Rechtliche Grenzen kommunaler Friedenspolitik? (Dokumentation)
Dokumentation
aus: vorgänge Nr. 91 (Heft 1/1988), S. 129/130
Thesen, vorgetragen im Rahmen des öffentlichen Hearings des Main-Kinzig-Kreises über „Handlungsmöglichkeiten der Kommunen im Hinblick auf die praktische Umsetzung eines Kreistagsbeschlusses zur ABC-waffenfreien Zone Main-Kinzig-Kreis“ am Samstag 17.10.1987 in der Klosterberghalle in Langenselbold
1. Für kommunale Friedenspolitik durch vielfältige organisatorische, finanzielle und inhaltliche Initiativen bestehen keine prinzipiellen verfassungsrechtlichen oder kommunalverfassungsrechtlichen Grenzen, etwa in dem Sinne, daß die ausschließlichen Bundeszuständigkeiten zur Gesetzgebung und Verwaltung in den Sachgebieten „Außenpolitik“ und „Verteidigung“ den Kommunen jede „Befassung“ mit Fragen des Friedens, der Rüstung, der Waffenproduktion, des Waffentransportes und der Waffenstationierung und auch des Überlebens der Menschen und der Menschheit trotz der Atomkriegsdrohungen und Atomkriegsgefahren verbieten.
2. Veranstaltungen der Basis- und Weiterbildung von der Grundschule über Volkshochschulen, öffentliche Vorträge und Diskussionen bis zu Jubiläumsfeiern der nationalen, regionalen und lokalen Geschichte sind ursprüngliche kommunale Aufgaben und von jeder Begrenzung durch die Verteilung der Regelungs- und Entscheidungszuständigkeiten zwischen Bund, Ländern und Kommunalverbänden frei.
3. Petitionen, mit denen die Kommunen in Bereichen ohne eigene Regelungs- und Entscheidungszuständigkeiten „von den zuständigen Stellen“ auf Bundes- oder Landesebene ein bestimmtes Handeln, Dulden oder Unterlassen in deren Zuständigkeitsbereichen verlangen oder erbitten, sind den Gemeinden ebenso erlaubt wie jedem Bürger. Sie sind sogar schon im Rahmen von Macht- und Verfassungsverhältnissen praktiziert worden, denen Demokratie und Grundrechte fremd waren. Deshalb ist auch der Einwand falsch, Gemeinden als Teil der Gesamtstaatsorganisation besäßen kein Grundrecht der Petitionsfreiheit.
4. Beschlüsse von Kommunalorganen mit eigenem Regelungs- oder Entscheidungsanspruch sind durch die Regelungs- und Entscheidungszuständigkeiten von Bund, Land und höherem Kommunalverband begrenzt. Solche Begrenzungen liegen aber nur vor, wenn die Kommune in Bereichen anderer Zuständigkeit wirklich einen eigenen Regelungs- oder Entscheidungsanspruch erhebt, z.B. den Beschluß faßt: „Die Stadt X wird zur atomwaffenfreien Zone erklärt. Jegliche Stationierung von Atomwaffen ist nicht gestattet. Die Verwaltung unterrichtet hiervon die zuständigen militärischen Stellen.“ (Beschlußantrag zur Stadtratssitzung Pforzheim 1.9.81)
Beschränken sich solche Beschlüsse dagegen ausdrücklich auf den „Rahmen des geltenden Rechts“ oder den „Rahmen ihrer kommunalen Zuständigkeiten“, so sind sie in diesem Rahmen auch rechtmäßig. Dieser Rahmen kommunaler Zuständigkeiten im geltenden Recht ist auch nicht etwa nur politische Theorie sondern geltendes Recht:
a) Kommunale Zuständigkeiten im Bereich der Außen- und Verteidigungspolitik, in deren Rahmen entsprechende kommunale Beschlüsse geltend gemacht werden können, gibt es ausdrücklich in mehreren Gesetzen zur Bereitstellung militärischer Infrastruktur wie dem Landbeschaffungsgesetz und dem Schutzbereichsgesetz, Zivilschutz- und Luftverkehrsgesetz.
b) Auch aufgrund ihrer allgemeinen Zuständigkeit und Aufgabe können Kommunen militärische Vorhaben, z.B. der Stationierung, erleichtern oder erschweren, beschleunigen oder verzögern, z.B. bei der Bereitstellung oder Beschaffung von Land und beim Anschluß an Ver- oder Entsorgungsanlagen.
5. Beschlüsse über allgemeine Willenserklärungen ohne Regelungs- oder Entscheidungsanspruch mit dem Charakter als Resolutionen sind jedenfalls in Lebens- und Überlebensfragen der Gemeindebürger unbegrenzt zulässig, wie sie durch die Stationierung der tödlichsten Waffen der Menschheitsgeschichte gestellt sind, deren Gefährlichkeit durch militärstrategische Planungen, ideologische Feindbilder und Erwartungen des Jüngsten Gerichts zu unseren Lebzeiten zur unmittelbaren Bedrohung geworden ist.
6. Das Urteil der BVerfG v. 30.7.1958 ist kein Präjudiz gegen kommunale Beschlüsse und Resolutionen, weil es einen wesentlichen Sachverhalt, nämlich die Frage betraf, ob „auf deutschem Boden Streitkräfte mit atomaren Sprengkörpern ausgerüstet und atomare Abschußbasen eingerichtet werden sollen“.
7. Rechtmäßige kommunale Friedenspolitik darf auch internationalisiert werden: in herkömmlichen Städtepartnerschaften ebenso wie im Rahmen des Städtebündnisses Hiroshima-Nagasaki.
8. Diese Thesen dienen auch der Aufklärung der typischen juristischen Oberbedenkenträger in Behörden, Aufsichtsbehörden und Obersten Landesbehörden.