„Mischehe“ als Bewerbungshindernis
Corinna Gekeler über ihre Studie zur Diskriminierung bei kirchlichen Arbeitgebern
aus: vorgänge Nr. 203 (3-2013), S. 71-74
Über eine Million Menschen arbeiten in Deutschland in kirchlichen Einrichtungen. Sie alle müssen auf ihre Glaubens- und Gewissensfreiheit sowie andere Grundrechte verzichten. Sie sind besonderen Loyalitätspflichten unterworfen, weil das Betriebsverfassungsgesetz nicht gilt und das Antidiskriminierungsgesetz weitreichende Ausnahmen für kirchliche Arbeitgeber vorsieht. Betroffen sind keineswegs nur „verkündigungsnahe“ Berufe wie Pfarrer oder Diakon.
CORINNA GEKELER ist Diplom-Politologin, PR- und Kommunikationsberaterin, Redakteurin und Publizistin. Sie wurde 2007 mit dem Medienpreis der Deutschen AIDS-Stiftung ausgezeichnet. Gekeler legte kürzlich die Studie „Loyal dienen“ vor. Diese zeigt anhand zahlreicher persönlicher Berichte, wie verbreitet religiös motivierte Diskriminierungen durch kirchliche Träger sind und wie stark sie die Stellensuche, den Arbeitsalltag und das Privatleben der Beschäftigten prägen.
Ihr Buch befasst sich vor allem mit dem individuellen Kirchenarbeitsrecht. Wie wird es im Alltag angewandt?
Durch massive Ausgrenzung von Andersgläubigen und Konfessionslosen, von Bewerbungen bis hin zur Vergabe von Praktikumsplätzen an Student_innen. Ein Kirchenaustritt ist ein Kündigungsgrund, egal in welcher Position man dort arbeitet. Die Kirchen beschäftigen dennoch viele Konfessionslose und Andersgläubige in niedrigen Positionen – sonst könnten die Einrichtungen gar nicht existieren. So gibt es neben massiver Ausgrenzung letztlich Mitarbeiter_innen erster und zweiter Klasse. In den katholischen Häusern sind Homosexualität, Scheidung und Wiederheirat, ein sogenanntes uneheliches Kind Kündigungsgründe. Das bedeutet Erpressbarkeit für die Arbeitnehmer_innen, bedeutet, dass Sachen verheimlicht werden, bedeutet ein Klima der Angst, in dem dann gearbeitet und gelebt werden muss. Mir haben sehr viele Leute versichert, dass sie nur Mitglied in der Kirche bleiben, damit sie auf dem Arbeitsmarkt Chancen haben.
Welche Fachrichtungen sind von diesen Einschränkungen betroffen?
Alle, die im Sozial-, Gesundheits- und Bildungsbereich arbeiten, von der Pfleger_in über die Ärztin, aber eben auch die Sozialarbeiter_innen und Erzieher_innen, Entwicklungshelfer_innen bis hin zu Hausmeistern, Küchenhilfen, Verwaltungsleuten und Gärtner_innen. Die Leute treten für eine Stelle sogar (wieder) in die Kirche ein. Die Kirche brüstet sich damit, dass Erwachsenentaufen zunehmen; für mich sieht das eher nach Zwangskonfessionalisierung aus.
Sie schreiben, dass bei Beschäftigten sogar bis in den „zweiten Grad“ geschaut wird.
Auch Familienangehörige sind betroffen: Ich kenne einen Arzt, der ist wieder in die Kirche eingetreten, um eine Stelle zu bekommen. Er wurde aber trotzdem abgelehnt, weil seine Frau nicht Kirchenmitglied und eine „Mischehe“ nicht gewünscht sei. Ein anderer bekam Probleme, weil er sein Kind nicht taufen lassen wollte. Das sind haarsträubende Dinge.
Nach Ihrer Studie betrifft das auch Menschen, die gar nicht bei kirchlichen Einrichtungen oder Trägern angestellt sind, sondern sich dort als Selbstständige um Aufträge bemühen.
In meinem Buch ist ein Fall dokumentiert, in dem ein Busfahrer nach seinem Kirchenaustritt die Gemeindemitglieder nicht mehr fahren darf. Angeblich wird es nur in Bayern so gehandhabt, dass aus der Kirche ausgetretene Handwerker_innen von dort keine Aufträge mehr erhalten. Mir liegt aber auch ein Brief aus dem Erzbistum Köln vor. Dort durfte ein ehemaliges Kirchenmitglied eine Führungskraft nicht coachen.
Haben Sie von kirchlicher Seite Interpretationen oder Begründungen erfahren, warum solche Einschränkungen nötig seien?
Evangelische und katholische Kirche berufen sich auf die Besonderheiten der „Dienstgemeinschaft“, einen Begriff aus der NS-Zeit. Damals ging es darum, die Gewerkschaften aus allen Betrieben heraus zu halten. Nach dem Krieg wurde das wieder abgeschafft, außer von den Kirchen, die den Begriff im Nachhinein theologisch aufgeladen haben. Bislang gibt es dazu keine eindeutige juristische Definition, die evangelische und die katholische Kirche legen ihn auch unterschiedlich aus. Es ist eine höchst umstrittene Sache. Das sage nicht nur ich als Kirchenkritikerin, das ist auch in Kirchenkreisen umstritten. Nur die weltlichen Richter sagen: Wenn die Kirchen von der Dienstgemeinschaft reden, dürfen wir uns nicht einmischen, das ist eine innerreligiöse Angelegenheit.
Sie haben sich auch aus europäischer Perspektive mit dem Antidiskriminierungsrecht beschäftigt. Haben Sie einen Eindruck davon, wie das im europäischen Ausland wahrgenommen wird? Gibt es Unterschiede zwischen den Ländern, welche Stellung hat da Deutschland?
Die Kirchenklausel im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) wurde nur in Deutschland so kirchenfreundlich umgesetzt. Es gibt eine Plattform im EU-Parlament, die European Parliament Platform for Secularism in Politics(1), die die Sprecherin der Kampagne Gegen religiöse Diskriminierung am Arbeitsplatz (GerDiA), Ingrid Matthäus-Mayer, und mich zu einer Veranstaltung speziell zum kirchlichen Arbeitsrecht in Deutschland eingeladen hatte. Ein Vertreter der Europäischen Kommission wusste von den diskriminierenden Ablehnungen, Kündigungen und Urteilen gar nichts. Es braucht immer eine Lobby, die den Ball in die richtige Ecke schießt und sagt: Hier ist ein massives Problem. Auf der anderen Seite wäre natürlich ein Gericht, das den Fall dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg vorlegt, sehr gut. Der EuGH könnte dann klären, dass die deutsche Kirchenklausel im AGG zu weit von der EU-Richtlinie abweicht – das wäre eine juristische Lösung. Aber auch wenn es weitere Klagen bis zum Bundesverfassungsgericht oder den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg schaffen sollten – auf eine juristische Lösung zu warten ist schwierig, eine politische Lösung wäre deutlich besser. Außerdem ist es Aufgabe des Staates, die Grundrechte von Arbeitnehmer_innen zu schützen.
Wie lauten, vor dem Hintergrund der Fälle, die Sie untersucht haben, Ihre politischen Handlungsempfehlungen?
Der Schutz von Grundrechten von Arbeitnehmer_innen kann nicht den Kirchen überlassen werden, hier ist der Gesetzgeber gefordert. Inhaltlich war der Antrag der Linken(2) ein Anfang, das Antidiskriminierungsrecht und das Arbeitsrecht müssen weiter Thema bleiben. Man sollte das Betriebsverfassungsgesetz und das AGG ändern. Dazu gibt es im Moment Novellierungsvorschläge mehrerer NGOs und Gewerkschaften. Man kann den gesamten Paragraphen 9 streichen, der Paragraph 8 genügt völlig.(3) Die Kirchen würden dann als Tendenzbetriebe behandelt, so wie der Humanistische Verband Deutschland. Da müssen die Führungskräfte Mitglieder sein. Das macht die AWO, jede Partei und Gewerkschaft – das könnte man den Kirchen auch zugestehen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Sven Lüders.
Corinna Gekeler: Loyal dienen. Diskriminierendes Arbeitsrecht bei Caritas, Diakonie und Co.
Alibri-Verlag, August 2013
140 Seiten, kartoniert, 22.- Euro
ISBN 978-3-86569-117-0
Anmerkungen
(1) S. http://politicsreligion.eu/.
(2) S. hierzu den Beitrag zu religionspolitischen Positionen der Parteien auf Seite 42 ff. in diesem Heft.
(3) § 8 AGG „Zulässige unterschiedliche Behandlung wegen beruflicher Anforderungen“:
„(1) Eine unterschiedliche Behandlung wegen eines in § 1 genannten Grundes ist zulässig, wenn dieser Grund wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist.
(2) Die Vereinbarung einer geringeren Vergütung für gleiche oder gleichwertige Arbeit wegen eines in § 1 genannten Grundes wird nicht dadurch gerechtfertigt, dass wegen eines in § 1 genannten Grundes besondere Schutzvorschriften gelten.“