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Rechtsruck in der EU nach den Parla­ments­wahlen – Was zu befürchten ist

Nach dem Wahlerfolg autoritär-rechter Parteien bei der Wahl des Europaparlaments stellt sich die Frage, wie sich die Politiken dieses Parlaments ändern werden und was dies für Menschenrechte und emanzipatorische Projekte bedeutet. In ihrem Beitrag untersucht Birgit Sauer die Ursachen des Rechtsrucks in Europa und einigen europäischen Ländern. Der Neoliberalismus und die materielle Krise der neoliberalen Akkumulationsweise führen, so Sauer, zu einer Krise der bürgerlich-patriarchalen kapitalistischen Hegemonie und der politischen Autorität.

 

Darüber hinaus plausibilisiert Sauer die Befürchtung, dass dies zu einem Demokratieabbau in der EU und insbesondere zur Beschneidung von Asyl- und Gleichstellungsrechten sowie der Anti-Diskriminisierungpolitik kommen wird. Die Normalisierung rechter Politiken sind ein Alarmzeichen dafür, dass der Rechtsruck nicht nur auf der politischen Ebene betrachtet werden sollte, sondern auf fundamentale Veränderungen von Gesellschaften, Staat und Politik verweist.

Der Rechtsruck nach den Wahlen zum Europä­i­schen Parlament

Die Repräsentations- und Machtverhältnisse im Europäischen Parlament (EP) haben sich nach den Wahlen im Juni 2024 – wie auch schon nach den Wahlen 2014 und 2019 – deutlich nach rechts verschoben. Autoritär-rechte Parteieni konnten ihren Stimmenanteil noch einmal um fünf Prozent im Vergleich zu den Wahlen 2019 steigern, und sie halten nun rund ein Viertel der Mandate im EP.

Autoritär-rechte Parteien haben insbesondere in den großen Mitgliedsländern Frankreich, Deutschland und Rumänien deutlich dazugewonnen. Zwei der drei größten nationalen Parteien im neuen EP zählen zur autoritären Rechten: Der französische „Rassemblement National“ (RN) ist mit 30 Abgeordneten die größte Partei des EP, und die italienischen „Fratelli d’Italia“ bilden mit 24 Abgeordneten die drittgrößte Partei (Mudde 2024: 126-127). Allerdings konnten die sogenannten Parteien der Mitte, die „Europäischen Volksparteien“ (EVP), die Fraktion der „Sozialisten & Demokraten“ (S&D) sowie die liberale Fraktion „Renew Europe“ eine Mehrheit im EP halten.

Der Stimmengewinn der autoritären Rechten sowie die Entwicklungen in manchen nationalen Parteien führten allerdings zu einer weiteren Spaltung des rechten Blocks. Im neuen EP gibt es nun drei Fraktionen rechtsautoritärer und rechtskonservativer Parteien, also eine Fraktion mehr als im vorherigen Parlament: Die neue Fraktion „Patrioten für Europa“ (PfE), zu der die ungarische Fidesz, die „Freiheitliche Partei Österreichs“ (FPÖ), die spanische „Vox“, die niederländische „Partei der Freiheit“ (PVV) und der RN gehören, hat 84 Sitze. Die ebenfalls neue extrem rechte Fraktion „Europa Souveräner Nationen“ (ESN), zu der die „Alternative für Deutschland“ (AfD) und die tschechische Partei „Freiheit und direkte Demokratie“ (SPD) gehören, umfasst 25 Sitze, und zur Fraktion der „Europäischen Konservativen und Reformer“ (EKR) mit 78 Sitzen gehören die polnische PIS („Recht und Gerechtigkeit“) sowie die „Fratelli d’Italia“.

Das EU-Parlament spiegelt freilich die politischen Machtverhältnisse in den EU-Nationalstaaten wider, wo rechtsautoritäre Parteien ebenfalls Wahlen gewinnen, so wie in Österreich die FPÖ, die bei den Parlamentswahlen im September 2024 stimmenstärkste Partei wurde, oder die AfD, die bei Landtagswahlen in drei deutschen Bundesländern im Herbst 2024 erhebliche Stimmen dazugewann und in Thüringen stärkste, in Brandenburg und Sachsen zweitstärkste Partei wurde. In zahlreichen EU-Ländern sind rechtsautoritäre Parteien an der Regierung beziehungsweise an Regierungskoalitionen beteiligt. In Ungarn ist die autoritär-rechte Fidesz schon seit 2010 ununterbrochen an der Macht, Italien hat seit 2022 eine rechte Regierung, in Finnland ist die rechte Partei „Finnen“ an der Regierung beteiligt, und in der Slowakei regiert die rechte SNS (Slowakische Nationalpartei) zusammen mit der sich sozialdemokratisch nennenden Partei „Smer“ (Richtung – Slowakische Sozialdemokratie), die allerdings deutlich rechte Positionen vertritt. Auch die Schwedendemokraten (SD) stützen die Regierung aus dem Parlament heraus, während in den Niederlanden die rechte PVV bei der Wahl im November 2023 die Stimmenmehrheit errang und im Mai 2024 mit der liberalen „Volkspartei für Freiheit und Demokratie“ (VVD) und weiteren Parteien eine Koalition einging, allerdings ohne Minister*innenposten zu übernehmen. In Kroatien bildete die konservative HdZ (Kroatische Demokratische Gemeinschaft) im Mai 2024 eine Koalition mit der rechten DP (Heimatbewegung) (Winzen 2024: 109).

Diese politische Lage widerlegt die These, dass Wahlen zum EP sogenannte zweitranige Wahlen seien, das heißt für die Wähler*innen nicht so wichtig seien, weshalb sie, anders als bei nationalen Wahlen, seltener strategisch wählten, sondern ihrem Unmut und Protest Ausdruck verliehen (Mudde 2024: 123). Vielmehr zeigt sich der nationale Trend nach rechts auf nationalen Ebenen und auch sehr deutlich auf der EU-Ebene – und er scheint sich auf nationaler wie übernationaler Ebene zu verfestigen.

Ein Blick auf die Performance der AfD verdeutlicht den Trend: Die AfD konnte sich im Vergleich zur vergangenen Europawahl um knapp fünf Prozentpunkte auf 15,9 Prozent verbessern. Sie dominierte insbesondere in den ostdeutschen Ländern, wo sie um acht Prozentpunkte zulegte und im Schnitt einen Stimmanteil von 30,1 Prozent erzielte, womit sie für die Europawahl die stärkste Partei in der Bundesrepublik wurde (Franz et al. 2024: 480).

Für Deutschland wurde darüber hinaus deutlich, dass die AfD extrem rechte Politiker*innen auf die Wahllisten zum EP platzierte: Den Spitzenplatz nahm Maximilian Krah ein, der dokumentierte Kontakte in die rechtsextreme Szene, ebenso wie zu Russland und China hat, und der vor Nazi-Vokabular ebenso wenig zurückschreckt, wie vor Anleihen in der maskulinistischen „Mannosphäre“ des Internets (vgl. Kaiser 2020), um eine Krise weißer Männlichkeit zu beschwören. Krah wurde inzwischen aus der AfD-Gruppe im EP ausgeschlossen. Doch Petr Bystron, der Zweitplatzierte auf der EP-Wahlliste der AfD, ist ebenfalls für seine rechtsextremen Ansichten und Verschwörungserzählungen wie für seine Putin-Unterstützung berüchtigt (Arzheimer 2024: 182).

Ursachen des Siegeszuges rechts­au­to­ri­tärer Parteien in Europa

Wie ist der Siegeszug der autoritären Rechten in den europäischen Nationalstaaten und auf EU-Ebene zu erklären? Die Wahlgewinne der autoritären Rechten haben vielfache und national unterschiedliche Ursachen. Einige Parameter seien hier benannt: Die neoliberalen Umstrukturierungen sowie die multiplen Krisen des Neoliberalismus – die Finanzkrise 2008/2009, die Covid-Pandemie und die Inflation –, aber auch die steigende Zahl der Geflüchteten und der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine führten zu immenser Verunsicherung, aber auch zu realen Wohlstandsverlusten bei großen Bevölkerungsgruppen oder auch lediglich zu Angst vor sozialem Abstieg. Gleichzeitig hatte die Finanzialisierung des Kapitalismus die Schere zwischen weniger Wohlhabenden und Superreichen deutlich aufgehen lassen. Dies führte bei vielen Arbeitenden zu Zukunftsangst, aber auch zum Vertrauensverlust in die Regierungen. Und dies nicht ohne Grund: Die sogenannten Parteien der Mitte waren am Abbau der europäischen Wohlfahrtsstaaten beteiligt, und sie kündigten den bürgerlichen, in der Regel auch patriarchalen Wohlfahrtsstaatskonsens auf. Die neoliberalen Krisen sind somit zunehmend begleitet von einer ökonomischen Umstrukturierung, von wohlfahrtsstaatlichem Abbau sowie einer Erosion der bürgerlich-kapitalistischen Hegemonie und der politischen Autorität, denn die Parteien der Mitte sind immer weniger in der Lage oder willens, einen gesellschaftlichen Konsens herzustellen und dadurch die europäischen Gesellschaften auf der Basis von mehr Gleichheit und Solidarität zu integrieren. Sie ließen es vielmehr zu, dass die Schere zwischen arm und reich weiter auseinanderging.

Autoritär-rechte Parteien verschärfen seit geraumer Zeit diskursiv und emotional diese multiplen Krisen, insbesondere die Krise der Hegemonie und deuten die Krisen im Kontext ihrer „Metapolitik“ii um – nämlich als „Flüchtlingskrise“, als Gefahr durch Migrant*innen, die vermeintlich in europäische Wohlfahrtsstaaten einwandern, um diese auf Kosten der nationalen Bevölkerungen auszunutzen, und die dadurch den Wohlstand der Menschen gefährdeten. Diese „moralische Panik“ (Hall et al. 1978: 17) wird verstärkt durch einen Diskurs der autoritären Rechten, der vor allem weiße Männer zu Opfern der politischen Elite, von Gleichstellungspolitiken und von Migrant*innen macht. Die autoritäre Rechte beschwört insbesondere in Ländern mit traditionell konservativen Geschlechterregimen wie Deutschland oder Österreich eine „Krise weißer Männlichkeit“ (Sauer 2024). Dieser „cultural war“ am Nexus von Geschlecht und Migration verfängt ganz offensichtlich in der Krise der Hegemonie und Autorität. Verschärft wurde dies in der Covid-Pandemie, als viele rechtsautoritäre Parteien in die Gegendemonstrationen gegen Anti-Covid-Maßnahmen einstimmten und die Wut gegen Regierungen und Expert*innen weiter schürten. So konnten sie nicht nur die Krise der politischen Autorität vor Augen führen und verschärfen, sondern auch Frustration und Angst für ihre Mobilisierung nutzen.

Norma­li­sie­rung autori­tä­r-rechter Erzählungen

Außerdem wurden rechte „affektive Narrative“ (Bargetz/Eggers 2022) in den vergangenen Jahren normalisiert. Dies zeigt sich nicht allein an den Regierungsbeteiligungen rechtsautoritärer Parteien, sondern auch an der Verschiebung des öffentlichen Diskurses, des öffentlich Sagbaren und der Normen des Fühlbaren und nach rechts (Wodak 2020). Damit verschärften sich auch einige Politiken. Konservative Regierungen waren beispielsweise die ersten, die die Verschärfung von Asylgesetzen umsetzten. Der Bundeskanzler von der Österreichischen Volkspartei (ÖVP), Sebastian Kurz, der eine Regierungskoalition mit der FPÖ eingegangen war, brüstete sich (fälschlicherweise) damit, die „Balkanroute“ geschlossen zu haben. In Bezug auf den Umgang mit Geflüchteten konnten sich autoritär-rechte Forderungen, die sich zuerst in Dänemark in einem restriktiven Migrationsregime niederschlugen, mittlerweile auf der EU-Ebene durchsetzen (Mudde 2024: 122). Der Migrations- und Asylpakt der EU vom Mai 2024 ist Ausdruck eines sichtbaren Abschottungswillens – auch wenn zugleich innerhalb der EU-Länder die Geflüchteten gerechter verteilt werden sollen.

Die Europäischen Volksparteien hatten in ihren Wahlkampagnen zum EP 2024 das Thema Migration zentral gesetzt, dabei die rechten Frames übernommen und somit normalisiert. Dieses Wahlkampfthema kam letztendlich den rechtsautoritären Parteien zugute (Mudde 2024: 124-125). Ebenso haben konservative Parteien in Deutschland (CDU/CSU) und Österreich (ÖVP) das Verbot geschlechterinklusiver Sprache, propagiert von rechtsautoritären Parteien, in ihre Programmatik übernommen (Beck 2023).

Ändert sich alles, oder bleibt es, wie es ist?

Wie wird sich nun die Politik auf der EU-Ebene, wie wird sich das Projekt der EU-Integration angesichts der starken rechtsautoritären Parteien auf nationaler Ebene wie im EP weiterentwickeln? Cas Muddes (2024: 130) Einschätzung ist, dass sich die Situation höchstwahrscheinlich nicht dramatisch verschlechtert. Es werde zwar aufgrund der desintegrativen Kräfte, die der EU skeptisch gegenüberstehen, schwer werden, die Europäische Integration weiter voranzutreiben und zu stärken, doch die EU-Institutionen würden vermutlich wie bisher auch eine Strategie des Durchwurschtelns mehr oder weniger erfolgreich verfolgen (Mudde 2024: 122). Dies sei deshalb wahrscheinlich, weil es ihre ideologische und organisatorische Spaltung der autoritären Rechten schwer mache, eine rechte Mehrheit im EP zu mobilisieren. Zum anderen sei die EU eine komplexe Organisation, die stets Kompromisse zwischen den beiden unterschiedlichen politischen Lagern herbeigeführt habe, jenem der Intergouvenementalisten, die wie die autoritären Rechten die EU beschränken wollen, und jenen, die sie stärken wollen. (Mudde 2024: 130)

Auch Thomas Winzen (2024: 102) prognostiziert, dass wahrscheinlich „der Status quo hält, also, dass rechte Parteien aufgrund der Brandmauer im Parlament und der geringen Präsenz im Rat geringen Einfluss haben werden“. Zudem besitze das EP „effektive Mechanismen, legislative Kompromisse ohne rechte Parteien herbeizuführen“, wie das „Ausschuss- und Berichterstattungswesen“, das stets genügend Spielraum für zwischenparteiliche Verhandlungen und damit für Einigung jenseits der autoritären Rechten geöffnet habe (Winzen 2024: 107).

Meines Erachtens ist diese Sichtweise fahrlässig und verkennt die Gefahr, die von rechtsautoritären Parteien, deren Dominanz und Streben nach kultureller Hegemonie und politischer Macht ausgeht. Die Strategie der Metapolitik kann ihnen zukünftig in den Nationalstaaten noch mehr politische Macht verschaffen, um dort – wie auch auf der EU-Ebene – ihre reaktionären Politiken, zumindest aber ihre Blockade gegenüber sozialen und emanzipatorischen Zielen, zu verfolgen. Ich erinnere an die „Visite“ in Österreich, als die rechts-konservative Regierung 2000 ins Amt kommen sollte. Eine von der EU beauftragte sogenannte Troika sollte die Regierung unter Beteiligung der FPÖ auf ihre Demokratiekompatibilität prüfen. Das wäre heute angesichts des Rechtsrucks in der EU nicht mehr denkbar. Rechtsautoritäre Parteien lehnen im Gegenteil Bemühungen der EU ab, „die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedstaaten zu stützen“ (Winzen 2024: 105).

Demokra­tie­abbau, schwache Insti­tu­ti­onen und Abbau von Rechten in der EU

Welche Programmatik – sofern man die antagonistische Mobilisierung überhaupt so bezeichnen kann – verfolgen die autoritär-rechten Parteien auf EU-Ebene? Nicht alle rechtsautoritären Parteien schwadronieren über einen Ausstieg aus der EU. Doch auch wenn beispielsweise die FPÖ nie offen für einen EU-Austritt Österreichs plädierte, so hat sie aber den Brexit durchaus als eine begrüßenswerte Option gesehen – nicht zuletzt im Sinne ihrer Forderung der Renationalisierung der EU. Im EP-Wahlkampf 2024 forderte die FPÖ konsequenter Weise, die Kompetenzen und das Budget der EU drastisch zu beschneiden. (Miklin 2024: 41/44) Trotz innerer Konflikte teilen rechtsautoritäre Parteien die Ablehnung starker EU-Institutionen wie beispielsweise eine institutionell unabhängige Kommission als „Hüterin der Verträge“, und ein Parlament mit starken gesetzgeberischen Befugnissen oder den Europäischen Gerichtshofs (EuGH) (Winzen 2024: 104f.). Rechtsautoritäre Parteien torpedieren seit ihrem Erstarken die Entscheidungsfindung des EP (Ahrens/Elomäki/Kantola 2022: 270) – und damit eine demokratischere EU. Der österreichische EU-Abgeordnete Harald Vilimsky (FPÖ) unterstützte beispielsweise die Idee Victor Orbáns, die Wahl des EP wieder abzuschaffen und dazu zurückzukehren, dass wie vor 1979 nationale Parlamentsmitglieder ihre Mitgliedsstaaten auf der EU-Ebene repräsentieren (Miklin 2024: 44). Autoritär-rechte Parteien sprechen sich neben dieser expliziten Entdemokratisierung gegen Mehrheitsabstimmungen im Europäischen Rat aus und drängen auf die Beibehaltung der Konsensnorm, da diese tendenziell rechten nationalen Regierungen Vorteile bringt (Winzen 2024: 102). Zu vermuten ist, dass rechtsautoritäre Parteien insgesamt eine inhaltlich autoritäre und institutionell schwache EU anstreben, die auch und vor allem „Autokratisierung in den Mitgliedstaaten passiv hinnimmt“ (Winzen 2024: 102). „Europa der Vaterländer“ ist ein Kampfbegriff rechter Parteien, der es ihnen erlaubt, für nationale Autonomie und Renationalisierung der EU zu plädieren und sich trotzdem auf Europa zu beziehen (Hentges/Platzer 2021), denn letzteres müssen sie ja, um auf der EU-Ebene weiterhin Einfluss zu erhalten.

Doch rechtsautoritäre Parteien vertreten Ziele, die nicht nur auf eine Schwächung der EU-Institutionen und den Abbau demokratischer Entscheidungsverfahren abheben, sondern sie wollen vor allem für ihre politische Strategie zentrale vergemeinschaftete EU-Politiken verändern. Dazu zählen die Zurücknahme des Rechts auf Asyl und von gleichstellungsorientierten Maßnahmen sowie von Anti-Diskriminierungspolitiken, aber auch des Umweltschutzes. In einigen Politikfeldern werden die autoritären Rechten von konservativen Parteien unterstützt, wie in der Umwelt- und Klimapolitik, also dem Bemühen, den europäischen „Green Deal“, das EU-Renaturierungsgesetz und das Aus für Verbrennermotoren zu boykottieren (Miklin 2024: 45). Doch auch in anderen Politikbereichen wie in der Migrationspolitik sowie im Bereich von Gleichstellung und Anti-Diskriminierung zeichnen sich Demokratieschäden und ein Abbau von Rechten bereits ab.

Migra­ti­ons­po­litik als Nekro­po­litik

Um ihr ethnopluralistisches Konzept zu realisieren, das sie in erster Linie auf nationaler Ebene erreichen wollen, unterstützen rechtsautoritäre Kräfte die Sicherung und Abschottung der Außengrenzen der EU. Dementsprechend lehnen rechtsautoritäre Parteien eine offenere Migrationspolitik und eine menschenrechtsorientierte Asylpolitik ebenso ab wie Solidarität bei der Verteilung von Geflüchteten in den Mitgliedstaaten.iii Die Obstruktion einer gleichmäßigen Verteilung von Geflüchteten auf alle EU-Staaten soll den Druck auf jene Länder mit EU-Außengrenzen und damit auf die EU insgesamt erhöhen, um eine restriktivere Asylpolitik zu legitimieren und durchzusetzen.

Ihre Kritik am Migrations- und Asylpakt machte die FPÖ im EP-Wahlkampf 2024 zur Wahlsiegerin in Österreich (Miklin 2024: 41). Die FPÖ spitzte die Anti-Migrations- und Anti-Asyl-Politik in der Formel der „Festung Österreich“ und im Projekt der „Remigration“, also der Deportation von Migrant*innen zu. Entsprechend ihrer ethnopluralistischen Programmatik handhaben rechtsautoritäre Parteien nationale Zugehörigkeit restriktiv, fordern die Schließung der EU-Außengrenzen – ein illusionäres Projekt – und nehmen dabei den Tod von Geflüchteten willentlich in Kauf. Dies bezeichne ich im Anschluss an Achille Mbembe (2011) als Nekropolitik, als eine Politik, die den Tod von als „anders“ definierten Menschen nicht nur toleriert, sondern propagiert. Die Konstruktion der „Festung Europa“ wird weitergehen, da die autoritären Rechten von den konservativen EVP-Parteien darin unterstützt werden. Und dies wird mental gerechtfertigt durch eine Stimmung oder Haltung, die Wilhelm Heitmeyer (2018) als „rohe Bürgerlichkeit“ charakterisiert.

Anti-Gender und Opposition gegen Gleich­stel­lungs- sowie Anti-­Dis­kri­mi­nie­rungs­po­litik

Was bedeutet der Rechtsruck für Gleichstellungs-, Geschlechter- und Anti-Diskriminierungspolitik? Am Beispiel dieser Politikfelder zeichnen sich die Schäden durch ein Erstarken der autoritären Rechten im EP schon seit längerem ab (Ahrens/Elomäki/Kantola 2022). Auch Mudde (2024: 131) konzediert, dass es sehr wahrscheinlich ist, dass das neue EP die Rechte von Frauen sowie von ethnischen, religiösen und sexuellen Minderheiten schwächen wird.

Die EU wurde gewiss nicht als gleichstellungspolitisches Projekt gegründet, doch entwickelten sich ihre Institutionen – nicht zuletzt der EuGH vor allem seit den 1990er Jahren – zu Katalysatoren nationalstaatlicher Gleichstellung und Anti-Diskriminierung. Die EU verfolgt seit den 1990er Jahren eine neoliberale Gleichstellungspolitik, insbesondere die Integration von Frauen in den Erwerbsarbeitsmarkt, begleitet von Anti-Diskriminierungs- und Anti-Gewaltpolitiken, die die Erwerbsfähigkeit von Frauen steigern sollen. Trotz dieser pessimistischen Sicht auf EU-Gleichstellungsmaßnahmen ist deutlich, dass mit diesen Politiken doch gewisse Gleichstellungs- und Freiheitsgewinne für bestimmte Frauengruppen, vor allem der Mehrheitsgesellschaften westlicher und nordischer EU-Staaten, verbunden sind: gleicher Lohn, gerechtere Repräsentation im Erwerbsleben, partielle Anerkennung von Sorgearbeit, Integration von Vätern in Sorgeverantwortung und Schutz vor häuslicher Gewalt. Insbesondere das EP hat sich in den vergangenen Jahren als starke Vertreterin von Gleichstellungsrechten und als Motor der Frauenförderung – auch jenseits der Arbeitswelt –, aber auch für Anti-Diskriminierungsmaßnahmen aufgrund von Sexualität und Ethnizität erwiesen (Ahrens et al. 2023; Kantola/Lombardo 2023).

Gerade im EP gelang es den rechtsautoritären Kräften seit ihren Stimmengewinnen eine geschlossene Opposition vor allem bei Themen zu formen, die vergleichsweise neue politische Cleavages betreffen – wie Geschlechtergleichheit und Anti-Diskriminierung (Ahrens/Elomäki/Kantola 2022: 271). Seit 2014 wurde die gesetzgebende Macht des EP gerade in Bezug auf Gleichstellung und Anti-Diskriminierung zunehmend herausgefordert, nicht nur durch rechte, sondern auch konservative Kräfte (Ahrens et al. 2023: 1075). Gegen diese Maßnahmen unter dem Sammelbegriff Gender Mainstreaming richtet sich die autoritäre Rechte in vielen europäischen Ländern in ihrem Kulturkampf gegen Gender, ihrem Kampf um kulturelle Hegemonie und politische Macht (Kuhar/Paternotte 2017). In Zukunft ist im EP mit mehr aktiver Opposition gegen Gleichstellungspolitik zu rechnen (Kantola/Lombardo 2023: 306). Dies ist nicht zuletzt deshalb für zukünftige Gleichstellungs- und Anti-Diskriminierungspolitiken auch in den Nationalstaaten relevant, weil die EU, sowohl das EP wie auch der EuGH in der Vergangenheit trotz Schwächungsversuchen durch die autoritäre Rechte jene Institutionen waren, die dem Backlash in den Nationalstaaten etwas entgegensetzen konnten.

Besonders gefährlich und fatal ist, dass die autoritär-rechten Parteien im Kontext einer globalen Anti-Gender-Bewegung Geschlechter- beziehungsweise Anti-Gender- und Anti-Migrationspolitik diskursiv verknüpfen und damit Gleichstellungspolitik umdeuten. Ein Wahlplakat der AfD zu den EP-Wahlen 2024 behauptete in diesem Sinne „Abschiebungen sind Frauenschutz“. Dass dieses vermeintliche Sicherheitsversprechen auch bei manchen Frauen greift, zeigen die größeren Wahlgewinne rechtsautoritärer Parteien auch in der Gruppe der Frauen – obgleich autoritär-rechte Parteien in der Vergangenheit als „Männerparteien“ wegen ihres hohen männlichen Wähleranteils bezeichnet wurden (Amesberger/Halbmayr 2002).

Fazit

Die Wahl- und Mandatsgewinne autoritär-rechter Parteien bei den EU-Wahlen 2024 sind nicht nur eine Fortführung ihres Siegeszuges auf der EU-Ebene seit 2014, sondern sie spiegeln auch die Situation in vielen EU-Staaten wider. Neoliberalismus und die materielle Krise der neoliberalen Akkumulationsweise führten zu einer Krise der bürgerlich-patriarchalen kapitalistischen Hegemonie und der politischen Autorität. Autoritär-rechte Parteien nutzten diese Krisen für ihre antidemokratische Mobilisierung. Die Normalisierung rechter Politiken sind Alarmzeichen dafür, dass der Rechtsruck nicht nur auf der politischen Ebene, also als „durchwurschtelbar“ betrachtet werden sollte, sondern vielmehr auf fundamentale Veränderungen von Gesellschaften, Staat und Politik verweist, die manche als „Faschisierung“ bezeichnen (Candeias 2018). Dagegen braucht es auf der EU-Ebene und in den Nationalstaaten Bewegungen und Politiken für einen neuen solidarischen Konsens.

 

Prof. Dr. Birgit Sauer war bis zu ihrer Pensionierung im Oktober 2022 Professorin für Politikwissenschaft an der Universität Wien. Sie forscht zu feministisch-intersektionaler Staatstheorie, Politik und Emotionen, Autoritarisierung und Geschlecht. Letzte Buchpublikationen sind: Sauer, Birgit/Penz, Otto: Konjunktur der Männlichkeit. Affektive Strategien der autoritären Rechten, Frankfurt am Main/New York: Campus, 2023 und Ludwig, Gundula/Sauer, Birgit (Hrsg.) 2024: Das kälteste aller kalten Ungeheuer? Annäherungen an intersektionale Staatstheorie, Frankfurt am Main/New York: Campus.

 

Literatur

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Amesberger, Helga/Halbmayr, Brigitte 2002 (Hrsg.): Rechtsextreme Parteien – eine mögliche Heimat für Frauen? Opladen.

Arzheimer, Kai 2024: Germany’s 2024 EP Elections: The Populist Challenge to the Progressive Coalition, in: Ivaldi, Gilles/Zankina, Emilia (Hrsg.): 2024 EP Elections under the Shadow of Rising Populism. European Center for Populism Studies (ECPS), Brüssel, October 29, https://doi.org/10.55271/rp0071.

Bargetz, Brigitte/Eggers, Nina 2022: Affektive Narrative: Theorie und Kritik politischer Vermittlungsweisen, in: Politische Vierteljahresschrift, Jg. 64, H. 2, S. 221-246, DOI: 10.1007/s11615-022-00432-4.

Beck, Dorothee 2024: The Crusade Against Gender-Inclusive Language in Germany – A Discursive Bridge Between the Far Right and the Civic Mainstream, in: Beck, Dorothee/Habed, Adriano José/Henninger, Annette (Hrsg.): Blurring Boundaries – ‘Anti-Gender’ Ideology Meets Feminist and LGBTIQ+ Discourses, Opladen/Berlin/Toronto, S. 109-126.

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Elomäki, Anna/Ahrens, Petra/Kantola, Johanna 2022: Turbulent Times for the European Parliament’s Political Groups? Lessons on Continuity and Change, in: Ahrens, Petra/Elomäki, Anna/Kantola, Johanna (Hrsg.): European Parliament’s Political Groups in Turbulent Times, Cham, S. 267-282.

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Wodak, Ruth 2020: Politik mit der Angst: Die schamlose Normalisierung rechts-extremer und rechtspopulistischer Diskurse, Wien.

Anmerkungen

i Ich spreche von autoritär-rechten oder rechtsautoritären Parteien, da mir das Konzept des Rechtspopulismus zu ungenau ist, um die Mobilisierungsstrategien und die politischen Ziele rechter Akteur*innen zu beschreiben. Das Machtprojekt rechter Parteien in Europa zielt darauf ab, die Konstellationen von Gesellschaften, Politik und Staat in eine autoritäre und undemokratische Richtung zu verschieben. Ich lehne mich konzeptuell an Stuart Halls (1985) Begriff des autoritären Neoliberalismus an, nicht zuletzt, da ich der Auffassung bin, dass der Aufstieg autoritär-rechter Parteien in neoliberalen Transformationen und deren Krisen begründet ist, in denen bereits autoritäre Tendenzen sichtbar waren (Sauer/Penz 2023: 27-39).

ii Unter Bezugnahme auf Antonio Gramsci entwickelte die autoritäre Rechte ihre politische Strategie der Eroberung kultureller Hegemonie – also der Beeinflussung des Bewusstseins und der Herzen der Menschen –, um politische Macht zu erobern. Metapolitik bezeichnet diese Strategie des Kulturkampfes, also der antagonistischen Mobilisierung von Alltagsthemen und Alltagsbewusstsein, um ihre extremen Deutungen zum Common Sense zu machen.

iii Zur Abschiebedebatte und der Relativierung des Asylrechts siehe auch den Beitrag von Lisa Borrelli in diesem Heft.

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