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"Stabi­li­sie­rung" und "Desta­bi­li­sie­rung" im südlichen Afrika

vorgängevorgänge 2412/1976Seite 12-14

Aus: vorgänge Nr.24 (Heft 6/1976), S.12-14

Zum Zeitpunkt, da diese Zeilen geschrieben wurden, waren die vier bekannten nationalistischen Führer jenes afrikanischen Territoriums, das fürs erste noch als Rhodesien firmiert, „endlich” am Genfer Konferenzort eingetroffen, war bis zum Beginn der eigentlichen Gespräche zwischen Genfer „Inter-Conti” und Palais des Nations um den Inhalt des sogenannten „Kissinger-Planes”, um die Frage, ob dieser denn nun einen „package deal” darstellt, oder aber seine einzelnen Punkte „negotiable” sind, verbal hoch gepokert worden.
Zum Zeitpunkt, da diese Zeilen gedruckt vorliegen, wird wohl, dazu bedarf es keiner seherischen Gaben, der Guerillakrieg an den Grenzen der abtrünnigen britischen Kolonie an Intensität gewonnen haben. Und bis dahin dürften im benachbarten Südafrika wieder Dutzende, wenn nicht gar Hunderte von rechtlosen Schwarzen Opfer der weißen „law-and-order“-Kräfte geworden sein, dürften dieselben widerrechtlich in Namibia stehenden südafrikanischen Polizei- und Armeekräfte eine große Zahl von „Terroristen” ausgeschaltet haben. Die von Bonn in kurzer zeitlicher Abfolge und in getreulicher Imitation des amerikanischen Beispiels herbeigeredeten „friedlichen Lösungen” für Rhodesien, Namibia und Südafrika dürften ihrer Verwirklichung wenig näher gekommen sein. Nach den amerikanischen Wahlen aber dürfte die „Stabilisierung” der Lage im südlichen Afrika, die in Wirklichkeit einer „Destabilisierung” nach südamerikanischem Vorbild gleichkommt, ein gutes Stück weitergediehen sein. Und dies gleichgültig, ob nun Henry Kissinger in einer neuen Administration dienen wird oder nicht. Das „Ritual der Feindbeschwörung, dessen Realitätsgehalt der Normalbürger ebenso wenig nachzuprüfen vermag wie die Zweckmäßigkeit der diversen Waffensysteme” (Vorgänge Nr. 22, S 33), dürfte fröhliche Umstände gefeiert haben. Und dank der weiterhin „blühenden Waffenexporte der Industriestaaten” auch in diese Region dürfte das Konfliktpotential in Afrika erneut mächtig vergrößert worden sein.
Glaubt man der Mehrheit der westlichen Presse, dann ist diese pessimistische Sicht der Dinge keineswegs gerechtfertigt, haben sich doch, seit an diesem Orte zuletzt über Südafrika berichtet wurde ( Vorgänge Nr. 23, S 28 ff.), weder die Weißen in diesem Teil Afrikas noch die westliche Führungsnation „lernunwillig” gezeigt, Vielmehr hatte Henry Kissinger bereits vor den Vorgängen in Soweto realpolitische Lehren aus der zunehmenden Effizienz der Guerilla in Rhodesien und Namibia gezogen, war deshalb zu seiner ersten Afrika-Reise aufgebrochen und hatte sein erstes- bayerisches- Rendezvous mit Johannes Vorster arrangiert. Die Vorgänge von Soweto, die unmittelbar in die Tage vor diesem Treffen fielen, beschleunigten demnach nur die Lernwilligkeit Vorsters in bezug auf Rhodesien und Namibia, seine Bereitschaft, das Rebellenregime in Salisbury „fallen zulassen”. Nicht nur in den Augen der Mehrheit der westlichen Kommentatoren, sondern auch konservativer afrikanischer Regimes im Umfeld, die Rückwirkungen revolutionärer Umwälzungen im südlichen Afrika zu fürchten haben, hatte Henry Kissinger wieder einmal einen seiner überwältigenden Erfolge davongetragen. Für einen so liberalen afrikanischen Kommentator wie Peter Enahoro von der Zeitschrift Af rica aber bleiben „Zweifel bezüglich der wahren Absichten der USA in jenem Teil Afrikas, selbst wenn Kissinger es geschafft haben sollte, Ian Smith und seine rebellischen Genossen das Licht sehen zu lassen”.
Die meisten afrikanischen Beobachter können nicht verdrängen, daß „Mr K.” das bislang beispiellose amerikanische Engagement in dieser Sache erst dann persönlich an den Tag legte, als die Kubaner und die Sowjets in Angola der Volksfront-Bewegung MPLA massive Hilfe gegen die (sogenannten) „pro-westlichen” Bewegungen FIVLA und UNITA, die mit Hilfe von CIA, Südafrikas und konservativer afrikanischer Regimes operierten, hatten zukommen lassen. Ferner waren und sind die Afrikaner überzeugt, daß „die Guerilleros in Rhodesien und Namibia den Sieg in absehbarer Zeit auch ohne Kissingers Aktion fünf Minuten vor zwölf davongetragen hätten“. Und schließlich sind Rhodesien und Namibia für Schwarzafrika nur Nebenkriegsschauplätze des eigentlichen Schauplatzes Republik Südafrika und des dort in Raten verwirklichten Genozids.
Die Afrikaner erinnern sich gerade nach Kissingers plötzlichem persönlichen Einsatz im südlichen Afrika daran, daß er noch im Jahre 1972 jenes 1969 erstellte „National Security Memorandum” einsegnete, in dem auf die Verteidigung der amerikanischen und westlichen Interessen im südlichen Afrika durch die Kolonialmacht Portugal sowie die weißen Minderheitsregime in Rhodesien und Südafrika gesetzt wurde.
Sie erinnern sich daran, daß derselbe Kissinger sich nie dafür verwendete, daß das „Byrd Amendment”, nach dem die USA entgegen den Sanktionsbeschlüssen der Vereinten Nationen weiterhin Chrom aus Rhodesien importierten, beseitigt wurde. Sie sind deshalb heute davon überzeugt, daß der plötzliche Einsatz Washingtons in dieser Weltregion allein aus der Furcht resultiert, dort „ausgeschaltet” zu werden, falls Rhodesien und Namibia unter die Führung politischer Bewegungen, die nicht neo-kolonial zu kontrollieren wären, fielen. Die .Afrikaner befürchten nun ihrerseits- und die Art der von Kissinger auf seiner Afrika-Tour gesuchten Kontakte scheint diese Furcht zu bestätigen-, daß ein Teil von Kissingers Plan darin besteht, die nationalistischen Bewegungen der Region derart zu infiltrieren, daß die sogenannten „gemäßigten” Bewegungen nicht wie im angolanischen Falle an die Wand gespielt werden.

Kissingers Rhodesien-Plan wurde bis zur Genfer Konferenz nie im Wortlaut publik gemacht, und das hatte Methode, diente die Auseinandersetzung um garnicht wirklich bekannte Programmpunkte doch bereits der Abklärung, wer von den rhodesischen Nationalisten „moderiert” und somit „akzeptabel” und wer es nicht sei. So konnte er denn auch vier Tage vor Beginn der Konferenz geradezu keß erklären, daß sein Plan „keine definitive Formel, sondern nur eine Verhandlungsbasis” sei, somit „alle Teilnehmer an der Konferenz die Wahrheit sagen, wenn sie von meinem Plan reden”.
Der eigentliche Plan ist also der, bei dem jene 2 Milliarden Dollar im Spiel sind, die ja keineswegs, wie auch offen erklärt wurde, allein dazu dienen, um widerspenstige Weiße in Rhodesien auszukaufen, oder in altruistischer Weise der Gerechtigkeit genüge zu tun, sondern allein- und auch dies wurde offen erklärt- der „politischen Stabilisierung in Rhodesien am Tage nach der Unabhängigkeit” und der „Sicherung der bedeutenden westlichen Investitionen und der fortgesetzten Zufuhr an strategisch wichtigen Rohstoffen aus Rhodesien” (vgl „Byrd Amendment” und Chrom). Nun kann es den Amerikanern niemand verdenken, daß sie zur Sicherung ihrer globalstrategischen und wirtschaftlichen Interessen derart manövrieren. Ohne den abstrusen Schlüssen Pekings und seiner maoistischen Jünger in der Bundesrepublik bezüglich der sozialimperialistischen Manöver Moskaus in Angola folgen zu wollen, darf man schließen, daß die Sowjetunion ebenfalls zur Wahrung ihrer Interessen in Afrika Waffen nach Angola lieferte und noch liefert.
Was Schwarzafrika jedoch ungeachtet dieser Einsicht hinsichtlich der amerikanischen Afrika-Politik so ungleichmäßig viel mißtrauischer macht, ist der allzu offensichtliche Versuch Henry Kissingers, zunächst in Rhodesien, aber in Ansätzen auch schon in Namibia und in Südafrika die sogenannten räsonablen Afrikaner von den unvernünftigen auseinanderzudividieren. Es ist dieselbe Politik, wie sie in den Wochen vor dem Sondergipfel der Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) zu Angola mit Hilfe mehrerer Emissäre, die in die prowestlichen afrikanischen Hauptstädte entsandt wurden, betrieben wurde, mit relativem Erfolg, wie man weiß, denn damals kam bei der OAU keine Anerkennung der MPLA zustande. Sie wurde dann auf Kissingers Geheiß auf dem Felde zugunsten von UNITA, vor allem aber der FNLA weitergetrieben, obwohl der lokale CIA-Resident im benachbarten Zaire von der FNLA als einem „undisziplinierten, marodierenden Gaunerhaufen” berichtet hatte.

Nun, da in Mozambik und Angola, wenn auch unter größten Schwierigkeiten, eine Alternative zum weg der Entwicklung zur Unter-Entwicklung in den „pro-westlichen” Neo-Kolonien versucht wird, geht es darum, in Rhodesien, Namibia und Südafrika zu retten, was noch zu retten ist. Im rhodesischen Falle scheint das nicht gerade neue Mittel hierfür das durch gezielte Ungenauigkeiten und „gepflanzte” Nachrichten bewirkte Auseinanderdividieren der Nationalisten zu sein, aus dem schließlich der „gemäßigte” Joshua Nkomo als akzeptabler Kandidat hervorzugehen hat. Seine jüngste verbale Radikalität und sein verbales Flirten mit Moskau können nicht darüber hinwegtäuschen, daß Nkomo, was seine personelle und finanzielle Unterstützung angeht, seit Jahren der Mann des Lonrho-Konzerns und anderer westlicher Wirtschaftsinteressen ist. Auch der Bischof Muzorewa hat in den Tagen vor Beginn der Genfer Konferenz erkennen lassen, daß er nach der Unabhängigkeit normale Beziehungen zum südafrikanischen Nachbarn anstreben wird, eine Normalität, die der pure wirtschaftliche Überlebenswille diktiere.
Doch selbst nach der Ersetzung des „halsstarrigen” Jan Smith durch ein gemäßigtes schwarzes Regime in Salisbury, die Entlassung eines südafrikanischen Geiselstaates Namibia in eine Unabhängigkeit, selbst unter möglicher SWAPO-Führung, wäre die Stabilisierung des südlichen Afrika solange nicht gesichert, wie nicht Angola und Mozambik endgültig destabilisiert sind.
In diesem Zusammenhang sind die seit dem vergangenen Jahr ständig auftauchenden Meldungen über sowjetische Stützpunkte und Basen in Angola und Mozambik von besonderer Wichtigkeit. Ähnlich wie im Falle der Insel Diego Garcia im Indischen Ozean sind sie dazu angetan, verstärkte westliche Waffenhilfe an „pro-westliche” afrikanische Regimes, ob in Kenia oder Zaire, oder im „Ernstfalle” sogar an Südafrika zu rechtfertigen- und dies, obwohl im Falle Diego Garcia, wie amerikanische Senatoren kürzlich erklärten, wohl erst Absichten der amerikanischen Militärs, sich den festen „Flugzeugträger” Diego zuzulegen, die „sowjetische Gefahr” als Menetekel erscheinen ließen und, nach Realisierung der Vorhaben, tatsächlich die Sowjets auf den Plan riefen.
In diesen Zusammenhang passen auch die immer wieder auftauchenden Meldungen von Plänen zur Schaffung eines südatlantischen Verteidigungspaktes SATO unter Einschluß von Südafrika, Brasilien, Argentinien, der USA sowie einer stillschweigenden Kooperation der NATO. Hier hinein passen die fortgesetzten französischen Waffenlieferungen an Südafrika sowie die kürzlichen Enthüllungen über heimliche Waffenlieferungen amerikanischen Firmen an Südafrika, nicht zu sprechen von der offenen Lieferung „friedlicher” moderner Technologien aus der Bundesrepublik, die in Südafrika umgehend in militärische „Hardware” umgesetzt werden. Und schließlich paßt hier hinein die zunehmende militärische, militärtechnologische und geheimdienstliche Zusammenarbeit zwischen dem Staat der Apartheid, Südafrika, und den beiden Stellvertretern westlicher Interessen im Nahen Osten, Israel und Iran.
Es stimmt, daß die amerikanischen Investitionen in Südafrika nur 1 ,2 Prozent aller amerikanischen Auslandsinvestitionen ausmachen, wenn sie auch eine jährliche Rendite von 18 Prozent abwerfen; Wichtiger als die Rolle einer Zentrale der „counterinsurgency” im südlichen Afrika- obwohl auch diese Rolle für Angola und Mozambik weiterbesteht – ist deshalb Südafrikas Rolle als Aufpasser am Kap der Guten Hoffnung.

In einem Rhodesien-Papier für das „Anti-Rassismus-Programm” des Genfer Weltkirchenrates schrieb der Reverend W. Winter kürzlich, die im erwähnten „National Security Memorandum” des Jahres 1969 enthaltene Annahme, daß Portugal, Rhodesien und Südafrika am besten die westlichen Interessen im südlichen Afrika schützten, sei inbezug auf die beiden ersteren, „nicht aber inbezug auf Südafrika aufgegeben worden”; „Südafrika und seine westlichen Alliierten stimmen deshalb darin überein, daß, welche Veränderungen auch immer in Rhodesien eintreten mögen, diese nicht dazu führen dürfen, daß die Machtstruktur im südlichen Afrika verändert wird”.
Wenn Kissinger oder Vorster von der Gefahr sowjetischen, kubanischen oder chinesischen Einflusses reden, dann meinen sie die Gefahr einer von den Massen getragenen revolutionären Bewegung im südlichen Afrika, wie immer deren Unterstützung von außen auch aussehen mag. Ihre Aktionen, ob sie nun heimlich auf eine fortgesetzte Unterstützung des weißen Regimes abzielen oder auf den Versuch, irgendeine neue Alternative zu schaffen, werden darauf gerichtet sein, die Revolution in Zimbabwe zu verhindern.
Henry Kissinger sprach früher im Jahr davon, daß „Namibia zwar wichtig ist, daß Rhodesien aber den Schlüssel zum Problem im südlichen Afrika darstellt”. Peter Enahoro, der mit seinem Urteil die Meinung der Mehrheit der politischen Führer Afrikas wiedergibt, schrieb dazu: „Henry Kissinger irrt sich. Der Schlüssel zum Problem des südlichen Afrika ist die Republik Südafrika, und solange die USA ihre Afrika-Politik nicht um die Erkenntnis dieser Realität herum organisieren, wird ihre Afrika-Politik weiterhin mit der afrikanischen Sicht der Dinge und afrikanischen Bestrebungen nichts gemein haben.”
Für Rhodesien glaubt Kissinger immerhin die „Verhandlungsbasis”, wenn auch „nicht einen definitiven Plan” geschaffen zu haben. Im Falle Südafrika hat er nicht einmal mit der Grundlegung für die Schaffung einer solchen Basis begonnen.

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