Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 203: Religiöse Sonderrechte auf dem Prüfstand

Kleine Geschichte der Post- und Telefon­über­wa­chung in der Bundes­re­pu­blik

aus: vorgänge Nr. 203 (3-2013), S.139-143

Josef Foschepoth, Überwachtes Deutschland – Post- und Telefonüberwachung in der alten Bundesrepublik. Vandenhoeck & Ruprecht, November 2012

„Ein bisschen Heuchelei“ sei Angela Merkels Reaktion auf die Nachricht gewesen, dass auch sie vermutlich abgehört wurde, denn „die NSA hat deutsche Politiker schon immer ganz legal observiert“. Sie als Kanzlerin müsse von den zugrunde liegenden Vereinbarungen wissen und über die Zusammenarbeit der Dienste informiert sein, so der Freiburger Historiker Josef Foschepoth in einem Interview mit der ZEIT vom 25. Oktober 2013.(1) Bereits am 9. Juli 2013 attestierte Foschepoth in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung: „Die NSA darf in Deutschland alles machen. Nicht nur aufgrund der Rechtslage, sondern vor allem aufgrund der intensiven Zusammenarbeit der Dienste, die schließlich immer gewollt war und in welchen Ausmaßen auch immer politisch hingenommen wurde.“(2)

Und so ist ganz korrekt, was der amerikanische Geheimdienstdirektor James Clapper erklärt, nämlich dass nur für „gültige Geheimdienstbelange“ und „niemals unrechtmäßig“ ausspioniert würde.(3) Zumindest in Deutschland.

Über die Verträge zwischen Deutschland und den ehemaligen Alliierten, die eine solche Überwachung erlauben, kann jede und jeder sich seit 2012 in Josef Foschepoths Buch „Überwachtes Deutschland – Post- und Telefonüberwachung in der alten Bundesrepublik“ informieren. Foschepoth hatte bei Recherchen im Bundesarchiv Koblenz unbeschreibliches Glück, als ihm eine Akte mit der Aufschrift „Postzensur 1951“ in die Hände fiel. Dieser Zufallsfund enthielt nicht weniger als einen Teil der Geschichte zur Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs in der Bundesrepublik. Aufgrund einer Sondergenehmigung durch das Bundesministerium des Innern, nach Sicherheitsüberprüfung durch den Verfassungsschutz, bekam der Autor weitgehend ungehinderten Zugang zu den Verfassungsschutz-Akten der Bundesregierung, mit Ausnahme der Akten der Geheimdienste. Mit seinem Buch veröffentlichte er seine Entdeckungen.

Es erstaunt nicht wenig, in diesem Band zu lesen, dass es nicht nur in der ehemaligen DDR kein Post- und Fernmeldegeheimnis gab, sondern faktisch ebenso wenig – oder noch viel weniger – in der BRD. Die Foschepoth zugänglich gewordenen Quellen zeigen, wie seit 1949 die alliierten Westmächte auf ungehinderter Überwachung bestanden, im Weiteren aber alle deutschen Regierungen unter Umgehung des Grundgesetzes diese Überwachung durch die Alliierten tolerieren mussten, wollten und selbst fortsetzten. Unter dem Druck der Verhältnisse geriet der Staatsschutz zum höherwertigen Rechtsgut als das Grundrecht auf Unverletzlichkeit des Post- und Fernmeldegeheimnisses, obgleich im Grundgesetz festgeschrieben ist: „die Grundrechte stehen […] über dem Staat und sind unmittelbar geltendes Recht, das alle drei Gewalten bindet. Aufgrund ihres vorstaatlichen und überpositiven Charakters dürfen und können sie durch keine Verfassungsänderung abgeschafft werden.“ (S. 11)

Bei dem von Foschepoth aufgearbeiteten Überwachungssystem geht es gleichermaßen um individuelle Überwachungsvorgänge wie um die strategische Überwachung in Ost- und Westeuropa und in der Bundesrepublik selbst, sei sie für staatliche oder geheimdienstliche Zwecke.

Foschepoth analysiert die Entwicklung der heimlichen Überwachung unter den verschiedenen Gesetzgebungen von 1949 an bis zur deutschen Wiedervereinigung 1989 – auf Wunsch und im Interesse der Alliierten. Dabei lassen sich verschiedene Epochen, rechtliche Maßnahmen, Sprachregelungen und Legitimierungsstrategien unterscheiden: ab 1949 unter Siegerrecht, ab 1951 unter alliiertem Besatzungsrecht und ab 1954 unter Vorbehaltsrecht.

Bis 1968 hatte der deutsche Staat nur beschränkte Souveränität. Die Westverträge gewährten den Westmächten mit Konrad Adenauers Einwilligung bestimmte Vorbehaltsrechte. Die Strategie zur Westintegration der Bundesrepublik war die einer „doppelten Eindämmung“, nämlich der Eindämmung der „deutschen und der sowjetischen Gefahr“. Beide Gefahren lieferten auch die Begründung für die intensive Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs. Nach alliiertem Recht hatte die Bundesregierung die Überwachung nicht nur zu dulden, sondern auch aktiv daran mitzuwirken.

Adenauer handelte 1954 mit den Alliierten neue Geheimdienst- und Überwachungsrechte als „Vorbehaltsrechte“ der Besatzungen aus, womit auch das Grundgesetz hinsichtlich des Post- und Fernmeldegeheimnisses umgangen werden konnte. Die Ausübung der Vorbehaltsrechte wurde den drei Botschaftern in Bonn übertragen. Bei den Pariser Verhandlungen musste Adenauer neben dem Berlin-, dem Deutschland- und dem Truppenstationierungsvorbehalt auch den Notstands-, den Überwachungs- und den Geheimdienstvorbehalt akzeptieren.

Ein wichtiges Instrument der doppelten Eindämmung war die Überwachung des internationalen und nationalen Post- und Fernmeldeverkehrs in der Bundesrepublik. Die Beteiligung an der alliierten wie die eigenen Überwachungsaktivitäten des westdeutschen Staates wurden in internen Verordnungen und Richtersprüchen mit der Notwendigkeit begründet, Broschüren und kommunistisches Agitationsmaterial aus der DDR abzufangen. „Der neue Staat wurde jedenfalls nicht von der Demokratie, sondern die Demokratie vom Staat her gedacht und aufgebaut.“ (S. 17) Foschepoth nennt dies eine Staatsdemokratie. In Westberlin galt bis 1990 ohnehin Besatzungsrecht.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz und die Geheimdienste der drei Westmächte waren schon in den 1950er Jahren zu einem „einheitlichen nachrichtendienstlichen Organismus“ verschmolzen, wie 1963 der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz Hubert Schrübbers während der Abhöraffäre erklärte.

Die westliche Überwachung der Telekommunikation mit der DDR erfolgte durch alliierte und westdeutsche Geheimdienste, die Post hingegen musste gegen Einsprüche und Widerstände des Bundespostministeriums von Beamt_innen und Angestellten der Bundespost und des Zolls durchgeführt werden. Den Postler_innen war bekannt, dass sie sich mit den verlangten Eingriffen in eine rechtliche Zwickmühle begaben. Die Rechtsgrundlage bestand für sie bis 1968 allein in ihrer Treuepflicht dem Staat gegenüber, während im Gegensatz dazu das Grundgesetz die Unverletzlichkeit des Post- und Telefongeheimnisses garantieren sollte.

Es gab mehrere Anzeigen und Verfahren wegen nachweislich verschwundener Post. Diese wurden jedoch von willfährigen Gerichten niedergeschlagen, d.h. deren Verfolgung wegen Mangels an Beweisen eingestellt. Mehrfach verlangte die Bundesregierung vom Postminister einen eigenen gesetzlichen Vorschlag zur Legitimierung der Überwachung, den dieser jedoch immer wieder verweigerte mit der korrekten Begründung: nicht die Überwachung, sondern der Transport der Sendungen sei Aufgabe der Post. Weder im Parlament noch in der Öffentlichkeit wurden diese Dinge erörtert.

1961 verabschiedete der Bundestag ein „Gesetz zur Überwachung strafrechtlicher und anderer Verbringungsverbote“, das „sicherstellen sollte, dass keine Materialien eingeführt würden, die aus Gründen des Staatsschutzes strafrechtlich verfolgt wurden.“ Die Formulierung „stellen sicher“ diente dazu, die Kontrolle und Durchsuchung der gesamten Post aus der DDR zu legitimieren und zu ermöglichen.“ (S. 268)

Erst die Abhöraffäre 1963/64 brachte die bundesrepublikanische Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs aus der DDR an den Tag, sowie Informationen über die Präsenz ehemaliger SS-Angehöriger und Nazigrößen in den Reihen des Verfassungsschutzes. 1964 wurden 12 der 16 SS-Angehörigen des Verfassungsschutzes in andere Ämter abgeordnet. Nach anfänglichen Leugnungen und Beschwichtigungen befasste sich ein Untersuchungsausschuss mit den Vorfällen und förderte immerhin 82 echte verfassungswidrigen Überwachungsfällen zutage. In Wahrheit ging es um Massen von Postgut, das damals überwacht, zensiert und zu einem Großteil auch vernichtet wurde. Fünf Jahre dauerte es, bis die Überwachung, nun durch die Brandt-Regierung, gesetzlich geregelt war.

Mit der großen Koalition 1968/69 einher ging eine Wende in der Rechts- und Gesellschaftspolitik. 1968 wurden die nie wirksam gewordenen Notstandsgesetze durch das G10-Gesetz zur Beschränkung des Post- und Fernmeldegeheimnis still und leise ergänzt. Die alliierten Forderungen fanden damit Eingang in das deutsche (Verfassungs-)Recht. Von nun an war jede Bundesregierung verpflichtet, auch ohne Überwachungsvorbehalt der Alliierten deren Überwachungswünsche zu erfüllen und zu ermöglichen. Obgleich es ein ähnliches Gesetz in keinem westlich demokratischen Staat gibt, wurde darüber nicht öffentlich diskutiert.
Die Überwachung unterlag auf Anordnung der Alliierten einer strikten Geheimhaltungspflicht, die mit rigiden Strafandrohungen rechtlich verankert und mit dem Schutz der Sicherheit der alliierten Streitkräfte begründet wurde. Faktisch hob dieses Recht auch das Trennungsgebot zwischen Verfassungsschutz und Polizei auf. Am intensivsten arbeitete der Bundesnachrichtendienst (BND) in Sachen Post- und Telefonüberwachung mit den alliierten Diensten zusammen, weshalb die Bundestagsfraktionen sich bei der Abhöraffäre 1963 darauf einigten, den BND gar nicht zu erwähnen, um keinen weiteren Unmut in der Bevölkerung aufkommen zu lassen.

Das Geheimhaltungsgebot sah drastische Strafen für den Fall vor, dass Informationen zur Überwachung an die Öffentlichkeit gelangten. Verstöße konnten als Landesverrat, mit unbegrenzt hohen Geldstrafen, Gefängnis und sogar der Aberkennung des aktiven und passiven Wahlrechts verfolgt werden. Kein_e Abgeordnete_r konnte etwaige Verstöße gegen das Grundgesetz auch nur erwähnen. Die Folge war, dass Anträge der Alliierten auf Überwachung im Parlament – und das bis heute – einfach durchgewunken wurden.

Es fehlte nicht an Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht: „Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum G10-Gesetz war ein Urteil, das in Sachen Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte deutlich hinter früheren Entscheidungen desselben Gerichts zurückfiel, indem es nicht mehr die Grundrechte als ‚höchstes Rechtsgut‘, sondern den Staatsschutz als ‚überragendes Rechtsgut‘ definierte, ‚zu dessen wirksamem Schutz Grundrechte, soweit unbedingt erforderlich, eingeschränkt werden können.‘“ (S. 199) 1978 wurde der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg wegen der G10-Gesetzgebung angerufen und 1984 erneut das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe – ohne Ergebnis für die Priorität der Grundrechte: „Das Bewusstsein für die Unrechtmäßigkeit staatlichen Handelns war zwar geschärft, aber der Grundkonflikt zwischen alliiertem Vorbehaltsrecht und westdeutschem Verfassungsrecht […] noch nicht gelöst.“ (S. 159)

Der Nachrichtenaustausch mit den Alliierten ging trotz Verbesserungen in der Verwaltungspraxis des Bundesamtes für Verfassungsschutz unvermindert weiter. Die Bundesregierung war jetzt – neben einer Zusatzvereinbarung zum NATO-Truppenstatut – auch durch das G10-Gesetz und eine geheime Zusatzvereinbarung, die in Foschepoths Buch erstmals veröffentlicht wird, weiterhin verpflichtet, die Überwachungswünsche der alliierten Nachrichtendienste so weit wie möglich zu erfüllen.

Die Gelegenheit, die deutsche Wiedervereinigung zur Einstellung der Überwachungspraxen zu nutzen und wirklich einen souveränen deutschen Staat mit der Möglichkeit, seine freiheitliche Verfassung zu etablieren, waren bei den Zwei-plus-Vier-Verhandlungen 1990 nicht durchsetzbar. Die Westmächte waren nicht bereit, die Zusatzvereinbarungen zum G10-Gesetz und zum NATO-Truppenstatut aufzuheben.

Die Überwachungspraxis der Westdeutschen, die Installierung der Geheimdienste und die Gegenüberstellung mit der Überwachungspraxis in der DDR (die trotz großer Ambitionen aufgrund fehlender materieller wie technischer Ressourcen der des Westens unterlegen blieb) beenden den historischen Teil des Bandes. Ein Vergleich mit der Überwachung in der DDR als gleichsam deutsch-deutsches Problem drängt sich auf und ist noch nicht erforscht.

Das Buch beinhaltet eine Aufführung sämtlicher relevanter Gesetze, Urteile und Vereinbarungen. Bisher unbekannte und geheim gehaltene Quellen ergänzen den Band.

Auf die Frage, ob im Hinblick auf den NSA-Abhörskandal nun die Bundesanwaltschaft die Lauschaktion gegen die Kanzlerin rechtlich prüfen werde, meint Foschepoth: „Dafür gibt es keine Grundlage. Ihre Überwachung ist durch die Verträge mit den USA gedeckt. Deshalb hat sich die Kanzlerin ja auch so merkwürdig zu der NSA-Affäre verhalten. Sie hat sich ein paar Mal ausweichend dazu geäußert, aber nicht dazu, was hier eigentlich mit dem Rechtsstaat passiert. Das deutsche Recht verhindert die Überwachung nicht. Die Verträge mit den USA verpflichten die Bundesregierung vielmehr, ihre Informationen darüber für sich zu behalten.“ (Die Zeit v. 25.10.2013)

Im Rahmen von Foschepoths Veröffentlichung gelang es in einer Zusammenarbeit von Bundesarchiv, Historikerverband und Medien, die Bundesregierung zu einer Neuregelung der sogenannten „Verschlusssachenanweisung“ zu bewegen. Die fraglichen Akten werden nun sukzessive freigegeben. Es handelt sich dabei um mehrere Regalkilometer VS-Akten.

Allerdings stellt sich die Frage, ob die Freigabe der VS-Akten nicht doch das alliierte Geheimhaltungsgebot unterläuft. Nach wie vor fehlen die Dokumente der westlichen Geheimarchive und der westdeutschen Geheimdienste seit 1968. Wahrscheinlich wurden sie nach der Gesetzgebung von 1968 frühzeitig vernichtet. Unterdrücken, Löschen, Schreddern sind keineswegs Pannen, sondern systemimmanent, sie gehören zum Wesen dieser Dienste.

Im erwähnten Interview mit der Süddeutschen Zeitung antwortet Foschepoth auf die Frage, ob der NSA-Whistleblower Edward Snowden gut beraten wäre, in die Bundesrepublik zu kommen: „Auf keinen Fall. Aufgrund des Zusatzvertrags zum Truppenstatut und einer weiteren geheimen Vereinbarung von 1955 hat die Bundesregierung den alliierten Mächten sogar den Eingriff in das System der Strafverfolgung gestattet. Wenn eine relevante Information im Rahmen eines Strafverfahrens an die Öffentlichkeit gelangen könnte, heißt es in Artikel 38, „holt das Gericht oder die Behörde vorher die schriftliche Einwilligung der zuständigen Behörde dazu ein, dass das Amtsgeheimnis oder die Information preisgegeben werden darf“. Gemäß der geheimen Vereinbarung wurde sogar der Strafverfolgungszwang der westdeutschen Polizei bei Personen aufgehoben, die für den amerikanischen Geheimdienst von Interesse waren. Stattdessen musste die Polizei den Verfassungsschutz und dieser umgehend den amerikanischen Geheimdienst informieren. Dann hatten die Amerikaner mindestens 21 Tage lang Zeit, die betreffende Person zu verhören und gegebenenfalls außer Landes zu schaffen. Was nicht selten geschah. Im Übrigen hat natürlich die Bundesregierung keinerlei Interesse, sich auf einen neuen Kalten Krieg, dieses Mal mit den Vereinigten Staaten, einzulassen.“ (SZ v. 9.7.2013)

PROF. BRITTA SCHINZEL ist Informatikerin und beschäftigt sich seit Jahren mit Informatik und Gesellschaft. Sie engagiert sich im Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung e.V. (FIfF) sowie im Landesvorstand der Humanistischen Union Baden-Württemberg.

(1) http://www.zeit.de/politik/deutschland/2013-10/nsa-uerberwachung-merkel-interview-foschepoth
(2) http://www.sueddeutsche.de/politik/historiker-foschepoth-ueber-us-ueberwachung-die-nsa-darf-in-deutschland-alles-machen-1.1717216
(3) http://www.focus.de/politik/ausland/us-geheimdienst-schlaegt-zurueck-attacke-gegen-den-bnd-nsa-chef-alexander-wirft-deutschland-spionage-vor_aid_1143343.html, 30.10.201

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