Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 237/238: Diskriminierende Realitäten

Diskri­mi­nie­rung in der Polizei: Organi­sa­ti­ons­kul­tu­relle Bedingungen am Beispiel von Frauen und Menschen mit Einwan­de­rungs­ge­schichte

Über der Debatte um mögliche diskriminierende Polizeipraktiken gegenüber Bürger:innen wird bisweilen vergessen, dass die Polizei kein „Spiegel der Gesellschaft“ ist und viele soziale Gruppen in ihr deutlich unterrepräsentiert sind – unter anderem Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund. Inwieweit das mit der vergleichsweise späten Öffnung der deutschen Polizeibehörden für diese Gruppen zu tun hat, welche Erfahrungen sie in der Polizei teilen und welche Probleme sich daraus auch heute noch organisationsintern ergeben, beleuchtet der folgende Beitrag.

Seit einigen Jahrzehnten wird in Deutschland auch aus wissenschaftlicher Perspektive immer wieder die Frage nach Formen und Tendenzen der Diskriminierung durch die Polizei gestellt. Während die Thematik im internationalen Kontext bereits recht gut erforscht ist, wird hierzulande vor allem die entsprechende englischsprachige Literatur rezipiert. Die empirischen Erkenntnisse zu diskriminierenden polizeilichen Praktiken in Deutschland sind bisher nur als fragmentarisch zu bezeichnen. Dies betrifft vor allem auch Formen der Diskriminierung innerhalb der Organisation.

Der vorliegende Beitrag verfolgt deshalb das Ziel, Diskriminierungspraktiken in der Polizei zu beleuchten. Der Fokus liegt dabei auf geschlechterbezogener und ethnischer Diskriminierung, da hierzu zumindest punktuell wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen. Das Thema der Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung wird darüber hinaus kurz angerissen.

Definition Diskri­mi­nie­rung

Um die Frage nach Diskriminierung in der Polizei zu diskutieren, ist zunächst jedoch zu klären, was unter Diskriminierung aus einer soziologischen Perspektive zu verstehen ist. Im alltagssprachlichen Gebrauch werden unter Diskriminierung meist abwertende Sprechweisen und benachteiligende Handlungen verstanden, welche auf Basis negativer Stereotype einzelner Personen oder Gruppen entstehen (vgl. Scherr 2017, S. 40ff.). Nach Albert Scherr (2017) untersucht die Soziologie dagegen „Diskriminierung als gesellschaftliches Phänomen. Grundlegend ist dafür ein Verständnis von Diskriminierung als soziale Konstruktion und Verwendung von Unterscheidungen zwischen Personenkategorien und imaginären Gruppen, die mit Vorstellungen über Ähnlichkeit und Fremdheit, Zugehörigkeit und Nicht-Zugehörigkeit“ assoziiert sind (ebd., S. 39). Soziologische Erklärungsansätze von Diskriminierung wenden den Blick explizit nicht auf individuelle Einstellungen und Handlungen, sondern vielmehr auf gesellschaftliche und organisationale Strukturen. Ihr Ziel besteht u.a. darin, individuelles diskriminierendes Handeln erklärbar machen. Diskriminierung kommt in dieser Betrachtungsweise zudem die Bedeutung zu, gesellschaftliche Ungleichheits- und Machtverhältnisse zu (re-)produzieren.

Vor diesem Hintergrund muss die Beschäftigung mit Diskriminierungen in der Polizei auch der Frage nachgehen, welche organisationalen Bedingungen und Strukturen zu diskriminierenden Handlungspraktiken und der sozialen Benachteiligung bestimmter Personengruppen in der Organisation führen bzw. diese reproduzieren. Im Rahmen öffentlicher und wissenschaftlicher Diskussionen mit der Thematik wird dies m.E. oft vernachlässigt, wenn es um die Frage geht, inwiefern Diskriminierungsformen wie z.B. Rassismus bei der Polizei individuelle bzw. strukturelle Ursachen haben. Auch die bisherige Forschung zu polizeilichen Diskriminierungspraktiken ist hier nicht immer eindeutig bzw. vernachlässigt strukturelle Bedingungen oftmals, da sie meist Praktiken und Einstellungen adressiert, jedoch eher selten die Organisation und ihre spezifische Bedeutung für die Herstellung und Aufrechterhaltung diskriminierender Verhältnisse analysiert.

Der folgende Abschnitt beleuchtet zunächst die Bemühungen um Diversifizierung des Polizeipersonals anhand der Rekrutierung von Frauen und Menschen mit Einwanderungsgeschichte und geht hierbei auf organisationale Bedingungen von Ein- und Ausschlüssen der betroffenen Personengruppen ein.

Die Polizei auf dem Weg zu einer diversen Beleg­schaft?

Die empirische Forschung in Deutschland zu Diskriminierung in der Organisation Polizei hat sich in den letzten Jahren vor allem auf Mitarbeitende mit Einwanderungsgeschichte fokussiert. Im Zentrum standen dabei u.a. Rekrutierungsstrategien und -prozesse. In Bezug auf die Rekrutierung von Frauen existiert deutlich weniger Literatur. Dies ist deshalb bemerkenswert, da Frauen bereits seit Ende der 1970er Jahren für den Polizeivollzugsdienst eingestellt wurden (Dudek 2009, S. 9), während die Rekrutierung von Personen mit einer Nicht-EU-Staatsbürgerschaft erst seit Mitte der 1990er Jahre beamtenrechtlich gestattet ist. Seitdem wird auch die Anwerbung von Deutschen mit Einwanderungsgeschichte vorangetrieben.

Dass die gezielten Bemühungen um Männer und Frauen kein Merkmal einer progressiv auf soziale Diversität und kulturelle Vielfalt ausgerichteten Organisation darstellen, lässt sich bereits daran erkennen, dass die Polizei neben dem Militär in Deutschland die letzte staatliche Organisation war, welche Frauen den Zutritt als Mitarbeiterinnen gewährte. Auch in Bezug auf die Integration von Personen aus ethnischen Minderheitengruppen war die Polizei im Vergleich zu anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes (wie z.B. Schulen) eher Schlusslicht. Hinzu kamen und kommen von Seiten der Polizeiorganisationen oftmals eher funktionalistische Gründe dafür, Frauen und Migrant:innen für den Polizeivollzugsdienst zu rekrutieren (vgl. Hunold 2008, S. 18f.). Dies bedeutet, dass beide Personengruppen von Polizeiorganisationen als eher homogene Gruppen wahrgenommen werden, denen spezifische Fähigkeit zugeschrieben wird, welche die polizeiliche Arbeit verbessern helfen.

Hinsichtlich des Anteils von Frauen unter den Beschäftigten der Polizei lässt sich insgesamt ein deutlicher Zuwachs verzeichnen. So stieg der Frauenanteil in den Bundes- und Landespolizeien von 2000 bis 2019 von 20,0 % auf 29,3 % an.i Trotzdem, so muss man deutlich formulieren, lässt die Integration von Frauen in die Polizei zu wünschen übrig – vor allem wenn man bedenkt, dass die Polizei sich für Frauen bereits vor vier Jahrzehnten geöffnet hat. So machen z.B. Frauen im höheren Dienst der Polizei Berlin bis dato weniger als ein Viertel der Beschäftigten aus und dies, obwohl hier scheinbar von insgesamt höheren Bewerberinnenzahlen ausgegangen werden muss (Stand 2020).ii Weiterhin machen Frauen im gehobenen Dienst der Polizei Berlin bis dato weniger als ein Drittel der Belegschaft aus (Stand 2020). Zwar gab es in den letzten Jahren in Berlin auch deutlich weniger Bewerbungen für den Polizeivollzugsdienst von Frauen als von Männern, jedoch zeichnet sich ab, dass das Bewerbungsverfahren Frauen auch deutlich häufiger ausschließt als Männer. So wurden 2016 in Berlin insgesamt 9% der männlichen Bewerber, aber nur 6% der weiblichen Bewerberinnen eingestellt.iii Das deutet auf eine strukturelle Benachteiligung der Frauen bereits während der Rekrutierung hin. Worin diese genau besteht, bleibt empirisch bisher im Unklaren.

Bezüglich der Rekrutierung von Menschen mit Wanderungsbiographie haben die Länder und der Bund seit Mitte der 1990er Jahre mehr oder weniger intensive Bemühungen unternommen, um Migrant:innen mit deutscher Staatsangehörigkeit für den Dienst in ihren Polizeibehörden zu rekrutieren (Hunold 2008, S. 9) – bis heute mit sehr unterschiedlichen Ergebnissen (Mediendienst Integration 2022).iv Für die meisten Länder lässt sich zwar ein stetiger Zuwachs der eingestellten Bewerber:innen mit Einwanderungsgeschichte verzeichnen, jedoch liegen die entsprechenden Anteile oftmals deutlich unter dem jeweiligen Bevölkerungsanteil mit Migrationshintergrund. Die einzigen Ausnahmen stellen Berlin und Sachsen-Anhalt dar: In Berlin lag der Anteil der Rekrutierungen im Jahr 2021 sogar knapp über dem Anteil der Berliner Bevölkerung mit Einwanderungsgeschichte (Eingestellte 37%/Bevölkerung 35%; Mediendienst Integration 2022, S. 5). Nur vereinzelt, nämlich für die Bundespolizei und die Polizei Niedersachsen liegen Zahlen zu Menschen mit Einwanderungsgeschichte in Führungspositionen (höherer Dienst) vor. „In beiden Fällen zeigt sich, dass Menschen mit Einwanderungsgeschichte vergleichsweise selten in Führungspositionen vertreten“ (etwa 4%; ebd., S. 2), dafür aber – sofern entsprechende Zahlen vorliegen – im mittleren Dienst eher überrepräsentiert sind. Im Zusammenhang mit der Rekrutierung von Menschen mit Einwanderungsgeschichte ist zu vermuten, dass die Prinzipien des Gleichbehandlungsgrundsatzes zu einer strukturellen Benachteiligung entsprechender Bewerber: innen im Auswahlverfahren führen, indem sie die vielfach nachgewiesenen bildungsbezogenen Benachteiligungen für Kinder und Jugendliche in Deutschland reproduzieren anstatt die rechtlichen Möglichkeiten einer sachlich begründeten Ungleichbehandlung auszuschöpfen (Hunold 2008).

Wie oben bereits angedeutet, sind die Rekrutierungsprozesse für den Polizeivollzugsdienst geprägt von der Frage nach dem funktionalen Nutzen von verschiedenen Menschen und den ihnen zugeschriebenen Kompetenzen (z.B. Sprache in Bezug auf Bewerber:innen mit Migrationshintergrund oder deeskalierende Kommunikation in Bezug auf Frauen) statt dem Ziel, im Sinne eines Diversity Managaments eine soziale wie kulturelle Vielfalt zu fördern. So lässt sich vielleicht im Groben die langsame, jedoch stetige Diversifizierung der Belegschaft der Polizei hinsichtlich der Merkmale Geschlecht und Ethnie nachvollziehen. Es lässt sich schließlich weiterhin konstatieren, dass eine „direkte institutionelle Diskriminierung gegen Frauen und Ausländer*innen lange selbstverständlich [war], denn diese Gruppen wurden von vornherein vom Dienst ausgeschlossen“ (Brussig et al. 2022: 22). Im nächsten Abschnitt soll deshalb der Frage nachgegangen werden, inwiefern Frauen und Menschen mit Einwanderungsgeschichte Diskriminierungen in der Organisation z.B. durch Kolleg:innen und Vorgesetzte erleben.

Diskri­mi­nie­rungs­formen im Organi­sa­ti­ons­kon­text

Vor allem Dudek (2009) konnte mit ihrer Arbeit nachzeichnen, dass Frauen in der Organisation Polizei von verschiedenen Diskriminierungspraktiken betroffen sind. So stellte sie fest, dass Frauen mit drei verschiedenen Organisationslogiken assoziiert sind, die auch für Polizist:innen mit Einwanderungsgeschichte gelten: eine Orientierung an Gleichheit, eine Orientierung an Differenz und eine Orientierung an Funktionalität (ebd.: 259). Eine gleichzeitige Orientierung an Gleichheit und Differenz ergibt sich z.B. daraus, dass eine Arbeitsteilung nach Geschlechtern nach dem organisationalen Leitbild unerwünscht ist, genau diese Arbeitsteilung sich aber auf der handlungspraktischen Ebene permanent zeigt. So wird beispielsweise per se vermieden, dass ein Streifenwagen mit zwei Frauen besetzt wird (Dudek 2009, Hunold 2015, 2019). Begründet wird dies u.a. mit der generalisierten Behauptung, Frauen hätten eine schlechtere körperliche Konstitution als Männer und könnten sich vor allem in Einsätzen mit männlichen Bürgern nicht behaupten. In der Schutzpolizei werden Frauen deshalb tendenziell als defizitorientiert und als weniger flexibel einsetzbar wahrgenommen. Dazu gehört auch das Vorurteil, Frauen wären als potenziell Gebärende im Einsatzdienst eingeschränkter einsetzbar, da sie spätestens nach der Geburt des ersten Kindes in den Teilzeitdienst gehen. Somit müssten z.B. zwei Teilzeitfrauen einen Vollzeitmann ersetzen, damit eine gewohnte polizeiliche Handlungsfähigkeit hergestellt ist. Inwiefern die Annahme, Frauen seien weniger durchsetzungsfähig als Männer, angesichts ihrer Ausrüstung und ihrer erlernten taktischen Fähigkeiten überhaupt realistisch ist, sei hier dahingestellt (vgl. Hunold 2019).

In der Polizeipraxis materialisiert sich die wahrgenommene Geschlechterdifferenz dadurch, dass Frauen tendenziell weniger häufig in Revieren eingesetzt werden, die aufgrund der Wahrnehmung von „Kultur“ und „Männlichkeit“ als polizeilich herausfordernd definiert werden (Brauer 2021). Dudek konstatiert in diesem Zusammenhang: „Der Wert von Frauen in der Polizei ist demnach zumindest fraglich: Dort, wo die Polizei wirklich gebraucht wird, lassen sich Frauen nur in Kombination mit Männern einsetzen, nur dort, wo die Polizei fast keine Funktion hat, können sie Polizeiaufgaben auch ohne ihre männlichen Kollegen bewältigen“ (Dudek 2009: 119). Eine Orientierung an Differenz gegenüber Frauen im Polizeidienst basiert vor diesem Hintergrund vor allem darauf, dass sie von der organisationskulturellen Norm des (männlichen) Normalarbeitnehmers abweichen. Diese heteronormative Konstruktion führt auch dazu, dass in der Polizei mehr oder weniger alle Frauen als zu einer homogenen Gruppe zugehörig wahrgenommen werden. Diese Konstruktion des Normalarbeitnehmers kann dazu führen, dass mögliche Entscheidungsträger sich „für eine Begrenzung des Anteils von Frauen in der Polizei oder eine geschlechtsspezifische Aufgabenverteilung aus[sprechen], der zufolge der Funkwagendienst in die Zuständigkeit der männlichen Mitarbeiter, der Innendienst hingegen in die der weiblichen Mitarbeiterinnen falle“ (ebd.: 254). Gleichzeitig zeigt sich eine positive Betonung von „typisch weiblichen“ Eigenschaften, welche für bestimmte Bereiche in der Polizei als nützlich wahrgenommen werden, wie z.B. kommunikativ-soziale Kompetenzen. Hier lässt sich dementsprechend die Orientierung an der Nützlichkeit von zugeschriebenen Eigenschaften erkennen.

Ein Ergebnis dieser homogenisierenden, stereotypisierenden Wahrnehmung von Frauen sind besondere Anpassungsbemühungen, die häufiger für Frauen in der Polizei beschrieben werden. Behr (2000) konstatiert in diesem Zusammenhang, dass „Männer per se gute Polizisten sind“ und jede Frau sich dagegen immer wieder neu beweisen muss (ebd., S. 165). Dabei sind sie erst dann „akzeptiert, wenn sie so sind (arbeiten) wie Männer“ (Behr 2006, S. 106). Die Einzelstellung von Mitgliedern einer „Minderheitengruppe“ in einer Organisation erfordert besondere Anpassungsleistungen. Kanter (1987) führte hierfür den Begriff des Tokens ein. Er verweist auf die Position von Minderheiten in einer Umgebung, in der hegemoniale Verhaltensregeln von der Mehrheit beeinflusst und verteidigt werden (Hunold 2008, S. 103).

Ähnliche Organisationslogiken und Verhaltensdynamiken lassen sich für Menschen mit Einwanderungsgeschichte feststellen. Die Orientierung an der Gleichheit wurde oben bereits für ihre Rekrutierung beschrieben. Diese Orientierung lässt sich im Organisationskontext beispielsweise an Symbolen wie der gemeinsamen Uniform erkennen, aber auch an Aspekten der sogenannten Cop Culture, die das besondere Zusammengehörigkeitsgefühl der Gefahrengemeinschaft ansprechen. Ihre integrative Wirkung führt dazu, dass Beamt:innen mit Migrationshintergrund sich zuallererst in ihrer Berufsrolle gesehen und anerkannt fühlen und Polizist:innen ohne Einwanderungsgeschichte dies stets ebenso bekräftigen (Hunold 2008; Kühnel 2017). Auf der anderen Seite spricht der formale Gleichheitsgrundsatz in der Polizeipraxis zunächst gegen eine spezifische Verwendung von Kolleg:innen mit besonderen Sprach- oder anderen, kulturell zugeschriebenen Kompetenzen.

In der Praxis zeigt sich jedoch gegenüber Polizist:innen mit Einwanderungsgeschichte ebenfalls eine defizitorientierte sowie eine funktionalistische Orientierung. Eine Defizitorientierung findet sich u.a. darin, dass in der Literatur vielfach ein gewisses Misstrauen gegenüber Polizist:innen mit Migrationshintergrund hinsichtlich ihrer Loyalität bzw. ihrer Verbindung zu ethnischen Milieus mit hohem Kriminalitätspotential beschrieben wurde. Kühnel (2017) berichtet z.B. auf Basis von Interviews von einem Vorfall, bei dem sich ein Vorgesetzter aufgrund hohen Misstrauens in der Polizeischule über den neuen Mitarbeiter mit Migrationshintergrund erkundigte (ebd., S. 284). Brussig et al. (2022) beschreiben auf Basis von Interviews eine Tendenz zur genaueren Beobachtung von Mitarbeitenden mit Migrationshintergrund durch Vorgesetzte (ebd., S. 44). Mit dem Gefühl, eben doch nicht vollständig integriert zu sein, ist die Wahrnehmung der Betroffenen verbunden, sich ganz besonders anstrengen zu müssen, um als „normaler“ Polizist oder „normale“ Polizistin akzeptiert zu werden (u.a. Hunold 2008, Kühnel 2017, Brussig et al. 2022). Dies widerspricht der oben genannten grundsätzlichen organisational reklamierten Akzeptanz, mit der um Polizist:innen mit Einwanderungsgeschichte geworben wird. Gründe hierfür liegen u.a. darin, dass sich eine gewisse Defizitorientierung insbesondere auf der mikrosoziologischen Ebene, also im direkten Kontakt mit Kolleg:innen und Vorgesetzten, bemerkbar macht, die weniger eindeutig auf die organisationsstrukturelle Ebenev zurückzuführen ist.

Schließlich lässt sich ein stark funktionalistischer Ansatz in Bezug auf Polizist:innen mit Einwanderungsgeschichte identifizieren. Dieser bezieht sich auf die Annahme, entsprechende Mitarbeitende würden automatisch die kulturelle Kompetenz der Organisation und ihrer Beschäftigten fördern und sie könnten insbesondere den Kontakt zu ethnischen Milieus verbessern helfen (Hunold 2008, Hunold et al. 2010, Weiß et al. 2022). Entgegen dem formalen Gleichheitsgrundsatz kommt es deshalb nicht selten vor, dass Polizist:innen, die nicht nur Amtsdeutsch sprechen, für besondere Zwecke wie z.B. Dolmetschertätigkeiten eingesetzt werden. Dies führt jedoch zu inneren und äußeren Konflikten für die Betroffenen. Es gibt in der Literatur einige Hinweise darauf, dass sie nicht anders behandeln werden wollen als andere. Andererseits finden sich ebenso Anhaltspunkte dafür, dass es zu Konflikten unter Kolleg:innen kommt, wenn sie in Einsätzen mit Angehörigen ihrer eigenen Herkunftsgruppe in deren Muttersprache sprechen, da dies das Misstrauen der der Sprache nicht mächtigen Kolleg:innen schürt. Hinzu kommt ein Aspekt, den Sigel (2009) als „Landsmannphänomen“ beschrieben hat, wenn Angehörige der jeweiligen ethnischen Gruppe auf eine besondere Behandlung hoffen, weil ein:e Polizist:in derselben ethnischen Gruppe angehört und die betroffenen Beamt:innen in einen potenziellen Loyalitätskonflikt bringt.

Es lässt sich somit folgern, dass Polizist:innen mit (einer sichtbaren)vi Einwanderungsgeschichte einerseits einem hohen Anpassungsdruck unterliegen, der ihre wahrgenommene Unterschiedlichkeit ausgleichen soll, und andererseits in interne Konflikte geraten, wenn die durch die Organisation gewünschte Unterschiedlichkeit gezielt zur Anwendung kommt.

Schließlich soll noch ein kurzer Blick auf die Position von homosexuellen Polizist: innen geworfen werden. Dazu liegen jedoch bisher keine größeren empirischen Arbeiten für Deutschland vor. Auf der einen Seite betonen Polizeiorganisationen seit einigen Jahren ihre Toleranz gegenüber LGBTQ-Personen, z.B. im Rahmen der Umzüge zum Christopher-Street-Day. Andererseits berichten „schwule und lesbische Beschäftigte in der Polizei in einer Studie aus dem Vereinigten Königreich (Colvin, 2015) ebenso wie in Deutschland (Molitor & Zimenkova, 2020, 2021) immer noch von diskriminierenden Praktiken und Exklusionserfahrungen am Arbeitsplatz. Dazu gehören sexistische und homophobe Witze, das Verweigern gemeinsamer beruflicher Tätigkeiten wie Streifenfahrten oder Hindernisse bei der beruflichen Weiterentwicklung.“ (Körner & Staller 2022) Es sind vor allem homosexuelle Männer, die von Diskriminierungserfahrungen in der Polizei berichten und sich beruflichen Hindernissen gegenübersehen. Entsprechende Befunde bestätigten sich in einer kleinen Interviewstudie von Körner & Staller (2022). Ähnlich wie für Frauen und Menschen mit Einwanderungsgeschichte lässt sich ein Anpassungsdruck für die Betroffenen identifizieren, der aus dem Bemühen entsteht, die eigene individuelle „Fehlleistung“ zu überwinden. Dementsprechend werden die Ursachen für die Ausgrenzung nicht in organisationalen Fehlleistungen gesehen (Molitor und Zimenkova 2021: 33). Für Homosexuelle in der Polizei wirken insbesondere die Organisationslogiken der Gleichheit und Differenz, Funktionalität ergibt sich in erster Linie aufgrund ihrer Position als Token für das Organisationsziel der Diversität.

Insgesamt lassen sich Diskriminierungsmuster erkennen, die intersektional wirken. Polizistenkultur lässt sich als eine hegemoniale, weiße Männlichkeitskultur beschreiben, die an Heteronormativität ausgerichtet ist (Hunold 2019, Seidensticker 2021, Körner & Staller 2022). Der Grad der Integration entscheidet sich somit entlang der sozialen Kategorien männlich/weiblich, weiß/nicht-weiß und heterosexuell/homosexuell. Dabei sind es heterosexuelle Männer ohne sichtbare Merkmale, die Zuschreibungsprozesse zu einer ethnischen Minderheitengruppe hervorrufen würden, die innerhalb der Organisation ganz fraglos akzeptiert sind. Sie dürfen allerdings nicht zu „weich“ wirken, da sie ansonsten nicht der aggressiven Männlichkeitskultur entsprechen (z.B. Behr 2000). Männer mit Einwanderungsgeschichte können in spezifischen Arbeitskontexten (z.B. in geschlossenen Einheiten) ganz besonders von Diskriminierungserfahrungen betroffen sein, sind aber auch hauptsächlich dann anerkannt, wenn ihnen aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit eine gewisse Aggressivität zugeschrieben wird (Kühnel 2017: 291). Weiterhin scheinen Frauen mit Einwanderungsgeschichte genauso akzeptiert zu sein wie Frauen ohne Wanderungsgeschichte, sehen sich aber der gleichen defizitbasierten Orientierung gegenüber. Dies gilt in ähnlicher Weise für homosexuelle Frauen (vgl. Körner & Staller 2022). Frauen gefährden eben generell nicht das heteronormative Männlichkeitsbild. Ganz anders gestaltet sich die Situation für homosexuelle Männer, die eher „am Ende“ der innerpolizeilichen Statushierarchie verortet werden können, da sie in der Wahrnehmung der Nicht-Betroffenen das hegemoniale Männlichkeitsbild stören.

Diversität und Diskri­mi­nie­rung in der Polizei – Ein Fazit

Behr (2016: 4) beschreibt die Kultur der Polizei als Homogenitätskultur, welche auf Anpassung und Gleichheit ausgelegt ist und weniger auf Vielfalt und Individualität. Dies zeigt sich auch in Bezug auf die Rekrutierung und Integration von Frauen und Menschen mit Einwanderungsgeschichte sowie Homosexuellen. Es ist deshalb davon auszugehen, dass die hegemonial wirkende Männlichkeitskultur über eine gewisse Statushierarchie entscheidet, die Einfluss auf die jeweiligen Diskriminierungsmuster hat. Diskriminierungsmuster wiederum lassen sich entlang der Organisationslogiken Gleichheit, Differenz und Funktionalität identifizieren, die für die jeweiligen sozialen Gruppen in unterschiedlicher Weise wirken.

Polizeiorganisationen betrachten Diversität als Potentiale für Vielfalt im Sinne der Zusammensetzung ihrer Belegschaft. Eine zunehmende Diversifizierung lässt sich so auch zahlenmäßig darstellen und nach außen transportieren, was als Nachweis für die Anpassung an den gesellschaftlichen Wandel dient. Die tatsächliche Organisationskultur steht dem Anspruch auf Diversität, der Individualität und Vielfalt als wertzuschätzende Güter herausstellt, jedoch entgegen (Ellebrecht 2022: 675). So werden Ansätze, die zur Diversität der Organisation beitragen, in der deutschen Polizei kaum diskutiert (Klimke 2010). Auch Ansätze der Antidiskriminierung spielen bisher kaum eine Rolle. Kulturelle und geschlechterbezogene Differenzen werden höchstens als Funktionsvorteil anerkannt. „Diese Ausrichtung bestätigt jedoch gesellschaftliche Hierarchien“ (Ellebrecht 2022: 686), anstatt Diskriminierungsrisiken zu bearbeiten. Mit ihrer Orientierung an der formalen Gleichbehandlung im Innen- und Außenverhältnis befördert die Polizei letztlich eher diskriminierende Praktiken, als dass sie jenen wirksam durch eine organisationale Vielfalt vorbeugt (ebd.: 687).

Prof. Dr. Daniela Hunold studierte Sozial- und Wirtschaftsgeographie in Osnabrück sowie Kriminologie an der Universität Hamburg. Sie promovierte 2014 mit einer Arbeit zum Thema „Polizei im Revier – Polizeiliche Handlungspraxis gegenüber Jugendlichen in der multi-ethnischen Stadt“ bei Dietrich Oberwittler (MPI Freiburg). Anschließend war sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Deutschen Hochschule der Polizei sowie als Referatsleiterin beim LKA Bremen tätig. Seit diesem Jahr hat sie eine Professur für Soziologie mit dem Schwerpunkt Empirische Polizeiforschung an der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht inne.

Literatur

Behr, Rafael 2000: Cop Culture. Der Alltag des Gewaltmonopols, Opladen.

Behr, Rafael 2016: Diversität und Polizei: Eine polizeiwissenschaftliche Perspektive; in: Petia Genkova & Tobias Ringeisen (Hrsg.), Handbuch Diversity Kompetenz. Perspektiven und Anwendungsfelder, Wiesbaden, S. 1-23.

Brauer, Eva 2021: Männliche Räume: Polizeiliche Raumproduktionen und Geschlecht; in: Bürgerrechte und Polizei/CILIP, (126), 35-45.

Brussig, Martin et al. 2022: Die Vielfalt von Diversity: Handlungsprobleme von Personalverantwortlichen in der Polizei; in: Antonio Vera et al. (Hrsg.), Migration und Polizei. Auswirkungen der Zuwanderung auf die Organisation und Diversität der deutschen Polizei, Baden-Baden, S. 21-60.

Colvin, Roddrick 2015: Shared workplace experiences of lesbian and gay police officers in the United Kingdom; in: Policing: An International Journal of Police Strategies & Management, 38(2), 333–349.

Dudek, Sonja 2009: Diversity in Uniform? Geschlecht und Migrationshintergrund in der Berliner Schutzpolizei, Wiesbaden.

Ellebrecht, Sabrina 2022: Organisierte (In-)Differenz. Zur Bedeutung von Diversität und Repräsentation für die Polizei; in: Daniela Hunold & Tobias Singelnstein (Hrsg.), Rassismus in der Polizei. Eine wissenschaftliche Bestandsaufnahme, Wiesbaden, S. 669-690.

Hunold, Daniela 2008: Migranten in der Polizei: zwischen politischer Programmatik und Organisationswirklichkeit, Frankfurt a.M.

Hunold, Daniela 2019: „Wer hat jetzt die größeren Eier?!“ Polizeialltag, hegemoniale Männlichkeit und reflexive Ethnografie; in: Christiane Howe & Lars Ostermeier (Hrsg.), Polizei und Gesellschaft, Wiesbaden, S. 47-69.

Hunold, Daniela et al. 2010 (Hrsg.): Fremde als Ordnungshüter? Die Polizei in der Zuwanderungsgesellschaft Deutschland, Wiesbaden.

Kanter, Rosabeth Moss 1987: Some effects of proportions on group life: skewed sex rations and responses to token woman; in: Mary Jo Degan (Hrsg.), Women and symbolic interaction, Boston, S. 277-301.

Klimke, Daniela 2010: Die Polizeiorganisation und ihre Migranten; in: Daniela Hunold et al. (Hrsg.), Fremde als Ordnungshüter? Die Polizei in der Zuwanderungsgesellschaft Deutschland, Wiesbaden, S. 27-59

Kühnel, Wolfgang 2017: Diversity zwischen Anspruch und Realität: Berufsalltag von Beamtinnen und Beamten mit Migrationshintergrund in der Berliner Polizei; in: Christoph Kopke & Wolfgang Kühnel, Demokratie, Freiheit und Sicherheit, Baden-Baden, S. 283-296.

Mediendienst Integration 2022: Polizist*innen mit Migrationshintergrund, online abrufbar unter: https://mediendienst-integration.de/fileadmin/Vielfalt_bei_der_Polizei_ 2022.pdf.

Molitor, Verena, & Zimenkova, Tatiana 2021, Schwul-Lesbisch-Trans* und ausgebrannt: Diskriminierungerfahrungen von LSBT*-Polizeiangehörigen; in: Die Polizei, 2, 32–34.

Scherr, Albert 2017: Soziologische Diskriminierungsforschung; in: Albert Scherr et al. (Hrsg.), Handbuch Diskriminierung, Wiesbaden, S. 39-58.

Seidensticker, Kai 2021: Aggressive Polizeimännlichkeit: Noch hegemonial, aber neu begründet; in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP, 126.

Sigel, Julia 2009: Berufliche Identität von Polizisten mit Migrationshintergrund; in: Karlhans Liebl (Hrsg.), Polizei und Fremde – Fremde in der Polizei, Wiesbaden, S. 105–151.

Staller, Mario et al. 2022: Die (Un-)Sichtbarmachung der Differenz: Homosexualität und Polizei; in: Die Polizei, 9, S 339–352.

Weiß, Anja et al. 2022: Auswirkungen von Migration auf die Organisation und Diversität der deutschen Polizei: Eine Einführung; in: Antonio Vera et al. (Hrsg.), Migration und Polizei. Auswirkungen der Zuwanderung auf die Organisation und Diversität der deutschen Polizei, Baden-Baden, S. 7-18.

Anmerkungen:

ivDiesbezüglich muss konstatiert werden, dass nur sieben Bundesländer Zahlen zu Bewerber:innen mit Migrationshintergrund erheben. Dies sind: Baden-Württemberg, Berlin, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt (Mediendienst Integration 2022).

vEin Beispiel hierfür wäre die Bedingungen, innerhalb derer eine ethnische Heterogenisierung in einer Organisation vorangetrieben wird. Wie bereits erwähnt, spricht Vieles dafür, dass die Polizei Menschen aus funktionalistischen Gründen einstellt, anstatt dies Vielfalt ihrer Belegschaft und die dafür stehenden Menschen als solche anzuerkennen. Dementsprechend können vorhandene Stereotypisierungen von ethnischen Minderheiten nicht aufbrechen und verändern lassen.

viDie beschriebenen Diskriminierungsmuster finden sich weniger für Betroffene ohne äußere Merkmale, die Zuschreibungstendenzen zu einer ethnischen Gruppe hervorrufen wie z.B. Hautfarbe und Sprache. Dies konnte empirisch u.a. für Polizist:innen mit osteuropäischer Wanderungsgeschichte nachgewiesen werden, die vor allem dann auf Irritationen durch ihre Kolleg:innen stoßen, wenn diese in Einsatzsituationen „plötzlich“ in ihrer Herkunftssprache sprechen.

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