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Volks­zäh­lung und die Probleme der Begleit­for­schung

aus: vorgänge Nr. 91 (Heft 1/1988), S. 84-90

Die Ergebnisse der Volkszählung lassen auf sich warten. Die Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitforschung ebenso. Dabei waren es gerade diese, von denen sich Befürworter wie Kritiker der Volkszählung erhofften, in ihren Positionen bestätigt zu werden. Die zentrale Fragestellung der Begleitforschung, für die erstmalig Mittel im Bundeshaushaltsplan 1987 in Höhe von ca. 3,4 Mio DM eingestellt wurden, hatte das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 15. vorgegeben:

»Vor künftigen Entscheidungen für eine Erhebung wird sich der Gesetzgeber erneut mit dem dann erreichten Stand der Methodendiskussion auseinandersetzen müssen, um festzustellen, ob und in welchem Umfang die herkömmlichen Methoden der Informationserhebung und -verarbeitung beibehalten werden können. Ebenso muß er bei der Anordnung einer statistischen Erhebung anhand des erreichbaren Materials prüfen, ob eine Totalerhebung trotz einer inzwischen fortgeschrittenen Entwicklung der statistischen und sozialwissenschaftlichen Methoden noch verhältnismäßig ist.« [1]

Schon in der Diskussion um das Volkszählungsgesetz im Deutschen Bundestag 1985 hatte diese Passage des Urteils für Kontroversen gesorgt. Kritiker monierten, daß unter den nach Parteiproporz benannten »Experten« der Anhörung lediglich zwei Vertreter von Alternativen zur Totalerhebung, Professor Klaus Brunnstein (Hamburg) und Dr. Bernd Kolleck (Berlin) gehört wurden [2], welche Stichproben den Vorzug vor Volkszählungen einräumten. Die Minderheiten wurden in der Anhörung des Deutschen Bundestages [3] wie in der Beschlußempfehlung zum Volkszählungsgesetz auf die Begleitforschung zur Volkszählung 1987 verwiesen. [4] Ein möglicher Verzug der Ergebnisse dieser Begleitforschung könnte eine Ursache im Verlauf der Volkszählung haben. Deshalb soll, vor einer Prüfung der Zwischenergebnisse einer Begleituntersuchung, eine kurze Analyse der Situation um die Volkszählung mehr als sechs Monate nach dem Stichtag versucht werden.

Aufgrund gegensätzlicher politischer Interessen, ernstzunehmender Interessen des Datenschutzes aber auch behördenspezifischer Geheimnistuerei ist eine exakte Einschätzung kaum möglich. Es kann nur auf vorhandene Widersprüche aufmerksam gemacht werden, die jedoch in ihrer Summe wichtige Anhaltspunkte geben können. So ist unbestritten — auf Seite der statistischen Ämter wie seitens der Boykottinitiativen — die Volkszählung auf dem Lande weitgehend abgeschlossen. Die Boykott-Rate soll hier bei etwa 2% gelegen haben. [5] Eine völlig andere Situation besteht in den Großstädten. So fehlten in Saarbrücken am 22. noch über 10 000 Antworten [6], in Köln hatten am 20.10. mindestens 45 000 Haushalte keine Bögen abgegeben [7], und die Erhebungsstelle von Wiesbaden beklagte, daß 15% der Unterlagen trotz mehrfacher Mahnung nicht zurückgekommen seien, weitere 10% der Bürgerinnen und Bürger hätten bis Mitte September noch überhaupt keine Fragebögen erhalten. Jeder zweite der postalisch zurückgeschickten Vordrucke weise Mängel auf. [8] Aus anderen Großstädten wie Stuttgart, Hamburg, Hannover oder Frankfurt bestätigen die Bürgerinitiativen diese Zahlen. Der Baden-Württembergische Gemeindetag stellte in seinem Geschäftsbericht im September fest: »Ganz erhebliche Probleme ergaben sich für die Städte und Gemeinden durch verschiedene Initiativen von Volkszählungsgegnern und durch Aufrufe zum Boykott der Volkszählung … Erst nach Vorliegen der Ergebnisse der Zählung wird man darüber befinden können, ob eine erfolgreiche Durchführung gelungen ist, und ob die neu ermittelten Einwohnerzahlen und die anderen statistischen Zahlen als Ausgangsgrundlage für die weitere Fortschreibung etwa des kommunalen Finanzausgleiches … herangezogen werden können.« [9]

Professor Brunnstein nannte die Volkszählung bereits im Oktober in einem Interview ein »größtes anzunehmendes Datendesaster«. [10] Festzustehen scheint, daß der ursprüngliche Zeitplan für die Volkszählung nicht eingehalten werden konnte, wonach die Zähler etwa 14 Tage nach dem Stichtag ihre Papiere abgeben sollten und die Grenze auch dann etwa drei Wochen nach dem Stichtag liegen durfte, wenn jemand mehrfach nicht angetroffen worden sei. [11]

Daß die Volkszählung politisch gescheitert ist, haben die Verfasser bereits an anderer Stelle vertreten [12], weiterer Bewertung bedarf es in diesem Zusammenhang eben-sowenig wie eine nochmalige gesonderte Aufzählung der Verstöße gegen das Volkszählungsgesetz. [13] Analysiert werden soll im folgenden die »Begleituntersuchung zur Volkszählung 1987« des Zentralarchivs für empirische Sozialforschung der Universität Köln unter Leitung von Prof. Dr. Erwin K. Scheuch.

Bis zum redaktionellen Abschluß dieses Beitrags erfolgte keine vollständige Veröffentlichung eines Zwischenberichtes der Begleitforschung, obwohl die vorliegende »Begleituntersuchung zur Volkszählung 1987. Zwischenbericht zum 17.7.87« betitelt ist. Im folgenden soll nun versucht werden, das Erkenntnisinteresse, die Untersuchungsmethoden und einige Ergebnisse der Kölner Begleitforscher kritisch zu analysieren und zu werten.

Die Untersuchung fragt nach Teilnahmeverhalten der Volkszählung, nach der Stimmung auf dem Höhepunkt der Kampagne, nach Vorurteilen, Einflüssen der Medien und des persönlichen Lebensumfeldes auf die Meinungsbildung der Bürger und Bürgerinnen. Sie ermittelt den Kenntnisstand bei Erhalt des Fragebogens; Einstellung zur Technik, zum Datenschutz, zur Bürokartie; die Zufriedenheit mit dem politischen System in Korelation zur Teilnahmeabsicht an der Volkszählung.

Auftraggeber war der »Wissenschaftliche Beirat für Mikrozensus und Volkszählung«, dessen Aufgabe es u.a. ist, alternative Methoden zur Volkszählung zu unter-suchen. Der Deutsche Bundestag formulierte bei der Verabschiedung des Volkszählungsgesetzes hierzu: »Der Deutsche Bundestag hat im Rahmen der VZ 87 noch keine Möglichkeit gesehen, statistische Merkmale auf freiwilliger Grundlage zu erfragen… Da das Bundesverfassungsgericht aber auch den Auftrag erteilt hat, alternative Erhebungsmethoden mit dem Ziel der Vereinfachung und der Freiwilligkeit bei einer Volkszählung zu entwickeln, soll die Bundesregierung diesbezüglich im Zusammenhang mit der Volkszählung 1987 Untersuchungen durchführen«. [14]

Gemessen an diesem Untersuchungsziel erscheint das Erkenntnisinteresse der Kölner Untersuchung, im folgenden Scheuch-Studie genannt, doch etwas vom Thema entfernt. So heißt es auf Seite 2 des Zwischenberichts unter »Themenschwerpunkte«: »Für besonders interessant halten wir die Erfassung von Aha-Effekten aufgrund der aufgeheizten Atmosphäre vor der Volkszählung einerseits und der Trivialität der tatsächlich bei der Volkszählung erhobenen Fragen andererseits.«

Eine solche Fragestellung unterstellt eine gegebene Harmlosigkeit der Volkszählungsfragen, die zwar dem Tenor der offiziellen Werbekampagne zur Volkszählung entsprechen mag [15], dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts jedoch eklatant zuwiderläuft. Dieses hat Volkszählungen zwar als zulässigen, jedoch strikt verhältnismäßigen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der einzelnen definiert: »Dabei kann nicht allein auf die Art der Angaben abgestellt werden. Entscheidend sind ihre Nutzbarkeit und Verwendungsmöglichkeit. Diese hängen … von den der Informationstechnologie eigenen Verarbeitungs- und Verknüpfungsmöglichkeiten ab. Dadurch kann für sich gesehen belangloses Datum einen neuen Stellenwert bekommen; insoweit gibt es unter den Bedingungen der automatischen Datenverarbeitung kein belangloses Datum mehr.« [16] Den Verfassern der Studie scheinen diese Auswirkungen der automatischen Datenverarbeitung unbekannt, obwohl sie sich für ihre Untersuchung offensichtlich ADV-unterstützter Befragungsmethoden bedienen.

Ein nächstes Untersuchungsziel lautet »Einschätzung der Akzeptanz einer Volkszählung bei Umstellung auf mildere Mittel« (S. 2). Damit reduziert sich das Erkenntnisinteresse auf reine Akzeptanzforschung, was nicht dem ursprünglichen Auftrag des Gesetzgebers genügen kann. Hier werden von politischer Seite aus entsprechende Fragen an den »Wissenschaftlichen Beirat« und die Bundesregierung zu stellen sein. Eine weitere Variable der Untersuchung stellt die »Stimmung auf dem Höhepunkt der Kampagne« dar. Die Verfasser der Studie stellen zunächst fest, die Kampagne der Volkszählungsgegner sei »heißer gelaufen als zunächst angenommen«, dadurch sei die Durchführung der Volkszählung hochgradig »politisiert«, und die Einstellungen zur VZ seien in hohem Maße »von Emotionen geprägt« (S. 2, 3).

Es fällt auf, daß die Verfasser offensichtlich schon bei der Abfassung ihrer Fragestellung wissen, wer — nämlich die Volkszählungsgegner — für das unterstellte emotionale Klima verantwortlich ist. Bei derartigem Vorverständnis wundert es nicht, daß bei der Befragung der Tatbestand »Beurteilung der Übergriffe auf Zähler« besondere Berücksichtigung findet, der in der Tagespresse zwar in einigen Fällen Beachtung fand, aber zum Teil noch vor Abschluß des »Zwischenberichts« zum Teil revidiert werden mußte. [17] Selbst wenn man positiv unterstellt, diese Fragestellung sei aufgrund einer sorgfältigen Inhaltsanalyse der Zeitungen notwendig gewesen, worauf der Tätigkeitsbericht des Projektes für den Zeitraum 1. April bis 15. Juli 1987 hinweist (S.1), so kann doch auch von Untersuchungen, die keinen kritisch-theoretischen Anspruch haben, eine gewisse Objektivierung erwartet werden. Selbst bei rein empirischer Auswertung konnten Meldungen der Tagespresse nicht verborgen bleiben, die über Interessenkonflikte von Zählern, unzureichende Abschottungsmaßnahmen und andere Probleme der Volkszählung berichteten. [18] Die Verfasser der Untersuchung fühlten sich dadurch offensichtlich nicht zu einer Änderung ihrer Fragestellungen provoziert, untersuchten dafür jedoch um so ausführlicher das »Aha-Erlebnis« nach Erhalt des Volkszählungs-Fragebogens unter dem Aspekt »Ausräumen von Vorurteilen durch Kontakt mit der VZ.« (S. 3, Nr. 2.1.4)

Die Formulierung der Fragestellung kann, insgesamt gesehen, den Eindruck nicht ausräumen, mit ausgeprägtem Vorverständnis offizieller Diktionen der Werbekampagne zur Volkszählung behaftet zu sein und dabei die elementaren Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes und des Gesetzgebers außer Acht zu lassen.

Das Kölner Projekt bedient sich nach vorliegenden Unterlagen in erster Linie einer Mehrfachbefragung von Personen, die Ergebnisse von drei Querschnittsbefragungen lagen zum Zwischenbericht vor, weitere waren geplant (S. 1). Zu den Interviewmethoden, über die bereits kritisch in der Alternativpresse berichtet worden ist [19], gibt der Zwischenbericht keinen weiteren Aufschluß. Offensichtlich ist jedoch zur Auswertung auf die ADV-Unterstützung des GETAS-Instituts in Hamburg zurückgegriffen worden. Einer näheren Untersuchung der Methoden muß eine Veröffentlichung der gesamten Studie vorausgehen, da die Umsetzung bestimmter Variablen zum Teil im dunklen bleibt. (So wird z.B. aus einer Fragebogenskalierung »sehr zufrieden/ziemlich zufrieden/ziemlich unzufrieden/unzufrieden« mit der Demokratie ein »zufrieden/unzufrieden«-Schema; Anhang 23.6.87, S. 3).

Auffällig erscheint bei der Auflistung der Ergebnisse die Gewichtung und Detaillierung der Angaben. Während unter der Überschrift »Entwicklung der Einstellung zur Volkszählung« nur sehr triviale Aussagen gemacht werden — wie etwa, »daß die
Beurteilung der VZ in den Medien nach Ostern in der Wahrnehmung der Befragten freundlicher wird«, oder daß statt 46,6% nunmehr 57,5% meinen, daß die Mehrheit der Bevölkerung für die VZ ist (S.11) —, wird wesentlich ausführlicher auf die sozio-politische Zusammensetzung der Volkszählungs-Kritiker eingegangen. Hier soll offensichtlich nach Zusammenhängen von politischer Einsteilung und Parteizugehörigkeit und Volkszählungs-Verhalten geforscht werden.

Im einzelnen: Zunächst wird festgestellt, daß eine Differenz zwischen negativer Einstellung zur Volkszählung und Bereitschaft zur Teilnahme besteht, kritische Haltung jedoch nicht unbedingt zum Boykott führt (S.12). Eine Untersuchung der Gründe erfolgt nicht. Aus Untersuchungen von Altersgruppen, Schulabschlüssen, politischer Selbsteinstufung in Abhängigkeit von der Volkszählungs-Einstellung werden sodann (S. 13) folgende Aussagen getroffen: Daß:

a) Jüngere eher als Ältere gegen die Volkszählung eingestellt sind;
b) formal höher Gebildete eher als weniger Gebildete;
c) links Eingestellte eher als rechts Eingestellte;
d) Wähler linker und extremer Parteien eher als Wähler von CDU/CSU und FDP.

Es ist kein Abschreibefehler, daß in der Aufzählung d) die SPD offensichtlich unter »linker und extremer Parteien« gesucht werden muß. Diese Untersuchungen werden zusätzlich nach Parteizugehörigkeit skaliert:

Sonntagsfrage (in %)

VZ-Einstellung     DKP     Grüne       SPD         FDP        CDU/CSU     NPD

eher positiv                      9,5          34,1       50,8         66,2          30,0

neutral                             6,8          16,7       17,5         12,2          30,0

eher negativ     100,0      83,6         49,2       31,7         21,6          40,0

Fallzahl                7          220          654       120          796             10

Weitere Fragen richten sich auf Korelationen zwischen VZ-Einstellung und anderen vermuteten Einflußfaktoren:

— Zufriedenheit mit der Demokratie,

— Bedeutung von Datenschutz,

— Einstellung zur Technik,

— Vertrautheit mit dem Umgang mit der Bürokratie.

Die Verfasser müssen bei Betrachtung ihres Ergebnisses jedoch feststellen, daß der hohe Anteil von 36,9% derer, die mit der Demokratie zufrieden sind, die aber trotz-dem negativ zur Volkszählung stehen, von ihnen so nicht erwartet wurde (S. 15). Nicht erwähnt wird an dieser Stelle, daß sich in den Querschnittsbefragungen lediglich 3,4% bzw. 2,4% der Befragten als »völlig unzufrieden« mit der Demokratie selbst bezeichneten (Anhang 30.6.87, S. 3).

Daß Zusammenhänge zwischen Datenmißbrauchsfurcht und Volkszählungseinstellung stehen, bestätigt die Studie ebenso, wie sie auch an dieser Stelle die Frage offen läßt, wieso kritische Einstellung und Volkszählungsverhalten wiederum z.T. auseinanderfallen. Die ebenfalls abgefragte Korrelation mit der Einstellung zur Technik im allgemeinen und zu Schwierigkeiten mit dem Umgang mit den Behörden bringen vom Ergebnis nach Interpretation der Verfasser zutage, daß Technikkritiker eher kritisch zur Volkszählung stehen (immerhin sehen 37,1 der Technikbefürworter die Volkszählung negativ (S. 16). Über die variable Bürokratie sind verwertbare Schlüsse kaum zu ziehen.

Intensiv widmet sich die Studie der Frage, inwieweit sich das persönliche Lebensumfeld bestimmend für die Meinungsbildung zur Volkszählung auswirkt und billigt diesem eine höhere Bedeutung zu als der öffentlichen Meinung (S. 18).

Der letzte Punkt widmet sich der Reaktion auf Zwangsmaßnahmen des Staates. Dabei kommt die Studie selbst zum interessanten Ergebnis, daß auch eine Mehrheit von 55,8% der Volkszählungs-Befürworter ein Bußgeld für den Boykott der VZ ablehnt. Dies wird von den Autoren der Studie folgendermaßen interpretiert: »Es zeigt sichs daß selbst bei den Befürwortern der VZ die Sanktionsdrohung umstritten ist. Gleichzeitig erwartet nur eine Minderheit tatsächliche Vollstreckung der Zwangsmaßnahmen. Dem Staat wird auch hier nicht mehr zugetraut, den Gesetzesmöglichkeiten entsprechend zu reagieren, falls Gruppen den Gesetzesgehorsam verweigern.« (S. 19)

Allerdings wird auch bestätigt, daß der Sanktionsdruck die Bereitschaft erhöht, an der Volkszählung teilzunehmen.

Die bisher vorliegenden, unveröffentlichten Fragmente der Begleitforschung weichen eklatant vom Auftrag des Gesetzgebers und des Bundesverfassungsgerichts ab. Sie sind immanent von einem unkritischen Vorverständnis der Untersuchenden geprägt, was sich in den wertenden Fragestellungen und Auswertungen niederschlägt. Es stellt sich die Frage, wieso das Erkenntnisinteresse der Untersuchung ausführlichst auf Motive, persönliche und politische Einstellungen von Verweigerern abgestellt ist, während die eine Totalerhebung beeinflussenden gesellschaftlichen Faktoren wie Durchführungsschwierigkeiten, Verstöße gegen Datenschutzvorschriften, fehlende Vorbereitungen der Verwaltungen auf ein solches Unternehmen usw. nicht berücksichtigt werden. Auch ihre Perzeption durch die teilnehmenden Personen wird nicht erfragt.

Die Untersuchung des Kölner Zentralarchivs für empirische Sozialforschung wirft bisher mehr Fragen auf als sie beantworten kann. Ihre Funktion kann lediglich in einer Art »Wahlmotivforschung« gesehen werden, sie liefert bisher keine Erkenntnisse zur Entwicklung von Alternativen zur Totalerhebung.

Es bedarf der Klärung, inwieweit dies dem Interesse der Auftraggeber zuzuordnen ist. Ebenso bedarf die um die Begleitforschung betriebene Informationspolitik der Aufklärung, muß doch die Frage erlaubt sein, wieso ein Zwischenbericht vom 17. Juli 1987 im Dezember noch nicht veröffentlicht werden konnte.

Nicht auszuschließen ist, daß die Ursache hierfür in zwei Passagen liegt, die Aussagen von Volkszählungsgegnern bestätigen, jedoch offiziellen Sprachregelungen des Bundesinnenministeriums zuwiderlaufen. So heißt es auf Seite 4 des Scheuch-Papiers:. »Unser Vertrauen in die Funktionsfähigkeit der deutschen Kommunalverwaltungen war bei der Fragebogenentwicklung noch ungetrübt. Daher leidet auch unser Fragebogen unter der schleppenden Durchführung der VZ.« Sowie: »Auffällig ist das Ansteigen der Verweigerungen mit zunehmender zeitlicher Nähe zur Volkszählung. Wir deuten dies als kurzfristige Reaktion auf eine Kampagne gegen das Gezählt-werden.« (S. 11) —Dagegen hatte doch das Bundesinnenministerium ein Sinken der Verweigererquote auf 3% am 11. S .1987 [20] und auf unter 2 °10 nach dem 25.5.1987 herunterdiskutiert.

Der »Wissenschaftliche Beirat« bestehend aus den Professoren Schäffer und Esser aus Köln, Grobmann (Frankfurt) und Walter Müller (Mannheim) hatte bereits am 12. Mai sein Ergebnis vorweggenommen: Demnach ließen sich auch in Zukunft Ziele einer Volkszählung nicht mit anderen statistischen Verfahren erreichen. [21] Dies führt zur letzten Frage: Warum dann noch Geld für die Begleitforschung?

Verweise

1 Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 1 BvR 209/83 vom 15.12.84, Seite 59
2 Näheres siehe: Volkszählung: Technokratischer Konservatismus als Gesetz in: Appel/Hummel, Vorsicht Volkszählung, Köln 1987, Seite 13ff
3 Deutscher Bundestag, Innenausschuß, Protokoll der 57. Sitzung, 10. Legislaturperiode, öff. Anhörung zum VZG
4 DtBt Drs. 10/3843, S. 4, Nr. 2.5
5 Rundbrief Nr. 11 des Koordinierungsbüros gegen den Überwachungsstaat in Bonn, S. 5                                                       6 Saarbrücker Zeitung vom 22.11.1987
7 Kölner Stadtanzeiger vom 20.10.87
8 Wiesbadener Tageblatt 16.9.87
9 Baden-Württembergische Gemeindezeitung Nr. 18/87 S. 665                                                                                                        10 »Frontal« Oktober 1987
11 DtBt Drs. 10/3843, S. 43
12 R. Appel /Hummel: Über den Bogen hinaus denken — vom Volkszählungs-Boykott zur Bürgerrechtsbewegung: in: Demokratie und Recht 4/87
13 s. dazu Peter Hauck-Scholz; in: Demokratie und Recht 4/87
14 Dt. Bundestag Beschlußempfehlung und Bericht zum VZG Drs. 10/3843, S. 4
15 s. Flugblatt »Das sind die Fragen« o.D., Hg. vermutlich Statistisches Bundesamt, im April bundesweit an alle Haushaltungen verteilt
161 BvR 209/83, S. 47
17 etwa »Kölner Illustrierte« 7,87
18 Diesen Verstößen hat die Landesdatenschutzbeauftragte Baden-Württemberg, Frau Leuze, inzwischen einen umfangreichen Bericht gewidmet. LT-Drs. 9/4015 und 9/4667.
19 Stadt-Revue Köln, Mai 1987, S. 48
20 dpa-Meldung vom 11.3.87, 13,30 Uhr
21 Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 12. Mai 1987

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