schrittwelse und auf überprüfbare Gegenseitigkeit abgestimmte Vorgehensweise eine wachsende Vertrauensbasis fur weitergehende Maßnahmen schaffen möchte.

Im Mittelpunkt der Forderungen Honduras‘, El Salvadors und der USA an Nicaragua steht die Aufnahme von Verhandlungen mit der Contra-Führung zwecks Herbeiführung eines Waffenstillstands, obwohl eine solche Kontaktaufnahme im Arias -Plan nicht vorgeschrieben ist. Die von ihren Gegnern immer wieder gezogene Parallele zum Dialog in El Salvador wird von Managua nicht akzeptiert: Während die Guerilla dort seit Jahren rund ein Drittel des nationalen Territoriums besetzt hält, konnte sich die Contra bisher auf nicaraguanischem Boden nicht dauerhaft festsetzen und operiert nach wie vor von honduranischem Gebiet aus. Die Comandantes widersetzen sich zwar kategorisch direkten Gesprächen mit der Contra, stimmten aber Anfang November indirekten Verhandlungen unter Vermittlung von Kardinal Obando zu, wobei allerdings einzig und allein die Modalitäten einer Einstellung der Kampfhandlungen, nicht aber die politische Zukunft Nicaraguas erörtert werden sollen.

Die Tatsache, daß das Mitte November von Präsident Ortega der Contra übermittelte Waffenstillstandsangebot kaum Zugeständnisse Managuas enthält und in seinem Kern vielmehr auf eine stufenweise Kapitulation des bewaffneten Widerstands hinausläuft, deutet darauf hin, daß die Contra nach wie vor keine wirkliche militärische Bedrohung des Sandinistenstaates darstellt. Die eigentliche Gefahr der Contra liegt in den schlimmen Auswirkungen des von außen geschürten Krieges auf die schwache Wirtschaft des Landes und die psychische Verfassung der Bevölkerung. Die nicaraguanische Ökonomie ist quasi  bankrott, es mangelt an den essentiellsten Dingen des täglichen Bedarfs, die Inflation erreichte 1987 ca. 1000 %, und die Kaufkraft der arbeitenden Bevölkerung beträgt heute nur noch knapp ein Fünftel des Werts von 1980. Nicaragua braucht den Frieden allein schon deshalb dringend, um wirtschaftlich wieder einigermaßen auf die Beine zu gelangen.

Es wird immer offensichtlicher, daß die Regierungen von El Salvador und Honduras den Vereinbarungen von Esquipulas hauptsächlich aus innenpolitischen Gründen zugestimmt haben, um damit gegenüber der inneren Opposition, die immer lauter eine Beendigung des Bürgerkrieges bzw. eine Ausweisung der zunehmend soziale Probleme bereitenden Contra-Kämpfer fordert, die Fassade einer Friedensbereitschaft aufbauen zu können. Dabei können Duarte und Azcona ganz sicher sein, bei ihrer offiziellen Schuldzuweisung für das wahrscheinliche Scheitern der jüngsten Friedensinitiative Rückendeckung aus dem Weißen Haus zu erhalten.

Es ist die Crux der CONTADORA- wie der Arias -Initiative, daß ihr möglicher Erfolg nicht nur vom Willen der unmittelbar betroffenen Staaten, sondern auch vom Verhalten des mächtigen Nichtunterzeichners USA abhängt. Und wenn auch die Zeiten vorbei sind, in denen Washington den Staaten der von ihm dominierten Hemisphäre seine Vorstellungen quasi einseitig aufzwingen konnte, so sind die Vereinigten Staaten immer noch stark genug, um ihnen nicht genehme Entwicklungen im amerikanischen Raum zu verhindern.

Erstes und wichtigstes Ziel der Reaganschen Zentralamerikapolitik ist die Beendigung der Herrschaft der Sandinisten, wobei immer klarer zutage getreten ist, daß sich die Administration bei der Wahl ihrer Mittel weder von völkerrechtlichen Normen noch von den Beschränkungen des Kongresses nennenswert beeinflussen laßt.

Die USA waren und sind nicht bereit, eine regionale Verhandlungslösung zu akzeptieren, die das politische überleben zu der von der Comandantes angeführten Regierung ermöglichen würde. Daher rührt auch die ablehnende Haltung der US-Administration zur CONTADORA -Initiative und zum Arias -Plan, die beide eine zentralamerikanische Friedensregelung unter gleichberechtigter Mitwirkung der jetzigen nicaraguanischen Regierung anstreben, während sich Präsident Reagan eine zentralamerikanische Zukunft ohne Sandinisten wünscht. Die Reformen und Zugeständnisse, die er von Managua als Gegenleistung für eine Einstellung der Contra-Hilfe verlangt, bedeuten in ihrer Substanz nichts anderes als einen freiwilligen Verzicht der Sandinisten auf die politische Macht. Reagans immer wieder erhobene Forderung nach einer »Demokratisierung« Nicaraguas, die auch in konservativen Kreisen Westeuropas quasi den Stellenwert eines Axioms erreicht hat, ignoriert die Tatsache, daß die Wahlen vom November 1984 nach übereinstimmenden Berichten unabhängiger Beobachter zumindest ebensowenig zu beanstanden waren wie der in US-offiziellen Kommentaren so hochgelobte Urnengang in El Salvador wenige Monate zuvor. Befreit man die US-Politik gegenüber Nicaragua von ihrem rhetorischen und rituellen Ballast, so bleibt allein das Instrument der Contra übrig. Die offiziell immer wieder bekundete Verhandlungsbereitschaft, die in der geschäftigen Reisediplomatie von Sonderbotschaftern wie Stone und Habib ihren sinnfälligen Ausdruck fand, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als ein geschickt in Szene gesetztes Manöver zur Beschwichtigung der Kritiker in der heimischen Öffentlichkeit und im Kongreß, mit dem die tatsächlichen Prioritäten in der regionalpolitischen Strategie kaschiert werden sollten.

Ein wie auch immer geartetes Arrangement mit den Sandinisten käme in den Augen der Reagan-Administration einer prinzipiellen Anerkennung der Existenzberechtigung alternativer Gesellschaftsmodelle auf dem amerikanischen Festland gleich, was früher oder später unweigerlich zu Nachahmungseffekten führen und mithin die Gefahr der Entstehung einer ganzen Gruppe von Staaten in ummittelbarer Nachbarschaft der USA heraufbeschwören müßte, die außen-, innen-, wirtschafts- und sozialpolitisch auf eine mehr oder weniger deutliche Distanz zur westlichen Vormacht gehen würde. Die Erreichung einer friedlichen Koexistenz mit dem Sandinistenregime ist schon deshalb wenig wahrscheinlich, weil damit ein unverändert hartes Vorgehen gegen die salvadorianische Guerilla nicht länger zwingend begründet werden könnte. Darüber hinaus würden Anspruch und Selbstverständnis der USA, weltweit den Kampf gegen den »Kommunismus« (Afghanistan, Angola etc.) anzuführen, arg erschüttert werden.

Die Vereinigten Staaten werden von daher alles daran setzen und ihre regionalen Vasallen El Salvador und Honduras in diesem Sinne instrumentalisieren, um einen Erfolg des Arias-Plans zu vereiteln. Vieles wird freilich davon abhängen, ob es der Reagan-Administration ein weiteres Mal gelingt, ausreichend Unterstützung im Kongreß für eine Weiterführung der Contra-Hilfe zu mobilisieren, um in einem letzten Kraftakt vielleicht doch noch das Ziel zu erreichen, das schon 1981 auf ihrer außenpolitischen Agenda ganz oben stand.

All dies deutet darauf hin, daß der angestrebte befruchtende Impuls des Friedensnobelpreises für ein im Gang befindliches Befriedungsunternehmen, wie auch in früheren Fällen allenfalls von kurzer Dauer sein wird.

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