Neue Bücher zum § 218
Kritik
aus: vorgänge Nr. 91 (Heft 1/1988), S. 118-121
Eigentlich reicht’s. Wir haben doch genug daneben geredet und geschrieben. Die geltende IndikationsregBlaug hat sich eingespielt und funktioniert mal mehr, mal weniger gut. Die Mehrheit der Bevölkerung ist toleranter geworden und will keine Verschärfung des geltenden Rechts. Wir konnten uns also zufrieden geben?
Im Süden der Republik wird es jedoch zu-nehmend schwieriger, einen legalen Schwangerschaftsabbruch erschaftsabbruch zu bekommen, Im Gesundheitsministerium läßt Rita Süßmuth an einem Beratungsgesetz basteln dieselbe, die vor den Wahlen gelobt hatte den 218 nicht anzurühren. Dieses neue Gesetz soll die Durchfuhreng des geltenden Rechts ganz erheblich erschweren. Bayern und Baden-Württemberg haben bereits eine eigene Bundesratsinitiative angekündigt, falls Rita Süßmuth sich nicht beeilt. Und Herr Stoiber schwangt die Wortkeule: Wenn man schon nicht die IndikationsregBlaug selbst wieder rückgängig machen kann da hat er momentan wenig Hoffnung), dann will er wenigstens den Schwangerschaftsabbruch umtaufen: Tötung menschlichen Lebens soll er in Zukunft heißen.
Also: der 218 ist leider wieder ein Thema. Und prompt erscheinen gleich mehrere Bücher dazu. Vier von ihnen greife ich heraus und mit meinem liebsten fange ich an. Das Buch das ich nicht wieder weglegen konnte sondern in einem Zug verschlungen habe, ist
Susanne von Paczensky: Gemischte Gefühle; Becksche Reihe 343 München 1987; DM 12,80
Ein Sachbuch, das so fesselt, muß schon etwas besonderes an sich haben. In diesem Fall ist es die Emotionalität. Ja im Gegensatz zu den USA gibt es sie bei uns bisher nicht: Sachbücher, die einfühlsam sind. Dies Buch handelt von Gefühlen von den gemischten Gefühlen von Frauen, die ungewollt schwanger werden. Und ich erkenne mich wieder (und glaube viele Frauen ebenfalls):
- der Schrecken: ich bin schwanger;
- der Zorn: das hätte nicht Passieren dürfen;
- die Schuldgefühle über die offenbar mangelhafte Verhütung;
- die Zweifel: kann ich die Verantwortung für (noch) ein Kind tragen;
- die Angst um den Partner;
- die Furcht vor der falschen Entscheidung und über all dem noch zusätzlich lastend der Druck zur Geheimhaltung. In welcher Familie kann offen über diese Krisensituation gesprochen werden? In welchem Freundeskreis?
Susanne von Paczensky hat ein Jahr lang an der Arbeit eines Familienplanungszentrums teilgenommen. Das Buch läßt fast ausschließlich die betroffenen Frauen selbst zu Worte kommen. Die Sorgen sind oft ähnlich die Beweggrunde bei jeder Frau anders und jede Frau wird ernst genommen mit ihren gemischten Gefühlen. Es gibt ja durchaus auch positive Gefühle bei ungewollten Schwangerschaften: die Freude, fruchtbar zu sein, die Bestätigung, daß aus dieser Liebe ein Kind werden könnte mit diesem Partner. Fast alle Frauen wünschen sich ein Kind. Jede zweite Frau, die einen Abbruch erwägt, ist bereits Mutter. »Es sind dieselben Frauen die unter bestimmten Umständen zur Abtreibung entschlossen sind und unter anderen Umständen liebevolle Mütter.« Dies Buch will die Trenneng aufheben zwischen den sogenannten guten Frauen, die Kinder zur Welt bringen, und den schlechten Frauen, die abtreiben.
Die Beratung vor dem Abbruch wird als das gesehen, was sie ist: eine Zwangsberatung, der alle Frauen in dieser Krise sich unterziehen müssen. Eigentlich ist dies keine Situation die per se zwischen Beraterin und Beratenen Vertrauen schafft. Erstaunlich, daß trotzdem viele Frauen offen über ihre Situation reden wollen, vielleicht, weil sie sonst niemanden haben, dem sie sich anvertrauen können. Beraterinnen stoßen dabei durchaus auch an eigene Grenzen: »Beratung, und sei sie noch so gewissenhaft und gründlich, vermag die Menschen nicht zu ändern und kann keine Fähigkeiten wachrufen, die gar nicht vorhanden sind. Sie kann bestenfalls dazu beitragen, daß ein Mensch seine eigenen Möglichkeiten besser wahrnimmt, zu den eigenen Kräften mehr Vertrauen gewinnt.«
Die wirkliche Überraschung dieses Buches war für mich das Kapitel »zehn lange Minuten«, in dem die Verfasserin den tatsächlichen Eingriff beschreibt. Die örtliche Betäubung, das Absaugen, der nur leicht ziehende Schmerz. Und dann die schockierende Frage »Willst Du Dir’s ansehen«? Die Erleichterung; es ist nichts als etwa ein Teelöffel blutiger Schleim. Und danach kommt, jedenfalls im Familienplanungszentrum Hamburg, ein Liegebett im sonnigen Ruheraum, ein Wunschfrühstück, ein Gespräch; so menschlich kann eine Abtreibung sein.
Zeichnet sich das Buch von Susanne von Paczensky gerade eben durch menschliche Wärme aus, so handelt es sich bei den beiden folgenden Bechern um coole Sachbücher.
Herta Däubler-Gmelin Renate FaerberHusemann: § 218 der tägliche Kampf um die Reform; Verlag Neue Gesellschaft Bonn 1987, DM 19,80
Der einleitende Rückblick auf die Geschichte der Abtreibung beginnt mit Hexen und Hebammen, der unseligen Rolle der Kirche (ja, auch damals schon) und beschreibt dann den Kampf gegen diese Fessel in Paragraphenform in unserem Jahrhundert als historischen Kampf der SPD. In den zwanziger Jahren ging man noch von einer Million Abbrüchen pro Jahr aus, eine Zahl, die wir uns heute durch die damals fehlenden Verhütungsmittel leicht erklären können. Ich denke, für junge Frauen ist gerade die Geschichte der Abtreibungspolitik ein Stück wichtiger Frauengeschichte, von der wir zu wenig wissen.
Wir Lehrerinnen müßten in den Schulen mehr darüber reden und dafür bietet dieses Buch sicher nützliche Beispiele. Die Verfasserinnen dokumentieren die Nachkniegsjahre, die erste Initiative zu einer Fristenregelung von der Humanistischen Union, die Durchsetzung eben dieser Fristenregelung in der sozialliberalen Koalition 1975, die Rolle der Frauenbewegung auf dem Wege dorthin und schließlich das niederschmetternde Verfassungsgerichtsurteil, das alle Bemühungen wieder zunichte machte.
Wenn das Buch dann allerdings zur Gegenwart kommt, wird es fragwürdig. Kein Wort über die Unwürdigkeit der Zwangsberatungen; für die Verfasserinnen würde es genügen, wenn nur alles ungefähr so bliebe, wie es ist.
Mein Hauptvorwurf gegen dieses Buch ist, daß es nicht die notwendigen logischen Schlußfolgerungen zieht. Die Autorinnen stellen zwar ganz richtig fest, daß Verbote und Strafrechte noch nie getaugt haben, Schwangerschaftsabbrüche zu verhindern: »Frauen, die abgetrieben haben, gehören nicht vor den Richter.« Also müßte die Konsequenz ja wohl heißen: raus aus dem Strafrecht, fort mit dem § 218. Diese Konsequenz ziehen die Verfasserinnen aber leider nicht. Es gibt ja wohl keinen Zweifel, daß sowohl Fristen- als auch Indikationsmodell jeweils Strafbestimmungen sind und so der Abbruch eben ein Straftatbestand bleibt.
Die Verfasserinnen gehen davon aus, daß das Bundesverfassungsgerichtsurteil jede andere Möglichkeit verbaut hat. Das aber meinen die Verfechterinnen der ersatzlosen Streichung nicht: Das Urteil hat festgestellt, daß der Schutz des werdenden Lebens auch auf andere Weise erfolgen kann, als mit den Mitteln des Strafrechts und da genau gilt es einzuhaken.
Die Inkonsequenz, einerseits Straffreiheit zu fordern und andererseits die Indikationsregelung zu akzeptieren, teilen die Verfasserinnen mit der momentanen Mehrheit in der SPD nur eine Minderheit in der ASF fordert die Abschaffung des Paragraphen. Schade, daß gerade die prominenten Frauen der Partei nicht den Mut aufbringen, nötige Forderungen zu stellen, und wenn es sein muß, gegen ihre männlichen Genossen.
Das zweite Fakten-Sachbuch zum Thema
Verena Krieger: Entscheiden was Frauen und Manner über den § 218 wissen sollten, Konkret Literaturverlag Hamburg 1987, DM 24.
zieht die notwendigen Konsequenzen. Die Verfasserin ist Feministin und Abgeordnete der GRÜNEN im Bundestag. Sie fordert die ersatzlose Streichung des 218 und macht auch deutlich klar, warum. Vehement äußert sie sich auch dagegen, immer nur soziale Mißstände als Ursachen zu bejammern (was ja bedeuten wurde, daß eine Welt denkbar wäre, in der keine Frau mehr abzutreiben bräuchte) Verena Krieger betont auch das Recht einer Frau, grundsätzlich kein Kind zu wollen. Die Sprache ist angenehm munter, und unverblümt knöpft sich die Verfasserin auch die eigenen Parteifreunde vor mit ihrer letztendlich eben auch frauenfeindlichen Alles-Leben-Schützenmüssen-Ideologie. Sogar unsere liebe Frauenbewegung kommt nicht ungeschoren davon. Die neue Mütterlichkeit setzt wieder Muttersein als Norm und drängt Selbstbestimmung in die Egoistenecke.
Und welch Fülle an Material! Hier handelt es sich nun wirklich um einen 218-Reader, wer Beispiele und Zitate braucht hier wird er sie finden. Allerdings beschränkt sich dieses Buch auf die Bundesrepublik Deutschland.
Wer Vergleiche mit dem Ausland ziehen will, sollte eine vergleichende Studie zu Hilfe nehmen:
Evert Ketting und Philip van Praag: Schwangerschaftsabbruch, Gesetz und Praxis im internationalen Vergleich; Deutsche Gesellschaft für Verhaltenstherapie, Tübingen 85, DM 21,80
Diese Studie wurde noch von der SPD-Gesundheitsministerin Huber in Auftrag gegeben und 1984, fertiggestellt, vom neuen Gesundheitsminister Geissler erstmal unter Verschluß gehalten entsprach sie doch so ganz und gar nicht der jetzt erwünschten Familienpolitik. Erst auf erheblichen öffentlichen Druck wurde der Text publiziert. Er vergleicht Schweden, Danemark, England, Niederlande, Österreich, Schweiz, Frankreich, Italien und USA mit der Bundesrepublik. Und letztere schneidet dabei schlecht ab.
Holland ist das Land mit der freiesten Abtreibungsregelung und das Land mit den Prozentual wenigsten Abtreibungen. Erklärt wird dies von den Verfassern einleuchtend mit der umfassenden Aufklärung und Verfügbarkeit von Verhütungsmitteln. Klar, daß das kein willkommenes Forschungsergebnis für die jetzige Bundesregierung ist.
Die historische Entwicklung, der Inhalt des jeweiligen Gesetzes und die tatsächlichen Auswirkungen werden in sehr sachlicher Form dargestellt nicht gerade ein Lesevergnügen, aber ein nützliches Nachschlagewerk. Schade nur, daß die Studie sich auf die westlichen Länder beschränken mußte. Die Neugier auf die Situation in den Oststaaten bleibt unbefriedigt.