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Das Wunder von St. Pauli

aus: Vorgänge Nr. 91 (Heft 1/1988), S. 1-6

Hamburg im November 1987. Als nach den Schüssen an der Frankfurter Startbahn die Feinderklärung gegen »Vermummte« einsetzte und wenig später Springer-Journalisten die ungeduldige Frage stellten, wann denn aus der Hafenstraße geschossen werde, schien das letzte Gefecht unausweichlich. Noch wahrend an diesem Dienstag (3. November) einige tausend PolizeibeamtInnen in einem Schweigemarsch durch die Innenstadt zogen wurden in der Presse die ersten sachdienlichen Gerüchte kolportiert. Beamte der nahe gelegenen Davidswache hätten in jener Nacht, als die Meldungen von der Startbahn gerade durch den Ticker gelaufen waren, das Knallen von Sektkorken und Leuchtraketen vernommen. Und dann soll da dieses merkwürdige Transparent gewesen sein (ein zum Morgendienst fahrender Polizeibeamter ist der einzige, der es gesehen haben will): »Zwei Morde sind nicht genug«.

Nach dem ersten Ultimatum des Senats (31. Oktober) läuft ein werteres ab (11. November); die bis spät in die Nacht diskutierende Bürgerschaft lehnt gegen die Stimmen der GAL-Frauenfraktion den vorliegenden Pachtvertrag ab. In derselben Nacht werden auf den Straßen um die Häuser Barrikaden errichtet und hier und da angezündet. Die zunächst überraschte Polizeiführung laßt ihre Hundertschaften aufmarschieren; dahinter schwere Raumfahrzeuge, Bagger. Erstaunlich genug, aber ein Einsatz bleibt aus. Am nächsten Tag sprecht der Innensenator von Räumung, deren Termin die Polizei sich aber nicht diktieren lasse.

Am Samstag (14. November) wird eine Demonstration verboten und durch massive Polizeipräsenz auch verhindert. Die Stimmung ist äußerst gespannt, Gerüchte jagen einander. Rechtsanwalt Blohm überbringt als Bevollmächtigter der HafenstraßenbewohnerInnen den unterschriebenen Vertrag ins Rathaus, der so ein Vorschlag des FDP-Vorsitzenden Robert Vogel beim Oberlandesgericht 14 Tage hinterlegt werden soll, um dann in Kraft zu treten, wenn die Barrikaden und Befestigungen abgebaut worden sind. Der Koalitionsausschuss von FDP und SPD lehnt ab. Derweil wird draußen auf dem Rathausplatz etwa zwanzig Müttern und Vätern, die sich um ihre Kinder aus der Hafenstraße sorgen, ein Transparent von Polizisten entrissen: Die Regierenden beraten unter dem Schutz einer »Bannmeile«. Am Montag (16. November), als der FDP-Landesvorstand sein »Nein« verkündet, ist der Tiefpunkt erreicht. Jetzt wird offen vom Rücktritt des Bürgermeisters geredet; Erinnerungen an die letzten Tage von Hans-Ulrich Klose der sich mit seiner Option für den Ausstieg aus Brokdorf und der Atomenergie zu weit vorgewagt hatte, werden wach. Und viele erinnern sich mit Schrecken an die schon vor Wochen verkündete verzweifelte Erklärung der BewohnerInnen, sie wollten ihre Häuser »bis zum Tod« verteidigen.

Zwei Tage später, am Buß- und Bettag (Mittwoch, den 18. November), geben mehrere hundert Junge, aber auch ältere Leute in sich lösender, fast heiterer Stimmung daran, unter den Augen schaulustiger Anwohner und surrenden Fernsehkameras die Barrikaden abzubauen und von der Stadt bereitgestellte Müllcontainer zu füllen. Aufgeschichtete Gehwegplatten werden zwar weniger akkurat, dafür aber mit viel gutem Willen verlegt. Ein gerührter Rundfunkreporter aus dem Ü-Wagen vor Ort erzählt die Geschichte vom Gesetzlosen, der nicht davor zurückschreckt, in deutscher Gründlichkeit den Bürgersteig zu fegen.

Dazwischen liegt etwas, das seit einer Randbemerkung des Bürgermeisters anlässlich der Verkündung seines allerletzten Ultimatums vom Dienstag (17. November) ratlos als »Wunder« bezeichnet wird. In letzter Minute hat Klaus von Dohnanyi, gegen die FDP und die einflußreiche Betonfraktion in seiner eigenen Partei, mit persönlichem Mut und einer politisch klugen Taktik eine scheinbar unaufhaltsam näher rückende Konfrontation vermieden und, wie das bei Verhandlungslösungen üblich ist, einen Kompromiss erzielt, der vielleicht sogar auf Dauer tragfähig sein wird. Diesen Befreiungsschlag hatte dem ehemaligen Ford-Manager und nicht einmal liberal profilierten Bonner Minister der Schmidt-Ara niemand zugetraut. Auch nicht in der GAL, wo nach dem Wahldesaster vom Mai gerade ein für »nicht verhandlungsfähig« erklärter »Tolerierungskatalog eingemottet worden war; ebenso wie eine Strategie der scheinbaren Tolerierungsbereitschaft, die von Dohnanyi nach der Dezemberwahl 1986 mit seiner harten Linie (»Keinen Millimeter mit der GAL« vordergründig plausibel gemacht hatte.

Der ehemalige Bundeswehr-Major und CDU-Fraktionschef Perschau, der sich gerade aus der Hamburger Politik verabschiedet hatte und mit dem Kanzler durch Afrika jettete, kann den Abrüstungserfolg von Bürgermeister und Hafenstraße nicht verwinden. Sein Selbstbezichtigungsschreiben, das mit dem aufatmenden Wort »Endlich…« beginnen sollte, mußte er in der Jackettasche stecken lassen. Noch am 6. Oktober hatte er im »Hamburger Abendblatt« kategorisch jeden Vertrag abgelehnt: »Solange die Bewohner dort wohnen, kann es keinen Frieden geben«. Sichtlich unter dem Schock des Räumungsentzuges stehend, versagte er es sich nach seiner Rückkehr, die arg zerkratzte Platte vom »rechtsfreien Raum« ein weiteres Mal aufzulegen. Stattdessen war nun weit Düstereres zu besorgen: Hatte doch »der Rechtsstaat« in dieser Stadt gerade abgedankt. Nur am Rande sei vermerkt, daß für Perschau das eigentliche Wunder woanders liegen dürfte, als üblicherweise vermutet. Wie es von Dohnanyi gelang, ausgerechnet im rechtsfreien Raum einen Vertrag abzuschließen, werden ihm hoffentlich seine Berater erklären können.

Die Rede vom imaginären »rechtsfreien Raum« hat nicht einmal AnarchistInnen aufhorchen lassen — sind doch weder in Hamburg noch sonst irgendwo herrschaftsfreie Zonen in Sicht. Womöglich verrät dieser Begriff auch ganz andere Phantasien des CDU-Mannes. Im Raum Hafenstraße könne frei von Recht die Gewalt der Exekutive inszeniert werden, welche sich damit von einer Legalität emanzipierte, die mit jeder Eingriffsgrundlage zugleich auch Fesseln anlegt.

Ansonsten ist oft genug darauf hingewiesen worden, daß gerade in St. Pauli bei weitem nicht jede Straftat auf das Konto der Hafenstraße geht. Richtig ist ferner, daß die Hamburger Polizeistatistik, interpretiert nach den hypertrophen Maßstäben des »rechtsfreien Raumes«, ganze Stadtteile als Gebiete des inneren Notstandes ausweisen mußte. Außerdem braucht man die BewohnerInnen der besetzten Hauser keineswegs zu sanftmütigen Friedenslämmern zu stilisieren, um eine defensive Strategie der Polizei begründen zu können (die übrigens bei ihren verwüstenden Auftritten um die Jahreswende 1986/87 nicht gerade Sympathiepunkte für die Staatsmacht gesammelt hatte). Seit wann dürfen Wohnungen, in denen die Polizei einzelne Straftäter vermutet, gleich Häuserweise geräumt werden. Außerdem gibt es keine oder nur sehr wenige strikten, d.h. alternativlosen gesetzlichen Handlungszwänge für die Exekutive. Auch für die Barrikadennacht zum 12. November gilt, daß die Polizei keineswegs immer muß, was sie vielleicht darf. Brennende Autos, kaputte Fensterscheiben und die Flüssigkeit des Berufsverkehrs aus Blankenese wiegen nicht so schwer wie das Leben und die Gesundheit von Menschen. Der Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit, der auch im Polizeirecht gilt, erlaubt flexible Einsatzkonzepte, zu denen auch das Nichteingreifen gehört (ein Argument übrigens, das derzeit von den Befürwortern des strafrechtlichen »Vermummungsverbots vorgetragen wird). Mit dem ihr angedichteten Starrkrampf wird die Rechtsordnung der Bundesrepublik — insoweit ganz zu unrecht — nicht nur bei ihren Gegnern in Verruf gebracht.

Das alternativlose Zuschlagen um jeden Preis ist kein Gebot eines rechtsstaatlichen Gesetzesvollzuges, sondern existiert nur in den mehr oder weniger gezügelten Rachephantasien derjenigen, die lieber heute als morgen tabula rasa machen lassen möchten. Ihr  Störerbegriff ist maßlos im Gegensatz zu überkommenen polizeirechtlichen Standards: weil es um weit mehr geht als um die Bekämpfung von Straftaten. Das eigentlich Unverzeihliche an »der Hafenstraße« ist nicht, daß dort »gezündelt«, sondern daß dort anders gelebt wird. Ein Leben, das in der Vorstellungswelt eines F.K. Fromme »als eine autonome Insel in einer Ordnung« (FAZ, 20.11.1987) dem versunkenen Atlantis gleich phantastisch Gestalt angenommen hat.

Die Staatsschutzspezialisten einer Frankfurter Allgemeinen Zeitung haben diesen Tagen weitere originelle Beiträge des Genres »Journalismus als Kriegstanz« vorgelegt. F.K. Fromme zum Beispiel hat sich nicht nur um eine rationale Variante der Schimäre »Vermummungsverbot« verdient gemacht. Er sorgt sich auch um die Probleme, die das Falschparken unseren nicht autonomen Mitbürgern bereitet. Unter dem trotz alledem hoffnungsfroh gestimmten Titel »Das ist kein sicherer Friede« fragt er im Stil jener vertrauten und gleichmacherischen Argumentationsfigur des »Wenn -das-jeder- machen-wollte«: »Soll der Falschparker, von dem ein Ordnungsgeld verlangt wird… also zum Beispiel sein Automobil künftig quer auf die fragliche Straße stellen dürfen, so lange, bis Verhandlungen mit der Ordnungsbehörde den ’sozialen Konflikt‘ auf eine den Autofahrer zufrieden stellende Weise gelöst haben?« (FAZ, 20.11.1987).

Schon tags zuvor war von F.U. Fack unter dem ebenso kurz angebundenen wie zerknirschten Titel »Legalisiert« zwar eine Gelassenheit zur Schau getragen worden, die in diesem Staat nichts mehr wundert: Denn »so, wie es um die staatliche Autorität hierzulande nun einmal bestellt ist, kann der Ausgang des Trauerspiels in der Hamburger Hafenstraße nicht überraschen«. Gleichwohl wurde nicht darauf verzichtet, doppelsinnig auf den »Preis« hinzuweisen, den der »Rechtsstaat« habe, der samt des »Rechtsfriedens . . . auf der Strecke« geblieben sei: ». . . wer ihn heute nicht erlegen(!) will, wird ihn morgen zu zahlen haben«.

Auf der Titelseite eben derselben FAZ-Ausgabe vom 19. November hat Ernst-Otto Maetzke ein neues Buch kommentiert, das sein »Gewährsmann« Kriele kürzlich vorlegte (»Die demokratische Weltrevolution«). Man darf vermuten, daß diese strategisch weit ausholende Buchbesprechung nicht von ungefähr just in dem Augenblick publiziert wurde, als in Hamburg der Weg zu einer friedlichen Lösung freigemacht wurde. Maetzke redet programmatisch der Hegung einer gemäßigten Feindschaft das Wort und warnt vor der allseits erhobenen Forderung nach dem Abbau von Feindbildern. Den eigentlichen, der FAZ wohlbekannten »Gewährsmann« dieser Denktradition, Carl Schmitt, erwähnt er dabei nicht. Bekanntlich hatte dieser in der Schrift »Der Begriff des Politischen« 1932 seine Freund-Feind-Theorie entwickelt und das von allen weltanschaulichen, ökonomischen usf. Motiven gereinigte Wesen des Politischen als die Bereitschaft zur physischen Vernichtung des eben existenziell Anderen bestimmt.

Heutige Bürgerkriegsmentalität gibt sich aufgeklärt und tritt als zynischer Realismus auf (eine Haltung, deren verdummende Faszinationskraft zuweilen auch links beobachtet werden kann). Matzkes Blick schweift in die Ferne, zu den »reale Feindschaften… zwischen Kabul und Beirut«. Dabei werden mit der zeltgemäßen Feinderklärung die Möglichkeiten des gesellschaftlichen Dialoges hier und heute verspielt. Undenkbar, jenseits der vordergründig konstruierten Alternative: Hinweg moralisieren von Konflikten oder Feinderklärung gibt es jedoch ein Drittes. Während Vermummte und andere Menschen in der Hafenstraße Barrikaden abbauen, wird in den Kommentarspalten der FAZ an verwitterten Bewußtseinsbarrikaden ideologisch aufgerüstet.

Das Frankfurter Allgemeine Sicherheitsbedürfnis ist unantastbar. Es zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

Unerhörtes ist in Hamburg geschehen. An die Stelle stummer Gewalt ist versuchsweise einmal die Verschärfung von Kommunikation getreten. Überraschend hat die Staatsmacht darauf verzichtet, durch einen völlig überzogenen Polizeieinsatz die pathetisch überhöhte Militanz von HausbesetzerInnen zur blutigen Realität zu eskalieren.

Ein Bürgermeister hat einen seit über fünf Jahren schwelenden Konflikt, den er selbst und seine Senatsbehörden maßgeblich mitgestaltet haben (vgl. Herrmann / Lenger / Reemtsma / Roth, »Hafenstraße«. Chronik und Analysen eines Konflikts, Hamburg Oktober 1987), durch praktische politische Vernunft vorläufig entmilitarisiert. Er hat in einer festgefahrenen Situation ein konkret durchdachtes, abgestuftes und erfüllbares Ultimatum gestellt, das schon wegen seiner Details Ernsthaftigkeit signalisierte, oben-drein aber mir dem Versprechen eines Vertragsabschlusses gekoppelt war, für das der Bürgermeister »sein Wort verpfändete« . Er hat schließlich einen der Sache nach seit dem Spätsommer ausgehandelten Vertrag unterzeichnet, der am Ende nur noch in der einzigen Frage strittig war, wann denn nun die Befestigung der Häuser beseitigt werden solle. Ausnahmsweise wurde damit einmal auf beiden Seiten darauf verzichtet, deutsche Glaubenskriege um politische Symbolik bis zum bitteren Ende auszufechten.

Die Leute aus der Hafenstraße, stilisiert zur Inkarnation militanter Staatsfeindschaft, haben es ihrerseits gewagt — wegen und trotz einer zusammengezogenen Bürgerkriegsarmee von 6 000 Polizisten und Bundesgrenzschützern — dem »verpfändeten Wort« des Bürgermeisters ein Stück weit zu vertrauen und sich auf die Vorleistung des Barrikadenabbaus und der »Entfestigung« ihrer Häuser einzulassen. Sie haben zudem Besonnenheit bewiesen, als noch am Donnerstag (19. November) Beamte von Kriminalpolizei und Post — erstmals seit langem — Ihre »rechtsfreien« Räume nach dem Piratensender »Radio Hafenstraße« durchsuchten und der »Entziehung elektrischer Energie« auf der Spur waren.

Eine Ironle der ganzen Geschichte ist es, daß ausgerechnet in Hamburg ein linker Millionär, der Philologe und Mitbegründer des
Hamburger Instituts für Sozialforschung, Jan Philipp Reemtsma, die politische Szenerie  in Bewegung setzte. Seit er im Frühjahr 1987 mit seinem damals zwischen SPD und FDP zerredeten Vorschlag in die Öffentlichkeit ging, den Konflikt durch Kauf und Übereignung der Häuser an eine selbstverwaltete Stiftung zu »entstaatlichen« , mehrten sich jedenfalls die Anzeichen, die für ein Umdenken wenigstens des Bürgermeisters sprachen (vgl. u.a. dazu den Hintergrundbericht von Ute Scheub, Barrikaden und ver-rückte Fronten, taz vom 1. Dezember 1987, S. 9f).

Wenn Klaus von Dohnanyi neuerdings beharrlich von »den Bewohnerinnen und Bewohnern der Hafenstraße« spricht, ahnt man, welche Lernprozesse auch bei ihm in Gang gekommen sind, seit er sich im Juli 1987 mit den »Schmuddelkindern« erstmals an einen Tisch setzte. Die künftige Entwicklung ob er den Konflikt mit der Vernunft, die er zu guter letzt bewiesen hat, auch durchstehen kann, oder ob er nicht doch noch Angst vor der eigenen Courage bekommt — so wie jetzt schon viele seiner ParteigenossInnen vor der des Regierungschefs. Zwar hat der SPD-Parteirat zum richtigen Zeitpunkt von Dohnanyis weiche Linie unterstützt und entsprechend darf wohl ein Anruf des Bundespräsidenten gedeutet werden). Es zeugt aber nicht gerade von politischem Selbstbewußtsein, wenn wenig später Hans-Joachim Vogel Rundfunkmeldungen zufolge verlautbaren läßt, in Hamburg habe man strikt verhältnismäßig gehandelt, weil es anderenfalls tote Polizisten hätte geben können. Daß die Schüsse an der Startbahn auf beiden Seiten so manchen nachdenklich gemacht haben mögen, steht auf einem anderen Blatt. Doch Politik für Minderheiten ist nur dann zu machen, wenn man sich davon emanzipiert, nach der kochenden Volksseele zu schielen. Daß diese nicht immer so formiert sein muß, wie es die Springer-Presse suggeriert, zeigt eine »Stern«-Umfrage (49/1987). Wenn man ihr trauen darf, befürworten im nachhinein immerhin 73% der HamburgerInnen die friedliche Vertragslösung.

Niemand kann heute sagen, ob es auf Dauer zu einer Normalisierung am Hafenrand kommen wird. Viel wird davon abhängen, ob die Vertreter der Ordnungsmacht gewillt sind, mit den BewohnerInnen der Häuser wenigstens zu einer Art friedlichen Koexistenz zu gelangen. Andererseits darf darauf gesetzt werden, daß die vom akuten Räumungsdruck endlich befreiten HausbesetzerInnen sich jetzt auf Besseres besinnen können als auf die Perfektionlerung von Befestigungsanlagen.

Zur Zeit werden die Häuser winterfest gemacht; die Stadt hat die ersten Gelder dafür bereitgestellt. Läden und Werkstätten sind geplant. Vielleicht ist auch »Radio Hafenstraße« am Tag des Barrikadenabbaus nicht das Letzte mal auf Sendung gegangen. Die Funkpiraten sollen schon bei der Hamburger Anstalt für Medien Erkundigungen über die Lizenzvergabe eingeholt haben. Unterdessen berichtet die taz-Hamburg (30. November), im Stadion am Millerntor habe »fröhlich die schwarze Piratenflagge geweht«. Der »Jubel des Hafenstraßen-Blocks« galt dem Ex-Hafenstraßenbewohner Volker Ippig. Das »begnadete Torwarttalent« von der Reservebank des FC St. Pauli war diesem Samstag der »Held des Tages«, weil er für seine Mannschaft das 1-0 gegen Solingen über die 90. Spielminute rettete.

Das Wunder von St. Pauli hat stattgefunden und war doch keins. Es dauerte auch, wie gewöhnliche Wunder das so an sich haben, länger als sein dramatischer Schlußpunkt — eben well es eine bewundernswerte Vorgeschichte hatte: BürgerInnen dieser Stadt, GAL -Mitglieder, evangelische Pastoren, Gemeindemitglieder, eine Vermittlergruppe, Mitglieder der »Patriotischen Gesellschaft« und viele andere haben sich ausdauernd in eine öffentliche Angelegenheit eingemischt.

In Amsterdam, Kopenhagen oder Mailand übrigens hätte ein Bürgermeister den Erfolg einer politischen Lösung schwerlich als Wunder deklarieren können.

Ein Wunder ist, so der neue Brockhaus, »ein Vorgang, der der Erfahrung oder den Naturgesetzen widerspricht«. Solange uns die Naturgesetze der hiesigen Sicherheitspolitik nicht wundern, wird das Wunder von St. Pauli eines bleiben.

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