Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 203: Religiöse Sonderrechte auf dem Prüfstand

Gutachten II: Reform des Polizei­auf­ga­ben­ge­setzes in Thüringen

aus: vorgänge Nr. 203 (3-2013), S. 108-109

Der thüringische Landtag war nach einer Entscheidung des Landesverfassungsgerichtshofes(1) aufgefordert, zahlreiche verfassungswidrige Vorschriften zu verdeckten Ermittlungskompetenzen der Polizei neu zu regeln. Dazu legte die Landesregierung einen Gesetzentwurf vor (Drs. 5/6118 v. 21.5.2013), der Gegenstand einer parlamentarischen Anhörung war. Für die Humanistische Union (HU) nahm Sven Lüders dazu Stellung.

Die HU kritisierte grundsätzlich, dass der Gesetzgeber weder die bisherigen Erkenntnisse über das Versagen der Sicherheitsbehörden (nicht zuletzt in Thüringen) bei der Verhinderung bzw. Aufklärung der NSU-Mordserie berücksichtigte. (Es gibt weiterhin keine genauen Vorgaben zum Einsatz von V-Leuten.) Ebenso wenig wurde angesichts des jüngst bekannt gewordenen Ausmaßes der Telekommunikationsüberwachung durch die NSA und andere Geheimdienste darüber nachgedacht, wie der Missbrauch heimlicher Datenerhebungen begrenzt und das Fernmeldegeheimnis wiederhergestellt werden könnte.

Zahlreiche Ermittlungsmaßnahmen (etwa: verdeckte Ermittler, Wohnraumüberwachung u.a.) können dem Entwurf zufolge bereits bei nicht näher qualifizierten („abstrakten“) Gefahren eingesetzt werden. Zudem werde der Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung (die Gewährleistung einer überwachungsfreien Intimsphäre) nur rudimentär gewährt. Auch das Prinzip der Subsidiarität (d.h. Vorrang offener Ermittlungsmethoden gegenüber heimlicher Überwachung bei gleicher Wirksamkeit/ gleichen Erfolgsaussichten) werde nicht ernsthaft eingefordert. Als völlig überschießend werden die vorgeschlagenen Normen zur Quellen-TKÜ (das Abhören verschlüsselter Internetkommunikation) und die (bei Bedarf: tagelange) Unterbrechung des gesamten Kommunikationsverkehrs kritisiert. Diese würden weder der zunehmenden Bedeutung der IuK-Techniken für den gesamten Alltag noch den besonderen Schutzansprüchen gerecht, für die das Verfassungsgericht deshalb das neue Grundrecht auf Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme(2) eingeführt habe.

Der Gesetzentwurf wurde nach den Ausschussberatungen geringfügig geändert: eine Löschvorschrift für jene Daten, bei denen der Einsatz verdeckter Ermittlungen nachträglich vom Gericht verworfen wurde (§ 34 Abs. 4 ThPAG-E); eine Überleitungsvorschrift für bereits anhängige Gerichtsverfahren (§ 77 ThPAG) sowie eine Evaluationsklausel(3) wurden noch aufgenommen. Ansonsten verabschiedete das Plenum am 19.9.2013 die umstrittenen Regelungen unverändert, die Neuregelung trat am 28.9.2013 in Kraft.

Thüringer Gesetz zur Änderung des Polizeiaufgabengesetzes und des Ordnungsbehördengesetzes: Gesetz- und Verordnungsblatt 5/9 vom 27.9.2013, S. 251 – 260

Die Stellungnahme der Humanistischen Union ist abrufbar unter https://www.humanistische-union.de/fileadmin/hu_upload/doku/2013/HU2013-09-04_SL_PAG-TH.pdf.

(1) TH-VerfGH 19/09 vom 21.11.2012; die Klage des FDP-Politikers und früheren NRW-Innen­ministers Burkhard Hirsch richtete sich u.a. gegen den mangelnden Schutz des sog. Kern­bereichs privater Lebensgestaltung beim Lausch­angriff und der Telekommuni­ka­tions­überwachung (TKÜ), gegen die Über­wa­chung von Berufsgeheimnisträgern, die ufer­lose TKÜ zu präventiven Zwecken der Straf­ta­ten­verhütung u.a.m.

(2) BVerfG, 1 BvR 370/07 v. 27.2.2008.

(3) „Der Thüringer Landtag wird das Gesetz bis zum 31. Dezember 2016 auf wissenschaftlicher Grundlage evaluieren.“ (§ 78 ThPAG)

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