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Aus der Laudatio auf den Fritz-­Bau­e­r-­Preis­träger Werner Hill

vorgängevorgänge 2412/1976Seite 123-126

Aus: vorgänge Nr. 24 (Heft 6/1976), S. 123-126

Sehr geehrte Damen und Herren, sehr verehrter Werner Hill,

(…) Gedächtnisreden habe ich schon des öfteren halten müssen, sie enthalten ja nur Lobendes. Zum Glück, Werner Hill, sind wir hier nicht in einer Trauerfeier. Sie sehen eigentlich noch ziemlich munter aus, und es fällt mir deshalb leicht, eine Laudatio zu sprechen anlässlich der Verleihung dieses wertvollen Preises. Dabei kommt noch hinzu, dass ich nicht ohne Bewegung auf das Bild von Fritz Bauer sehe. Ich habe ihn selber noch gut gekannt und auch beruflich mit ihm zu tun gehabt, und es war eindrucksvoll, wie sehr man mit ihm übereinstimmen konnte, und- auch ein Skeptiker darf das sagen- wie vieles von dem, was er aufgrund seiner größeren Erfahrung und seiner tragischen Erlebnisse zur Zielvorstellung erheben durfte, Leitlinie sein könnte.
(. ..) Lassen Sie mich zunächst das Mosaik Ihrer Arbeiten ein wenig skizzieren, dadurch dass ich einfach die Themen, die Sie erarbeitet haben, nenne. Ich tue das mit dem Gefühl, dass ichs mir dadurch in angenehmer Weise etwas leicht mache, weil nämlich Ihre Themen so gut formuliert sind, wie das niemand besser formulieren könnte.
Ich setze an die Spitze dieser Darstellung Ihr rechtspolitisches Engagement auf verfassungsrechtlichem Gebiet, weil Ihre Dissertation über das Gleichheitsproblem schon anklingen ließ, was Ihnen wesentlich ist.
In diesen Zusammenhang gestellt, sehe ich zwei Hauptthemen kritischer Analyse. Sie wurden hier schon eben angesprochen, nämlich einmal das Thema „Bundesverfassungsgericht im Zwielicht”, ein Thema, bei dem manche schon wegen dieser Formulierung zusammen-zucken. Und dieses verfassungsrechtliche und darüber hinaus verfassungspolitische Engagement klingt auch dort an, wo ein spezielles Polizeirechtliches Problem behandelt wird, nämlich bei der Erörterung der Todesschuß-Problematik. Und schließlich ist in diesem Zusammenhang zu nennen Ihre Arbeit über die Demontage der demokratischen Rechtsstaatlichkeit als Folge des Kampfes gegen den politischen Radikalismus. Anfügen läßt sich Ihr Wirken im Bereiche der Strafrechtsreform, der Analyse bestehenden Strafrechts, der Kritik der Reformbemühungen und der Darstellung dessen, was wir bis auf weiteres, obwohl es uns der Gesetzgeber vorgelegt hat, nur schwer verkraften können. Und ich meine, das die Verleihung eines solchen Preises – wie er hier heute Ihnen verliehen wird – uns durchaus die Berechtigung gibt, kritisch Stellung zu nehmen, auch da, wo der positive Jurist tief eingewurzelte Bedenken hat.
Das galt schon im Hinblick auf die kritische Analyse von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, und das gilt insbesondere für die kritische Stellungnahme zu Strafrechtsreform-Bemühungen. Den Entwurf 1962- fast muss man sich Handschuhe anziehen, wenn man ihn aus dem Mülleimer der Geschichte hervorholen will- nannten
Sie mit Recht das Erbe des Obrigkeitsstaates. Die totalitäre Kehrseite einer sozialen Utopie nannten Sie das neue Strafrecht der DDR. Der Vergleich dieser beiden Strafrechtsgesetzgebungen ist tief aufschlussreich und gleichermaßen tief beunruhigend.
Sie engagierten sich dann insbesondere im Rahmen der Reformbemühungen für die Fristenlösung beim § 218 unseres Strafgesetzbuches. Sie haben hierüber schon 1973 geschrieben und dann erst jüngst wieder zur Diskussion des neuen Indikationenmodells. Sie schrieben über das Thema „Mit Gewalt ein neues Gesetz gegen Gewalt”- die Thematik kann wieder nicht besser formuliert werden. Der aus der Universitätslehre kommende Lobende an diesem Pult kann nur sagen: Schade, das man nicht journalistisch begabt ist, wie viel besser hätte man sein wissenschaftliches Engagement verkaufen können.
Sie schrieben dann sehr gründliche, sehr sorgfältige Beobachtungen nieder, die Sie während des Baader-Meinhof-Prozesses in Stammheim gemacht haben, wenn ich das hier richtig zusammenrechne, nun schon über fast zwei Jahre hinweg, und das ist etwas, was Mitglieder der Humanistischen Union besonders begeistert. Sie sind in eine wunderbare harte Diskussion mit der Obrigkeit geraten. Das es der Bundesjustizminister Vogel der Regierung ist, hinter der im großen ich natürlich auch stehe und Sie wahrscheinlich auch, das ändert nichts daran, das dieses genau die Haltung ist, die die Humanistische Union von den Bürgern und insbesondere von den Journalisten in der Bundesrepublik wünscht. Das ich bei dieser Auseinandersetzung auf Ihrer Seite stehe, brauche ich kaum noch zu unterstreichen.
Sie haben sich auch der Kritik rechts politischer Bemühungen um das Strafprozeßrecht gewidmet. Sie haben schon 1969 die Vorbeugehaft diskutiert. Ein Thema, das damals beunruhigend war und im Grunde heute noch genauso beunruhigend ist, weil sich fast niemand mehr beunruhigt über dieses Thema. Und Sie haben geschrieben über das Thema „Sanfte Sterbehilfe für die NS-Prozesse durch die deutsche Justiz”.
Schließlich aber gilt, wenn ich das richtig sehe, Ihr aller stärkstes rechtspolitisches Interesse, der tiefste Persönlichkeitsbezug wohl der Reform des Strafvollzugs, der Behandlung problematischer Menschen, die am Rande unserer schwierig gewordenen Gesellschaft stehen. Sie haben schon 1966 in Hamburg Gelegenheit gehabt, über dunkle Erfahrungen in diesem Bereich zu berichten, Sie haben über die Leichensache Hase geschrieben, über die „Glocke” der Demokratie. Sie haben sich geäußert über den Alternativentwurf für ein Strafvollzugsgesetz. Das habe ich natürlich besonders gern gelesen, weil ich ein bisschen Mitverantwortung trage für diesen Gesetzgebungsvorschlag, aber ich möchte mich nicht mit fremden Federn schmücken; die Hauptarbeit an diesem Reformvorschlag haben Kollegen geleistet, die damals noch nicht so stark im politischen Bereich tätig gewesen sind wie ich, aber ich stehe zu diesem Vorschlag und hier hat mich natürlich unsere Übereinstimmung ganz besonders gefreut. Sie haben aufgegriffen- schon 1973- das Problem der Gnade und der Demokratie. Sie haben geschrieben über die „Mattscheibe der Freiheit”. Es tut mir leid, aber ich habe auch immer etwas ästhetischen Genuss an Ihren Formulierungen, das darf ich ja wohl! Dem Nichtkenner sei gesagt, das es hier um das Fernsehrecht für die Insassen von Vollzugs Anstalten geht. Sie haben sich über das schwierige ungelöste Thema von Sexualität und Strafvollzug geäußert. Sie haben sich äußern müssen, das war gar nicht anders zu erwarten, anlässlich der Verabschiedung des neuen Strafvollzugs Gesetzes. Sie haben gesehen, was gut ist an diesem Gesetz, aber Sie mussten auch, und darin hatten Sie vollkommen Recht, sehen, was viel zu vage ist an diesem neuen Gesetz und wo es die Hoffnungen, die wir gehabt haben, nicht erfüllt. Sie haben aus der Praxis des Vollzugs berichtet, Sie haben Stellung genommen zum Problem der lebenslangen Freiheitsstrafe, Sie haben in einer erschüt-ternden Sendung „Ton- und Wortdokumente” aus einer deutschen Strafanstalt gebracht unter dem Titel „Sagen Sie durchs Radio, was hier los ist” (das war 1970).
Und schließlich nenne ich hier am Schluss zur Abrundung dieses Mosaiks eine Schrift, die Sie in einer Schriftenreihe der „Aktion Gemeinsinn” geschrieben haben, nämlich die Schrift „Lernen, frei zu leben”, eine Schrift zum Resozialisierungsstrafvollzug. Als ich diese Schrift vor mir hatte, zur Vorbereitung der Laudatio, habe ich festgestellt, was ich vorher gar nicht wusste, das sie von Ihnen geschrieben wurde. Ich finde, das sollte man bei einer Neuausgabe ändern. Ihr Name steht da an so versteckter Stelle, das das nicht als gerecht angesehen werden kann. Hier möchte ich auf die Selbstreklame deutscher Professoren- ich darf das so formulieren, da ich selbst dieser eigenartigen Gruppe angehöre – verweisen. Ein Professor hätte niemals zugelassen, das sein Name an einer so versteckten Stelle steht, bei einer Schrift, die so weit in die Öffentlichkeit getragen wird. Diese Schrift werde ich nun natürlich noch mit viel größerem Vergnügen weiter empfehlen.
Es wäre schön, wenn man nun ins einzelne gehen könnte. Die Zeit gebietet aber auch für eine Laudatio, das man nicht im Übermaße lobt, auch da, wo man es gerne tun würde. So will ich nur einige Themen anklingen lassen, bei denen Sie meine besondere Zustimmung finden, in der Hoffnung, das dies eine Laudatio begründen kann.
Da ist einmal Ihre Kritik an der Reform des Polizeirechts. Sie erinnern bei der neuen gesetzlichen Formulierung über den Schusswaffen Gebrauch an das Problem der tödlichen Schüsse. Sie weisen bei dem Todesschuss Problem auf die Frage hin: wie kann das eigentlich Grundgesetzkonform sein? Wollen wir, das irgendwo jemand einem Polizeibeamten erlaubt oder sogar befiehlt, zu töten? Man muss das so hart formulieren, um die Problematik zu sehen. Das ist nicht die Problematik, das man den in Not Geratenen selbstverständlich helfen muss, das es Notwehr gibt, das es Nothilfe gibt. Hier geht es um den Abbau von Barrieren, die es eben im Rahmen der Anwendung des Notwehrrechts gibt. Wenn man nämlich davon ausgehen müsste, das künftig Unterricht im Töten erteilt wird bei der Polizeiausbildung. Genügt es nicht, um hier nur soviel zu sagen, das es Situationen für den Einsatz der Polizei gibt, bei denen blitzartiges Kampfunfähig-Machen erforderlich ist? Aber dies wäre eben, wenn man es so ließe, eine ganz andere Unterbauung der psychologischen Situation des Polizeibeamten. Dies ist ja auch in seinem Interesse. Mir haben Polizeibeamte gesagt, das sie Ihre Kritik in jeder Hinsicht berechtigt finden. Denn sie wollen ja selbst nicht als Leute angesehen werden, die in einer etwas makaberen Weise in die Perspektive von Staatsdienern kommen, die trotz des Todesstrafen-Verbotes etwas machen, was in den Grenzbereich der Todesstrafe fällt. Sie, Werner Hill, haben mit Recht darauf hingewiesen, das hier genaue Definitionen fehlen und das schon das allein gefährlich ist. Sie haben darauf hingewiesen, das das Waffenarsenal erweitert worden ist und anderes mehr.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auf etwas hinweisen und ich weiß nicht, ob Ihnen das schon mal jemand gesagt hat: Sie haben in einem Interview mit einem Polizeipräsidenten diesen Interview-Partner zu einer Äußerung gebracht, die für mich als Juristen erschütternd war. Da war nämlich die Rede davon, das, wenn zwei Menschen sich aus einer lebensgefährlichen Situation nur so retten können, das der eine den anderen in den Tod stößt, derjenige, der den anderen tötet, in seinem Tun „gerechtfertigt” sei. Äußersten falls e n t s c h u 1 d i g t ist der Täter, niemals g e r e c h t f e r t i g t. Es kann niemals der unendliche Rechtsgut wert des Lebens gegen Leben in dieser Weise in Güterabwägung unterschiedlich gewertet werden. Eine erschütternde Äußerung- ich finde sie fast von historischer Bedeutung-, die Sie in einem Interview durch Ihr eindringliches Fragen ans Tageslicht gebracht haben!
Die Uhr läuft leider ab, Werner Hill. Ich wollte noch vieles sagen, insbesondere zum Strafvollzug und zu Ihren anderen rechts-politischen Engagements. Ich möchte aber die Gelegenheit wahrnehmen, zum Schluss noch auf zwei Punkte hinzuweisen. In einem Kreis wie diesem, ist es von vornherein unproblematisch zu sagen: Selbstverständlich kann auch in unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung ein Verfassungsorgan kritisiert werden. Es wäre schlimm und ein Selbstwiderspruch, wenn dem nicht so wäre.
Und deshalb ist es berechtigt, die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts auch kritisch zu analysieren, und es ist berechtigt, zu bestimmten Entscheidungen zu sagen, man halte sie als Jurist, als rechts politisch Engagierter, aber auch als Bürger (auch als Nichtjurist) für falsch. Ich bin mit Ihnen der Meinung, das dieses von dem Bundesverfassungsgerichtsurteil zu sagen ist, in dem das Radikalen Problem behandelt wird. Sie haben in einer Stellungnahme mit Recht auf die abweichenden Voten hingewiesen und auf die Mehrdeutigkeit bestimmter Feststellungen in dem Urteil. Ich kann das jetzt hier nicht alles und will es hier auch nicht weiter erörtern. Ich stimme Ihnen darin voll zu, und für mich ist ebenso wie wohl auch für Sie das abweichende Votum überzeugend. Selbstverständlich, das muss ich wegen meines Amtes sagen, müssen wir Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen respektieren. Das sind die Spielregeln unserer Demokratie, aber das nimmt uns nicht das Recht, immer wieder zu sagen, welche persönliche Rechtsauffassung zu den Problemen wir haben.
Der letzte Punkt, den ich noch anschneiden wollte, ist dieser: Sie haben in sehr pointierter, knapper und einleuchtender Form die Reformproblematik zu § 218 erörtert. Ihre Kritik ist in jeder Hinsicht berechtigt, und das Bundesverfassungsgericht hat hier ganz sicher seine verfassungsrechtlichen Kompetenzen überschritten. Das ist in dem Dissenting-Votum von Frau Rupp von Brüneck und Herrn Simon sehr schön auseinandergesetzt. Lassen Sie mich- ich benutze die heutige Preisverleihung gerne dazu, um das einmal auch vor einem breiteren Kreis gesagt zu haben- noch einmal darauf hinweisen, das ja das Bundesverfassungsgericht in dieser seiner Entscheidung selbst seine Grenzen gesehen hat; man kann es selber mit einem Zitat aus dem Urteil kritisieren. Im Leitsatz Nr. 4 hat nämlich das Gericht zum Ausdruck gebracht, das die Fristenlösung nicht a priori verfassungswidrig ist. Da heißt es wörtlich: „Der Gesetzgeber kann die grundgesetzlich gebotene rechtliche Missbilligung des Schwangerschaftsabbruchs auch auf andere Weise zum Ausdruck bringen als mit dem Mittel der Strafdrohung. Entscheidend ist, ob die Gesamtheit der dem Schutz des ungeborenen Lebens dienenden Maßnahmen einen der Bedeutung des zu sichernden Rechtsgutes entsprechenden tatsächlichen Schutz gewährleistet.” „Im äußersten Fall”, sagt das Bundesverfassungsgericht im Leitsatz 4, „wenn der von der Verfassung gebotene Schutz auf keine andere Weise erreicht werden kann, ist der Gesetzgeber verpflichtet, zur Sicherung des sich entwickelnden Lebens das Mittel des Strafrechts einzusetzen.“ Im Grunde genommen hat das Bundesverfassungsgericht an dieser Stelle dem Gesetzgeber eigentlich ganz etwas anderes gesagt als was üblicherweise aus der Entscheidung des Gerichts gefordert wird. Es hat nämlich dem Gesetzgeber gesagt: du kannst dir ja nochmal überlegen, ob nicht eine anders formulierte Fristenlösung geeignet wäre, unsere Bedenken zu beseitigen.
Verehrter Werner Hill, ich bin von Ihren Arbeiten zu einer eigenen rechtlichen Stellungnahme verlockt worden, aber Sie sehen, wie Ihre Arbeiten wirken, und ich kann nur sagen, wenn es immer so schöne Gelegenheiten gäbe für eine Laudatio, dann will ich die Tradition, mich als Skeptiker von solchen Lob Referaten fernzuhalten, abbrechen. Ich kann nur sagen, ich habe Sie gerne gelobt, und ich finde, das die Humanistische Union einen höchst geeigneten Empfänger des Fritz-Bauer-Preises ausgesucht hat.

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