Hamburg: Staatsvertrag mit islamischen Gemeinden legt alte Rechte neu auf
aus: vorgänge Nr. 203 (3-2013), S. 101-102
Am 13. November 2012 unterzeichneten Hamburgs Erster Bürgermeister und Vertreter des Landesverbandes der Türkisch-Islamischen Union (DITIB), des Rates der Islamischen Gemeinschaften in Hamburg e.V. (SCHURA), des Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ) und der Alevitischen Gemeinde Deutschlands einen Vertrag über gegenseitige Rechte und Pflichten. Zuvor hatte die Hamburger Bürgerschaft den Verträgen zugestimmt. Dies sind die ersten Verträge zwischen Staat und muslimischen Gemeinschaften in Deutschland. Bislang hatten Bund und Länder nur Verträge mit der katholischen Kirche (Konkordate), den evangelischen Landeskirchen (Kirchenverträge) und jüdischen Gemeinschaften geschlossen.
Durch die Verträge mit den muslimischen Gemeinschaften werden zum Teil bereits vorhandene Rechte der Muslim_ innen bekräftigt. So gewährleistet Hamburg den islamischen Religionsgemeinschaften das Recht, Moscheen mit Kuppeln sowie Minarette zu bauen, sofern diese sich mit den geltenden Baugesetzen vertragen. Zum Teil verpflichten sich die muslimischen Religionsgemeinschaften dazu, ihre Aktivitäten noch stärker auf das Grundgesetz auszurichten. So bekennen sich beide Seiten zur Gleichberechtigung von Mann und Frau. Während Hamburg sowieso durch das Grundgesetz zur Gleichberechtigung verpflichtet ist, gehen die Muslim_innen hier ein echtes Versprechen ein. In Debatten über Geschlechterverhältnisse im Islam wird nämlich von Muslim_innen häufig angeführt, dass „der Islam“ die Gleichwertigkeit der Geschlechter – d.h. Männer und Frauen haben den gleichen Wert, wenngleich unterschiedliche Rollen – aber nicht deren Gleichberechtigung vorgäbe.
Zum Teil werden den Muslim_innen mit den Verträgen neue Rechte gewährt. Sie sollen sich zum Beispiel von nun an an drei islamischen (Ramadan, Opferfest und Aschurafest) bzw. drei alevitischen Feiertagen (Asure-Tag, Hizir-Lokmasi und Nevruz) unbezahlten Urlaub nehmen und ihre Kinder vom Schulunterricht befreien lassen können. Daneben müssen Betriebe ihrem Personal an diesen Feiertagen die Teilnahme an dem Gebet erlauben, falls seitens des Arbeitgebers keine ernst zu nehmenden Gründe dagegen sprechen. Die Freie und Hansestadt Hamburg fördert eine Ausbildungsstätte für islamische Theologie und Religionspädagogik an der Universität Hamburg und gewährleistet für öffentliche Einrichtungen wie Krankenhäuser, Heime, aber auch Justizvollzugsanstalten oder Polizeiausbildungsstätten das Recht zur muslimischen Seelsorge.
Die schwierigste Vorschrift, gemeinsamer christlich-muslimischer Religionsunterricht im Rahmen der spezifischen Hamburger Praxis, bildete einen umstrittenen Punkt. Der „Hamburger Religionsunterrichts für alle in evangelischer Verantwortung“ ist formal ein bekenntnisgebundener Religionsunterricht nach Artikel 7 GG, wendet sich jedoch an alle Schüler_innen jedweder Glaubensvorstellung. Die Rahmenpläne für den Religionsunterricht in evangelischer Verantwortung werden von einer Gemeinsamen Kommission Schule/Kirche erstellt. Die katholische Kirche wirkt in dieser Kommission nicht mit. In einer fünfjährigen Entwicklungsphase soll nun der Religionsunterricht an staatlichen Schulen an islamische und alevitische Religionsgemeinschaften angepasst werden: Vertreter der Gemeinschaften sollen an der Entwicklung des schulischen Religionsunterrichts beteiligt werden und künftig muslimische und alevitische Religionslehrer einsetzen.
Getroffen wurden auch Bestimmungen zur Bestattung auf öffentlichen Friedhöfen, zur Beteiligung an öffentlich-rechtlichen Institutionen, so beispielsweise in den Rundfunkräten, sowie die Achtung islamischer Speisevorschriften. Konkrete aktuelle Fragen, wie etwa der koedukative Schwimmunterricht oder die Speisevorschriften auf Klassenfahrten, finden in den Verträgen keine Erwähnung.
Mitte Januar 2013 schloss auch die Freie Hansestadt Bremen einen Vertrag mit muslimischen Gemeinschaften. In Niedersachsen und in Schleswig-Holstein wird gegenwärtig über einen Staatsvertrag mit islamischen Verbänden verhandelt, in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg darüber beraten.
Aktuelle Verträge und Verhandlungen:
Hamburg: Vertrag zwischen der Freien und Hansestadt Hamburg, dem DITIB-Landesverband Hamburg, SCHURA – Rat der Islamischen Gemeinschaften in Hamburg und dem Verband der Islamischen Kulturzentren v. 13.11.2012 (= Drs. 20/5830 v. 13.11.2012), abrufbar unter http://www.hamburg.de/contentblob/3551370/data/download-muslim-verbaende.pdf sowie Umsetzungsbericht des Senats an die Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg in Drs. 20/8152 v. 28.5.2013
Bremen: Vertrag zwischen der Freien Hansestadt Bremen und den Islamischen Religionsgemeinschaften im Lande Bremen, Drs. 18/693 bzw. 18/727 v. 15.1.2013, abrufbar unter http://www.rathaus-bremen.de/sixcms/media. php/13/20130115_Vertrag_FHB_Schura.pdf.
Niedersachsen: Nds. Kultusministerium, Beginn der Vertragsverhandlungen zwischen Landesregierung, Ditib und Schura sowie der Alevitischen Gemeinde Deutschlands, Presseinformation v. 30.9.2013.
Schleswig-Holstein: Bericht der Landesregierung über die bisherigen Gespräche mit den muslimischen Verbänden und der alevitischen Gemeinde, LT-Drs. 18/1022 v. 6.8.2013.
Nordrhein-Westfalen: Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales, „Minister Schneider will Kooperation mit Muslimen vertiefen / ‚dialog forum islam‘ hat sich in Nordrhein-Westfalen konstituiert“, Pressemitteilung v. 16.9.2013.
Baden-Württemberg: SPD-Fraktion im Landtag BW, Staatsvertrag mit islamischen Glaubensgemeinschaften, LT-Drs. 15/3228 v. 13.3.2013 (=Antrag der SPD & Stellungnahme des Ministeriums für Integration).