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Fritz Bauer und "Achtund­sechzig"

Mitteilungen24408/2021Seite 12-13

In: Mitteilungen 244 (01/2021), S. 12 – 13

Positionen zu den Umbrüchen in Justiz, Politik und Gesellschaft.

Unter diesem Titel ist im Göttinger Wallstein Verlag Ende 2020 ein Buch mit zwölf Beiträgen zum Wirken von Fritz Bauer erschienen. Der Sammelband gliedert sich in vier Schwerpunkte: „Recht und NS-Verbrechen – Bauers Aufarbeitung der NS-Verbrechen“ und die „Demokratisierung durch Recht: die Rolle von Justiz, Strafrecht und Öffentlichkeit in der jungen Bundesrepublik“, „Gesellschaft und Strafe: Bauer, die Sittlichkeit und Kriminologie“ sowie „Theoriebildung in der Neuen Linken – Bauer, die SPD und der Holocaust zwischen Faschismus und Genoziddebatte.“

Wer das Buch wegen seines Titels kauft, mag enttäuscht werden – es stellt keine Analyse der Haltung Fritz Bauers zu den Positionen der 68er oder seines Verhältnisses zu einzelnen Akteuren dar. Noch weniger geht es um eine „Neuentdeckung“ Fritz Bauers als „68er“. Schon in der Einleitung konzidiert eine der Herausgeberinnen, die Historikerin Katharina Rauschenberger: „[Fritz Bauer] verfolgte seine eigene Linie, die ihn stärker als einen Intellektuellen auswies, der in den 1920er und 1930er Jahren geprägt worden war, denn als jemand, der für den Zeitgeist der 1960er Jahre stand.“

Auch Herta Däubler-Gmelin (ehemalige Vorsitzende der Humanistischen Studenten Union, Berlin) fehlen in diesem Band Hinweise auf Fritz Bauers Kontakte zu den Studenten und zur Studentenbewegung. Sie schreibt in einer sehr ausführlichen und lesenswerten Rezension: „So erinnere ich beispielsweise ein Zusammentreffen Fritz Bauers mit der Hochschulgruppe der Humanistischen Union an der Freien Universität Berlin, in der es – bei aller Hochachtung vor dem Titan und Vorbild Fritz Bauer – unter Beteiligung Bauers sehr lebhaft zuging: Wir diskutierten stundenlang Fragen des Widerstandsrechts, der Notstandsverfassung, natürlich auch die Auseinan- dersetzungen um die „ungesühnte Nazijustiz“, also die Strecker-Ausstellung, und um den geplanten Auschwitz-Prozess.“(https://bit.ly/3kSF0MWl)

Ähnlich wie die Tagung des Bildungswerks der HU NRW vor 20 Jahren zu den NS-Prozessen in den 60er Jahren thematisiert dieser – ebenfalls aus einer Tagung hervorgegangene – Sammelband die mühsame Demokratisierung der Justiz im demokratischen Rechtsstaat. Auch wenn der große analytische Wurf nicht gelingt, so formt sich doch ein Eindruck der (justiz-) politischen Bewegungen in der Bundesrepublik der ausgehenden 60er Jahre, der durchaus bereichernd ist. Zusammen mit den von Norbert Reichling in diesem Blatt bereits rezensierten „Kleinen Schriften“ Fritz Bauers entsteht ein Bild der wechselseitigen Einflüsse zwischen Fritz Bauers Wirken und dem Erstarken einer kritischen Kultur in der bundesdeutschen Gesellschaft.

Katharina Rürup

Fritz Bauer und „Achtundsechzig“, Positionen zu den Umbrüchen in Justiz, Politik und Gesellschaft. Katharina Rauschenberger und Sybille Steinbacher (Hrsg.), Reihe: Studien zur Geschichte und Wirkung des Holocaust Bd. 3, Wallstein Verlag 2020, 278 Seiten

Fritz Bauer. Kleine Schriften Band 1: 1921–1961, Band 2: 1962–1969; Lena Foljanty, David Johst (Hrsg.) Wissenschaftliche Reihe des Fritz Bauer Institut, Campus 2018

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