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Brisantes, aber unbekanntes Thema Datenschutz

vorgängevorgänge 2412/1976Seite 97-100

Aus: vorgänge Nr.24 (Heft 6/1976), S. 97-100

Selbst die parlamentarische Behandlung eines „Gesetzes zum Schutz vor Mißbrauch personenbezogener Daten bei der Datenverarbeitung (Bundes-Datenschutzgesetz-BDSG)” zum Ende der 7. Legislaturperiode hat es nicht vermocht, die öffentliche Aufmerksamkeit auf das unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten so wichtige Problemfeld Datenschutz zu lenken. Von der Bedeutung her erschiene eine öffentliche Diskussion angemessen, wie sie über Umweltschutz oder Verbraucherschutz geführt wird. Aber beim Wort fängt es schon an: nicht Daten sollen geschützt werden, sondern Bürger.
An problem-orientierter Literatur fehlt es nicht, und sie liest sich bisweilen spannend wie ein Krimi (mitsamt Gänsehaut angesichts mancher Beispiele). Hier sollen sechs Bücher vorgestellt werden, die in den letzten Jahren erschienen sind, davon sind drei Aufsatzsammlungen, und bei einem haben sich vier Autoren die Arbeit geteilt. Gemeint ist:
Ulrich Dammann, Mark Karhausen, Paul Müller, Wilhelm Steinmüller: Datenbanken und Datenschutz, Frankfurt am Main 1974 (Herder & Herder), 204 5,19, 80 DM.
Zweck dieses Buches, nach Angaben der Autoren: „Ein größeres Publikum soll erfahren, welche Chancen und Gefahren elektronische Datenbanken für den einzelnen und die Gesellschaft mit sich bringen und welche Datenschutzmaßnahmen ergriffen werden können, um Nachteile abzuwenden.” Geschützt werden muß der einzelne nicht nur vor einer allmächtigen Verwaltung, sondern auch vor Privaten, z.B. vor Wirtschaft und Verbänden. Allein das Wissen um Existenz und Austausch „schwarzer Listen” bei potentiellen Arbeitgebern kann Arbeitnehmer-Engagement verkümmern lassen.
Es handelt sich bei diesem übersichtlich angelegten Buch um eine vorzügliche Einführung, die Problembewußtsein schafft und Begriffe klärt. Zum Zentralbegriff Datenschutz heißt es: „Datenschutz umfaßt die Verhinderung aller gesellschaftlich unerwünschter Folgen von Datenverarbeitung- mögen sie den einzelnen Bürger, Gruppierungen oder Institutionen bedrohen.” Und unter „Privatsphäre” verstehen die Autoren mehr als einen Freizeit-Freiraum, vielmehr die „durch die Struktur von sozialen Beziehungen bedingte unterschiedliche Sichtbarkeit von Individuen in unterschiedlichen Kontexten (Umwelten).” Dem liegt die Erfahrung zugrunde, daß sich jeder Mensch in seinen unterschied-lichen Rollen unterschiedlich darstellt. Diese Chance muß gewährleistet bleiben.
In Bezug auf die Verwaltungsorganisation werden die Interessengegensätze zwischen Verwaltung und Bürger als Konflikt herausgearbeitet, und es ist das einzige unter den hier vorgestellten Büchern, in dem problematisiert wird, daß die Kirchen voll in den Informationsverbund der Verwaltung ein-bezogen werden. Kritisiert wird, daß die Öffentlichkeit (und schon gar nicht der Betroffene) nichts darüber erfahren kann, was die Verfassungs-„schützer“ in ihrem gemeinsamen System NADIS speichern und nicht löschen. Schließlich wird betont, daß der Bürger nicht allein am gesicherten Datenbestand interessiert sein sollte, sondern ebenso sehr am Datenfluß (wer will warum welche Auskünfte über mich einholen?).

Beachtenswerte Beiträge sind enthalten in:
Gerd E. Hoffmann, Barbara Tietze, Adalbert Podlech, (Hg): Numerierte Bürger. Wuppertal 1975 (Hammer- Verlag), 1 92 S, 26 DM.
Dieser Aufsatzsammlung – 20 an der Zahl – liegt eine Initiative von Gerd E. Hoffmann im bundesdeutschen PEN-Zentrum zugrunde.
 „Es muß nach unserer Meinung verhindert werden, daß durch die Verabschiedung unausgereifter Gesetze die Weichen – gewollt oder aus Unkenntnis – in eine Richtung gestellt werden, in der demokratische Grundrechte und Freiheiten nach und nach abgebaut und Grundlagen für eine Technokratie-Diktatur geschaffen werden”, hieß es in der Resolution. Diesem Ziel dienen ausnahmslos die ideenreichen und informativen Beiträge.
Adalbert Podlech fordert die „Trennung von fachlicher und technischer Verantwortung im Bereich öffentlicher Informationsprobleme”, so wie traditionell im Betrieb Buchhaltung und Kasse in verschiedenen Händen sind. Er verweist auch auf die Tatsache, daß die meisten Entscheidungen in Bezug auf das Informationssystem nicht wieder rückgängig gemacht werden können. Auch Eggert Schwan will den Bürger vor staatlicher Informationssammlung schützen: der Staat dürfe „um der Wissenserlangung selbst willen, zur Befriedigung seiner Neugier” allein keine Informationen sammeln. Kerstin Aur berichtet über Datengesetz und Datenschutz in Schweden (,‚Man kann alles wissen, was die staatlichen Behörden über uns wissen“). Die Lösung der dort aufgeführten Konflikt-Fälle belegt eine faszinierende Sensibilität für das Thema Datenschutz in Schweden. Aber auch dieses Land ist machtlos, wenn Firmen und Organisationen ihre Register auslagern – in Länder ohne Datenschutz.
Elisabeth Endres sorgt sich im Aufsatz „Datenerfassung und Probleme der Demokratisierung” um die Machtfrage. Die wenigen Wissenden entscheiden über die Köpfe der Betroffenen hinweg, welche Daten über das Individuum gewußt werden und, jederzeit abrufbar, bekannt sind. Mit dem möglichen Mißbrauch „relativ sensibler Daten”, wie sie z.B. bei psychologischen Tests gesammelt werden, beschäftigt sich Barbara Tietze. Eine Sache für Bürgerinitiativen könnte der Datenschutz nach Meinung von Karlheinz Gebhardt sein. Er beklagt das bloß partikulare Interesse der Gruppen, die mit Daten zu tun haben. Ulrich Dammann skizziert auf viereinhalb Seiten das hessiche Datenschutz-Modell,
Paul J. Müller plädiert dafür, eine „kontrollierte selektive Zugänglichkeit” von Informationen zu garantieren, so daß die jeweilige Institution nur über jene Daten verfügen kann, die sie zur Erfüllung ihrer Funktionen legitimerweise benötigt. Hartmann J. Genrich vertritt die These, „Gegenstand eines Schutzes gegen Mißbrauch können nur solche Nachrichten (,Daten`, ‚Informationen‘) sein, deren G e b r a u c h festliegt”, anders ausgedrückt: beliebiger Gebrauch von Nachrichten ist dasselbe wie totaler Mißbrauch.
Schon diese wenigen Informationshappen werden verdeutlichen, daß das Buch „Numerierte Bürger” zum Weiterdenken und -handeln anregt; insgesamt eine ähnlich gute Einführung in die Thematik wie „Datenbanken und Datenschutz”.

Das Ergebnis eines Streitgesprächs, das im März 1974 in der Parlamentarischen Gesellschaft in Bonn geführt wurde, ist festgehalten in 15 Aufsätzen, die im folgenden Buch gesammelt sind:
Helmut Krauch, (Hg): Erfassungsschutz, Stuttgart 1975 (dva),168 S, 26 DM.
Auch hier können nur die wichtigsten Aufsätze erwähnt werden, zumal einige Experten offenbar so gefragt sind, daß ihre Arbeiten immer wieder veröffentlicht werden; so hat sich Paul J. Müller in drei der hier vorgestellten sechs Bücher zum Problem „Gefährdung der Privatsphäre” geäußert. Als Experte äußert sich ganz gewiss Willi Birkelbach. Als erster hessischer Datenschutzbeauftragter sammelte er Beispiele der Gefährdungen für den Einzelnen und für die Allgemeinheit, sofern der Datenschutz nicht geregelt wird: erforderlich seien sehr detaillierte Vorschriften. Mit Generalklauseln „wird ein Schutz nur vorgetäuscht”. Beispiele, die um die Rechtsstaatlichkeit fürchten lassen, bringt Ulrich Seidel in „Die durchlöcherte Privatsphäre”. Er berichtet über praktizierte Formen der Beschattung (überbetriebliche Selbstschutzvereinigungen, Telefonbeschattung- der Computer hält fest, wer mit wem telefoniert: „Sympathisantenszene” –, Bibliotheks-Entleih-Auskünfte, Kooperation Arbeitgeber – Betriebsärzte, Adressenverlage, Kreditauskunfteien …). Als Rechte der Bürger fordert Seidel: Einsichtsrecht, Löschungs- und Änderungsansprüche, Schadenersatzansprüche. Herbert Auernhammer greift diese Überlegungen auf, indem er prüft, welche Möglichkeiten das Strafrecht schon heute einem Bürger einräumt, der sich in seiner Persönlichkeit durch Daten-Mißbrauch beeinträchtigt fühlt. Hierzu gibt es freilich noch viel zu wenige Präzedenzfälle in der Rechtsprechung.
Mark 0. Karhausen warnt vor dem Kinderglauben an die Anonymisierung von Daten. Sofern man nur genügend Listen miteinander in Beziehung setzen kann, ist es ein leichtes, unter 50 000 Sätzen jenen „Studenten aus Uganda, der Botanik in Köln studiert und 23 Jahre alt ist” herauszufinden – mit Personenkennzeichen ist das noch leichter als ohne. Folgerung: jeder soll nur an die Daten herankommen, die er für eine klar definierte Aufgabe braucht. Sehr wichtig erscheint mit die Arbeit von Ulrich Dammann „Zur politischen Kontrolle von Planungsinformationssystemen”. Solche Systeme mit umfassender Datensammlung existieren schon auf kommunaler und auf Länderebene. Daß man so wenig davon hört, liegt daran, „daß den Experten der politische und den Politikern der wissen-schaftlichtechnische Problemhorizont bislang fehlt.” Für wirklich umfassende Planungsaufgaben braucht man die verschiedensten Daten; der Ruf nach sachlich eng begrenztem Zugang müßte hier also widersinnig erscheinen – ein gravierendes Problem im Daten-schutzbereich.
Barbara Tietze und Gerd E. Ho f f mann erörtern psychologische und sozialantropologische Aspekte und führen den Begriff des „Datenschattens” in die Diskussion ein- der Mensch also nicht so, wie er wirklich ist, sondern wie er in der Summe aller über ihn gespeicherten Daten erscheint – ein Mensch, der womöglich nicht mehr das tut, was er will, sondern nur noch das, was sich positiv auf seinen Datenschatten auswirkt.

Wenig zum Thema Datenschutz findet sich in Heinz Schilling (Hg): Herrschen die Computer? Freiburg im Breisgau 1974 (Herder), 160 S, 4,90 DM.
Dem Herausgeber ist zuzustimmen, wenn er mit Blick auf die vorgelegten Aufsätze resümiert, acht von elf Autoren hätten nur „Erfolgsbilanzen” vorgelegt. Anders gesagt: die Computer-Bücher wurden (werden?) fast ausschließlich von Computer-Experten ge-schrieben. Betriebsblindheit ist da naheliegend.
Erwähnenswert aus diesem Büchlein sind die von Karl Steinbuch dargelegten „Probleme der totalen Kommunikation”. Als Gefahren nennt er (1) die erhöhte Störanfälligkeit z.B. durch Sabotage oder Streik (was Steinbuch in einem Atemzug nennt!), (2) Manipulation der Gesellschaft, (3) radikale Zerstörung der Privatsphäre. Aber Steinbuch ist zu sehr im Effizienz-Denken befangen, als daß er diesen Gefährdungen weitergehende Aufmerksamkeit schenken würde: jedem Bürger mitzuteilen, wer, was, wann über ihn abgefragt hat, lasse sich kaum realisieren, weil sonst die Daten-Anlagen überfordert wären. Rechtsstaatlichkeit wird hier unter der Hand zur abhängigen Größe des technisch Machbaren.

Ein eher teurer denn wertvoller Aufsatz ist im folgenden Mini-Buch nachzulesen:
Christoph Sasse, Sinn und Unsinn des Datenschutzes. Karlsruhe und Heidelberg 1976 (C. F. Müller) 53 S,14 DM.
Sasse teilt in einem Vortrag Ergebnisse ausgedehnter Hearings des US-Senats mit und warnt gleichzeitig vor einer allzu simplen Übertragung dieser empirischen Erkenntnisse auf die Situation in Europa. Dies wird ausführlich dargelegt am unterschiedlichen Aus-weis-System und Meldewesen und an der Rolle des Konsumentenkredits. Mangelndes Problembewußtsein scheint aber in der Einleitung deutlich zu werden: den Skeptikern, die besorgt sind wegen der Einführung eines allgemeinen Personenkennzeichens wird „die Befürchtung düsterster Konsequenzen”, ein „diffuses Gefühl der Bedrohung” vorgehalten. Sasse sieht die Notwendigkeit, den Bürger vor der öffentlichen Verwaltung zu schützen, ist aber nicht so engagiert, wo es um den „Datenschutz im nichtöffentlichen Bereich” geht. Da ist ihm zum Abwiegeln kein Argument zu billig: „Das vollständige Fehlen von Berichten über Mißbräuche bei privater Daten-Sammlung ist demnach kein Zufall”, meint der Autor — als ob es nicht auch anderswo Mißstände gäbe, zu denen noch kein Bericht verfaßt worden ist!

Weil Zeit- und Geldinvestitionen für Bücher, die nicht halten, was sie im Titel ver-sprechen, allemal Ärger bereiten, sei zum Schluß hingewiesen auf: Helmut Krauch: Computer-Demokratie. Düsseldorf 1972 (VDI- Verlag), 156 S, 22 DM.
Krauch ist offenbar ein sehr viel besserer Buch-Herausgeber (vgl. „Erfassungsschutz”) als Buch-Autor. Denn was er wortreich abhandelt ist- angereichert um den Inhalt der übrigen Zettelkästen- die fixe Idee, wenn es den Computer schon gibt, dann müsse er doch auch zu Nutz und Frommen der Demokratie eingesetzt werden können. Mit Hilfe des WDR (da erwähnt er dann aus lauter Dankbarkeit auf wenigen Seiten sechsmal Werner Höfer) durfte er in der Sendung „Orakel” mit Zuschauerbeteiligung experimentieren. Das ist aber auch das einzig Konkrete an diesem werk- ansonsten viel Readers Digest-Auslassungen, zeitgeschichtliche Reminiszenzen (,‚Als die Gesellschaft wie auch das Staatswesen immer komplizierter wurden, tauchte die Idee des Pluralismus auf“), bis hin zur unfreiwilligen Komik (,‚Der Staat verliert damit sein Gesicht und seine väterliche Autorität“). Im Ernst: daß es Krauch mehr um Computer als um Demokratie geht, zeigt das durchweg fehlende Problembewußtsein: an der Personenkennziffer findet er prima, daß „gerade durch solche Maßnahmen ein großer Teil der unerfreulichen Begegnungen mit der Verwaltung redu-ziert werden könnte”.
Alles in allem: Besonders die erwähnten Aufsatzsammlungen sind geeignet, sich mit den Problemen um Datenschutz und Personenkennzeichen vertraut zu machen. Die öffentliche Diskussion darüber muß spätestens jetzt beginnen, damit es eine öffentliche Meinung gibt, wenn weitere oder weitergehende Gesetze in diesem Bereich beschlossen werden sollen.

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