Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 237/238: Diskriminierende Realitäten

System­re­le­vant – aber nicht gleich bezahlt: „Frau­en­be­rufe“, Gender Pay Gap und Entgelt­dis­kri­mi­nie­rung

Seit Jahren das gleiche Bild: Frauen verdienen in Deutschland im Durchschnitt 18 bis 20 Prozent weniger als Männer – allen Bemühungen um gleiche Erwerbschancen, um eine gerechte Aufteilung der Erziehungs- und Sorgezeiten zum Trotz. Daran hat bisher auch das 2017 in Kraft getretene Entgelttransparenzgesetz nicht viel geändert. Welche strukturellen Barrieren eine Aufhebung der geschlechtsspezifischen Lohn- und Gehaltsunterschiede verhindern, und auf welche Schwierigkeiten das Einfordern und Anwenden der Entgelttransparenz in der Praxis trifft, schildert der folgende Beitrag von Cara Röhner. Sie geht dabei auch auf die bisherige Rechtsprechung zu dem Gesetz ein.

I. System­re­le­vante „Frau­en­be­rufe“ und Geschlech­te­run­gleich­heit

In der Coronakrise hat sich gezeigt, wie systemrelevant Berufe sind, die typischerweise von Frauen ausgeübt werden: Pflege, Kinderbetreuung und Verkauf im Einzelhandel halten die Gesellschaft am Laufen. Gesellschaftlich wurde über bessere Arbeitsbedingungen und die finanzielle Aufwertung der Pflege diskutiert. Abends wurde auf den Balkonen geklatscht. Viel passiert ist jedoch nicht. Dass dies aber dringend notwendig wäre, zeigt sich am Equal Pay Gap – und den anderen Gender Gaps.

Equal Pay Gap

Frauen verdienen durchschnittlich erheblich weniger als Männer. Das Gender Pay Gap liegt in Deutschland bei 18 Prozent (2021). Damit ist Deutschland eines der Schlusslichter innerhalb der Europäischen Union. Das Gender Pay Gap gibt an, wie viel Frauen durchschnittlich weniger pro Stunde verdienen als Männer. Im Jahr 2021 bekamen Frauen durchschnittlich 19,12 Euro, Männer hingegen durchschnittlich 23,20 Euro Bruttostundenverdienst. Rechnet man die strukturellen Gründe für die Verdienstunterschiede zwischen Männern und Frauen heraus, dann verbleibt immer noch ein Gender Pay Gap von 6 Prozent. Dieses liegt zwar deutlich unter dem unbereinigten Gender Pay Gap, dennoch darf das nicht darüber hinwegtäuschen, dass Frauen in der Realität einfach weniger Geld zur Verfügung haben – und in der Konsequenz auch schlechter sozial abgesichert sind. Zur Messung der Verdienstungleichheit verwendet das Statistische Bundesamt seit 2023 den neuen Indikator Gender Gap Arbeitsmarkt, der Unterschiede in Bruttostundenverdiensten, Arbeitszeit und Erwerbsbeteiligung von Frauen und Männern berücksichtigt. Dieser gibt mit 39 Prozent noch mal einen deutlich größeren Unterschied an als das Gender Pay Gap.i

Equal Care Gap

Das Gender Pay Gap wurzelt wesentlich in einem Gender Care Gap. Frauen übernehmen weiterhin den Großteil der Sorge- und Pflegeverantwortung. Sie unterbrechen zugunsten der Kindererziehung ihre berufliche Tätigkeit und steigen in der Regel nur noch in Teilzeit wieder in das Berufsleben ein.

Um neben der Kinderbetreuung noch erwerbstätig sein zu können, kann es sein, dass Frauen auf schlechter bezahlte Stellen wechseln müssen, die näher an ihrem Wohnort oder auch unterhalb ihrer Qualifikation liegen. Auch ist der Wiedereinstieg nach der Kinderpause nicht immer einfach und in den alten Beruf nicht immer möglich. Besonders prekär ist die wirtschaftliche Situation von Alleinerziehenden. Sie sind überproportional von Armut bedroht. Etwa 40 Prozent der Alleinerziehenden erhält existenzsichernde Leistungen nach dem SGB II (Hartz IV/Bürgergeld).

Zwar ändern sich die Rollenbilder – auch Väter wollen zunehmend für ihre Kinder da sein und dafür ihre Erwerbstätigkeit unterbrechen oder reduzieren. Mit dem Elterngeld und den Partnermonaten wurden dafür erste rechtliche Anreize gesetzt. Dennoch ist dieser Wandlungsprozess langsam und zäh. Die Coronakrise hat zudem gezeigt, dass im zweiten Jahr vermehrt Frauen ihre Berufstätigkeit reduziert haben, um den Betreuungsausfall in den Kitas, Kindergärten und Schulen privat zu kompensieren. In Krisenzeiten ist also eine Re-Traditionalisierung zu beobachten.

Segre­gierter Arbeits­markt und Neube­wer­tung von „Frau­en­be­rufen“

Ein weiterer struktureller Grund für das Equal Pay Gap ist die geschlechtliche Segregierung des Arbeitsmarktes. Frauen arbeiten häufiger in schlecht bezahlten Branchen im Dienstleistungssektor, ohne Tarifvertrag und ohne Betriebsrat, zum Mindestlohn oder in Minijobs sowie als Zuverdienerinnen in der Partnerschaft. So sind etwa 70 Prozent der Beschäftigten im Niedriglohnsektor Frauen und etwa ein Drittel aller abhängig beschäftigten Frauen im Alter von 25 bis 60 Jahren erzielt ein Erwerbseinkommen, das nicht für eine eigenständige Existenzsicherung reicht – so die Angaben im siebten und achten Staatenbericht der BRD zur UN-Frauenrechtskonvention.

Die gut bezahlten Stellen finden sich in der Industrie, also in Branchen, die gewerkschaftlich gut organisiert sind und über Tarifverträge ein gutes Sicherungsniveau gewährleisten.

Teilweise wird gefordert, dass sich Frauen stärker in die technischen MINT-Berufe orientieren sollen. Individuell kann dies eine Option sein. Gesamtgesellschaftlich ist es jedoch keine Lösung, dass zukünftig alle (weiblichen) Beschäftigten in technischen Berufen arbeiten, denn die Gesellschaft ist auf Pflege- und Dienstleistungsberufe angewiesen. Es muss daher auch eine Aufwertung dieser Berufe stattfinden. Tätigkeiten, die typischerweise von Frauen ausgeübt werden, gelten aufgrund von Geschlechter­stereotypen als weniger qualifiziert. Es bedarf daher auch einer Neubewertung von Stellenprofilen hinsichtlich der Gleichwertigkeit. Schwere körperliche Arbeit, z.B. in der Pflege, muss als solche genauso finanziell anerkannt werden wie in der Industrie.

Darüber hinaus können Frauen an die sog. „gläserne Decke“ stoßen. Mit der gläsernen Decke wird das Phänomen beschrieben, dass Frauen auch bei guter Qualifikation und langjähriger Berufserfahrung ab einem bestimmten Punkt nicht weiter aufsteigen, sondern die Erfahrung machen, dass jüngere (und ggf. auch weniger qualifizierte) männliche Kollegen an ihnen vorbeiziehen. Männern wird aufgrund von Geschlechterstereotypen mehr zugetraut, sie werden als qualifizierter wahrgenommen und ihnen wird Führungskompetenz schneller zugeschrieben.

Ungleiche soziale Absicherung und Gender Pension Gap

Die Verdienstunterschiede und der geschlechtlich segregierte Arbeitsmarkt sind eng verknüpft mit einer schlechteren sozialen Absicherung von Frauen im deutschen erwerbsarbeitsbasierten Sozialstaat. Das Ehegattensplitting, die Familienversicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung und Minijobs setzen rechtliche Anreize für eine traditionelle Rollenteilung, finanzielle Abhängigkeit und Altersarmut.

Aufgrund niedrigerer Löhne und der Steuerklasse V beim Ehegattensplitting erhalten Frauen durchschnittlich niedrigere Lohnersatzleistungen z.B. im Falle von Krankheit, Arbeitslosigkeit oder auch während der Elternzeit. Die Coronakrise hat zudem die Prekarität von Minijobs, die überwiegend von Frauen (etwa 60 Prozent) ausgeübt werden, noch einmal deutlich vor Augen geführt: Da Minijober:innen nicht arbeitslosenversichert sind, gab es für sie weder Kurzarbeiter- noch Arbeitslosengeld. Bei einer Kündigung bedeutet dies direkt den Fall in das Existenzsicherungssystem (Hartz IV/Bürgergeld). Sozialverbände, Gewerkschaften und der Deutsche Juristinnenbund fordern daher die Abschaffung von Minijobs. Die Ampel-Koalition hat jedoch die Ausweitung von 450 auf 520 Euro zum 1. Oktober 2022 beschlossen.

Das Equal Pay Gap manifestiert sich im Alter im Gender Pension Gap. Teilzeitarbeit und geringere Stundenlöhne führen Frauen direkt in die Altersarmut. Sie erhalten erheblich weniger Rente als Männer: Im Jahr 2018 bekamen Frauen z.B. durchschnittlich 711 Euro, Männer hingegen 1.148 Euro monatliche Rente. Damit lag das Gender Pension Gap bei 38 Prozent.

Entgelt – keine reine Privatsache

Der eigene Verdienst, so könnte man annehmen, ist reine Privatsache – privatautonom mit der eigenen Arbeitgeberin ausgehandelt oder entsprechend des Tarifvertrages, ggf. mit individuellen Zulagen, vereinbart. Doch Verdienstunterschiede sind, wie die verschiedenen Gender Gaps aufzeigen, keine reine Privateangelegenheit, sondern verweisen auf Geschlechterungleichheiten und soziale Ungerechtigkeit.

Für die einzelnen Frauen bedeutet weniger Geld zur Verfügung zu haben, auch weniger ansparen und Vermögen aufbauen zu können und damit weniger gut abgesichert zu sein für Kinder- oder Pflegeauszeiten, Schicksalsschläge und das Alter. Gesamtgesellschaftlich manifestiert sich im Equal Pay Gap ein Gerechtigkeitsproblem. Darin zeigen sich strukturelle Gründe für die anhaltende Geschlechterungleichheit.

Dass der eigene Verdienst keine reine Privatsache ist, erkennt das Recht mit dem Gebot der Entgeltgleichheit, also dem Grundsatz des gleichen Entgelts für gleiche oder gleichwertige Arbeit, an.

II. Rechtliche Regulie­rung: Das Gebot der Entgelt­gleich­heit

Gebot der Entgelt­gleich­heit

Bereits seit 1957 gibt es europarechtlich das unmittelbar anwendbare Gebot der Entgeltgleichheit von Männern und Frauen. Verfassungsrechtlich folgt das Gebot der Entgeltgleichheit aus dem Gleichstellungsgebot und dem Diskriminierungsverbot aufgrund des Geschlechts, Art. 3 Abs. 2 und Abs. 3 Grundgesetz.

Das Entgelt­trans­pa­renz­ge­setz

Um die Transparenz für Entgeltregelungen und -strukturen zu erhöhen, wurde 2017 das Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG) eingeführt. Das Entgelttransparenzgesetz ist teilweise lex specialis zum Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Es verbietet die unmittelbare oder mittelbare Entgeltbenachteiligung wegen des Geschlechtes (§ 3), gewährleistet das Gebot der Entgeltgleichheit (§ 7) und erklärt diskriminierende Entgeltvereinbarungen für unwirksam (§ 8).

Kern des Gesetzes ist ein individueller Auskunftsanspruch über den Median der Gehälter der Vergleichspersonen des anderen Geschlechts (gem. §§ 10 ff. EntgTranspG). Er gilt ab einer Betriebsgröße von in der Regel mehr als 200 Beschäftigten. Zudem muss es sechs Beschäftigte geben, die eine vergleichbare Tätigkeit ausüben. Dies soll sicherstellen, dass nicht erkennbar ist, wer das Vergleichsgehalt verdient.

Darüber hinaus enthält das EntgTranspG die Aufforderung an private Arbeitgeber mit mehr als 500 Beschäftigten, betriebliche Verfahren zur Überprüfung und Herstellung von Entgeltgleichheit durchzuführen (§§ 17 ff. EntgTranspG) sowie eine Berichtspflicht für Arbeitgeber im Rahmen des Lageberichts nach dem Handelsgesetzbuch (§ 21 f. EntgTranspG).

Konkrete Rechtsfolgen sieht das Entgelttransparenzgesetz allerdings nicht vor. Sollte also feststehen, dass eine Entgeltdiskriminierung wegen des Geschlechts gegeben ist, dann besteht z.B. kein automatischer Anspruch auf gleiches Entgelt; das heißt, dass Frauen dieses mit ihren Arbeitgeberinnen erst nachverhandeln oder durch eine Klage gerichtlich durchsetzen müssen. Das Entgelttransparenzgesetz ist daher vielfach als „zahnloser Tiger“ kritisiert worden.

In der Realität: wenig Klagen auf gleiches Entgelt

In der Realität zeigt sich, dass von dem Recht auf Entgeltgleichheit kaum Gebrauch gemacht wird. Es gibt nur wenige Klagen zum Entgelttransparenzgesetz und der Entgeltdiskriminierung. Dies liegt u.a. daran, dass Frauen oftmals gar nicht wissen, was ihre männlichen Kollegen verdienen; dass Frauen überwiegend in kleineren Betrieben arbeiten und der Auskunftsanspruch nach dem Entgelttransparenzgesetz erst ab 200 Beschäftigten gilt. Außerdem ist ein Klageverfahren finanziell und zeitlich aufwändig, die damit verbundenen emotionalen Konflikte belasten das Arbeitsverhältnis. Im laufenden Arbeitsverhältnis zu klagen, ist also für Betroffene keine naheliegende Option.

Rechtliche Hürde: Beweislast

Entscheiden sich Frauen dennoch zu klagen, dann ist die Durchsetzung ihrer Entgeltgleichheit kein leichtes Unterfangen. In rechtlicher Hinsicht liegt die zentrale Herausforderung darin, zu beweisen, dass die Gehaltsunterschiede auf das Geschlecht zurückzuführen sind, also eine Entgeltdiskriminierung wegen des Geschlechts vorliegt. Die Klägerinnen haben jedoch keinen Zugriff auf die Personalakten und kennen die Grundlagen der Gehaltsunterschiede nicht. Zudem dürften Entgeltunterschiede auch auf (unbewussten) Geschlechterstereotypen beruhen, die dazu führen, dass Männer als qualifizierter wahrgenommen werden und höhere Gehälter als angemessen gelten. Es gibt zwar eine Beweiserleichterung in § 22 AGG, diese wurde bisher von den Gerichten jedoch eng ausgelegt.

III. Drei Fälle vor dem Bundes­a­r­beits­ge­richt

Drei Fälle vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) zeigen, wie schwierig und langwierig Gerichtsverfahren zur Durchsetzung der Entgeltgleichheit sind.

ZDF-Redakteurin

In dem ersten vom BAG entschiedenen Fall ging es um eine preisgekrönte Journalistin bei einem ZDF-Politikmagazin.ii Als programmgestaltende Redakteurin war es ihre Aufgabe, eigenständig Beiträge für das Politikmagazin zu erstellen. Sie gehört zu der Gruppe der unbefristeten freien Mitarbeiter:innen („feste Freie“), für die es einen eigenen Tarifvertrag gibt. Nachdem sie erfahren hatte, dass männliche Kollegen mit einer ähnlichen Tätigkeit, Berufserfahrung oder Betriebszugehörigkeit erheblich mehr verdienen als sie, machte sie im Jahr 2015 gegenüber der Personalabteilung des Senders unter Berufung auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz Ansprüche auf gleiche Bezahlung, Schadensersatz und Entschädigung geltend. Nach Inkrafttreten des Entgelttransparenzgesetzes machte die Klägerin zusätzlich den Auskunftsanspruch geltend.

Mit seinem Urteil vom 25.6.2020 (Aktenzeichen: 8 AZR 145/19) hat das BAG nicht darüber entschieden, ob eine Entgeltdiskriminierung der Klägerin durch das ZDF gegeben ist und der Klägerin folglich ein Anspruch auf Zahlung der Differenz zusteht. Damit war die Klägerin schon vor dem Arbeitsgericht Berlin als auch vor dem Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg gescheitert. Nach dem Arbeitsgericht Berlin hatte die Klägerin einfach schlecht verhandelt. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hatte argumentiert, dass die Klägerin Indizien dafür darlegen müsse, dass Entgeltunterschiede zwischen ihr und den männlichen Kollegen in der Redaktion auf dem Geschlecht basieren, also eine Entgeltdiskriminierung gerade wegen des Geschlechtes vorliege. Dies sei ihr nicht gelungen, weshalb die Beweiserleichterung des § 22 AGG nicht ausgelöst werde.

Dagegen legte die Journalistin Verfassungsbeschwerde ein. Die Journalistin wurde dabei von der Nichtregierungsorganisation Gesellschaft für Freiheitsrechte unterstützt.iii Das Bundesverfassungsgericht hat das Verfahren aus formalen Gründen nicht zur Entscheidung angenommen, aber den Hinweis gegeben, dass eine erneute Zahlungsklage aufgrund der vor dem BAG 2020 erstrittenen Auskunft nach dem Entgelttransparenzgesetz Erfolg haben könnte (BVerfG, Beschluss v. 1.6.2022, Az. 1 BvR 75/2).

In dem Fall hat das BAG ausschließlich über den Auskunftsanspruch nach dem Entgelttransparenzgesetz entschieden. Das ZDF und das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hatten die Auskunft mit dem Argument verweigert, die Klägerin falle als feste freie Mitarbeiterin nicht in den Geltungsbereich des Gesetzes; es fehle an der Arbeitnehmereigenschaft. Das BAG sah dies anders und urteilte, dass der Klägerin der Auskunftsanspruch nach dem Entgelttransparenzgesetz als arbeitnehmerähnlicher Person grundsätzlich zusteht. Das BAG verurteilte daher das ZDF dazu, der Klägerin die begehrten Auskünfte über die Verfahren und Kriterien zur Entgeltfindung zu erteilen.

Die Auskunft wurde der Klägerin inzwischen erteilt – über sechs Jahre nach der ersten Klageerhebung. Die Auskunft bestätigt die bisherigen Angaben der Klägerin: Die Differenz ihres Gehalts zum Median-Vergleichsentgelt ihrer männlichen Kollegen beträgt rund 800 Euro monatlich; hinzu kommt eine ihr bisher unbekannte Leistungszulage von bis zu 1.450 Euro jährlich. Doch was kann die Klägerin nun mit dieser erteilten Auskunft erreichen? Das Entgelttransparenzgesetz sieht selber keine Rechtsfolgen für die Durchsetzung des Rechts auf Entgeltgleichheit vor. Dafür ist nun die zweite Entscheidung des BAG wichtig.

Abtei­lungs­lei­terin bei einer Versi­che­rung

Im zweiten vom BAG entschiedenen Fall ging es um eine Klägerin, die seit 1998 bei einer Versicherung arbeitet und dort seit 2012 Abteilungsleiterin ist (Urteil vom 21.1.2021, Aktenzeichen: 8 AZR 488/19). Bis zum Januar 2019 erhielt sie ein Grundentgelt von 5.385,40 Euro brutto zuzüglich einer übertariflichen Zulage in Höhe von 500 Euro brutto. Auf ihr Auskunftsverlangen erhielt sie die Auskunft, dass der Median der männlichen Abteilungsleiter 6.292 Euro und der Median der übertariflichen Zulage 600 Euro brutto monatlich betrage. Ab Januar 2019 wurde ihr Grundentgelt auf 5.688,90 Euro brutto sowie die Zulage auf 550 Euro erhöht.

Die Klägerin machte klageweise die Zahlung der Differenz zwischen dem ihr gezahlten Grundentgelt sowie der ihr gezahlten Zulage und den mitgeteilten höheren Median-Entgelten für die Vergangenheit geltend. Während das Arbeitsgericht Göttingen dem Zahlungsantrag statt gab, wies das Landesarbeitsgericht Niedersachsen die Klage ab.

Der Klägerin sei, so das Landesarbeitsgericht Niedersachsen, der Anscheinsbeweis gem. § 22 AGG nicht gelungen. § 22 AGG sieht für den Rechtsschutz bei Diskriminierungen eine Erleichterung der Darlegungslast vor. Danach kehrt sich, wenn eine Partei Indizien benennt, die eine Diskriminierung vermuten lassen, die Beweislast um, und es obliegt dann der Gegenseite zu beweisen, dass keine Diskriminierung vorliegt.

Nach dem Landesarbeitsgericht Niedersachsen ist das nach dem Entgelttransparenzgesetz mitgeteilte Median-Entgelt als Indiz für eine geschlechtsbedingte Entgeltdiskriminierung gem. § 22 AGG nicht ausreichend. Laut der Darlegung der Arbeitgeberin übten die männlichen Abteilungsleiter die Position im Durchschnitt schon länger aus und hätten zum Teil als Quereinsteiger nur über höhere Entlohnungen gewonnen werden können; daher seien die Gründe für die Entgeltunterschiede nachvollziehbar dargelegt.

Das BAG sah dies erneut anders. Die Arbeitgeberin habe der Klägerin ein geringeres Entgelt als den männlichen Abteilungsleitern gezahlt. Das im Vergleich zum Median-Entgelt geringere Entgelt der Klägerin begründe die von der Arbeitgeberin widerlegbare Vermutung, dass die Klägerin die Entgeltbenachteiligung wegen des Geschlechts erfahren habe. Konträr zum Landesarbeitsgericht Niedersachsen – und zum Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg im ZDF-Fall – urteilte das BAG daher, dass das nach dem Entgelttransparenzgesetz mitgeteilte Vergleichsentgelt für die Beweislastumkehr gem. § 22 AGG ausreichend ist. Darüber hinausgehende Indizien für eine Geschlechtsdiskriminierung sind nicht notwendig.

Im zweiten Schritt obliegt es dann dem Arbeitgeber zu beweisen, dass kein Verstoß gegen das Gebot der Entgeltgleichheit vorliegt, sondern ausschließlich andere Gründe als das Geschlecht zu einer ungünstigeren Behandlung geführt haben. Dazu formuliert das BAG klare Anforderungen: Es betont insbesondere, dass pauschale Behauptungen nicht genügen. Vielmehr müsste bewiesen werden, dass die unterschiedliche Vergütung durch objektive Faktoren, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben, zu erklären ist und dass die Ungleichbehandlung auch tatsächlich ausschließlich auf anderen Gründen als dem unterschiedlichen Geschlecht, also einem geschlechtsunabhängigen Unterschied beruht. Der Arbeitgeber müsse zudem einen Vortrag leisten, der eine wirksame Kontrolle und Nachprüfung durch die Gerichte ermögliche; gelinge ihm dies nicht, gehe dies zu seinen Lasten.

So müssten die Kriterien des Dienstalters und der Dauer der Berufserfahrung im Einzelfall vom Arbeitgeber erklärt und sachlich gerechtfertigt werden. Beispielsweise könne ab einer bestimmten Schwelle „ein Mehr“ an Berufserfahrung womöglich keine (weitere) Steigerung der Qualität mehr bewirken, weshalb bei ernstlichen Zweifeln es Sache des Arbeitgebers sei, zu beweisen, dass das Dienstalter mit Berufserfahrung den Arbeitnehmer dazu befähige, seine Arbeit besser zu verrichten.

Damit schneidet das BAG den Arbeitgebern den pauschalen Verweis auf ein längeres Dienstalter bzw. eine längere Berufserfahrung ab und stellt strenge Anforderungen an eine detaillierte und nachvollziehbare Begründung von Kriterien der Entgeltdifferenzierung. Nicht geklärt wurde, ob der gängige Verweis auf das bessere Verhandlungsgeschick von männlichen Kollegen Entgeltunterschiede begründen könne. Darüber entschied das BAG im dritten Fall.

Vertriebs­lei­terin bei einem Metall­un­ter­nehmen

Beim dritten Verfahren vor dem BAG ging es um Entgeltunterschiede von Vertriebsleiter:innen in der Metallbranche, die mit individuellen Gehaltsverhandlungen begründet wurden (BAG, Urteil v. 16.2.2023, Aktenzeichen 8 AZR 450/21). Dieses Verfahren wird ebenfalls von der Gesellschaft für Freiheitsrechte unterstützt.

Die Arbeitgeberin argumentierte, dass der männliche Vertriebsleiter bei der Einstellung das angebotene Gehalt nicht akzeptiert und mehr gefordert habe. Die weibliche Vertriebsleiterin habe die Stelle jedoch zum angebotenen Gehalt angenommen. Die Gehaltsunterschiede basieren auf unterschiedlichem Verhandlungsgeschick. In dem Verfahren ging es wesentlich darum, ob unterschiedliches Verhandlungsgeschick die unterschiedliche Bezahlung von gleicher oder gleichwertiger Tätigkeit rechtfertigen kann.

Das Gleichstellungsgebot in Art. 3 Abs. 2 S. 2 Grundgesetz formuliert: „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“ Würde nun unterschiedliches Verhandlungsgeschick als Begründung für Gehaltsunterschiede von Männern und Frauen ausreichen, dann würde hier ein erhebliches Missbrauchspotential entstehen: Arbeitgeber:innen könnten sich immer darauf berufen, dass Männer eben einfach besser verhandelt hätten. Verhandlungsstärke ist kein objektiver Grund, sondern basiert auf der subjektiven Wahrnehmung des Gegenübers. Das Recht auf Entgeltgleichheit würde damit leerlaufen. Dies wäre aber mit dem Gleichstellungsgebot nicht vereinbar.

So sah es auch das BAG und entschied, dass Arbeitgeber nicht vom Grundsatz gleicher Lohn für gleiche Arbeit abweichen dürfen, weil ein männlicher Bewerber höhere Gehaltsforderungen stellt als eine weibliche Bewerberin. Dieses Urteil dürfte ein starkes Signal für die Praxis sein, weil Arbeitgeber:innen nun objektive Gründe für Gehaltsunterschiede benennen müssen und bei höheren Gehaltsforderungen von Bewerber:innen diese nur akzeptieren können, wenn sie zugleich die Entgelte der anderen Kolleg:innen mit gleicher oder vergleichbarer Tätigkeit anheben.

IV. Es bleibt noch viel zu tun: Reform­be­darf

Trotz der ersten Erfolge vor dem Bundesarbeitsgericht ist es bis zur umfassenden Durchsetzung der Entgeltgleichheit noch ein weiter Weg. Es bleibt noch viel zu tun. Insbesondere muss die schwache Rechtslage verbessert werden. Dafür muss die starke Individualisierung des Diskriminierungsschutzes überwunden werden. Die Last, das Gebot der Entgeltgleichheit im Einzelfall durchzusetzen, muss von der einzelnen Betroffenen auf kollektive Mechanismen verschoben werden. So braucht es stärkere Pflichten der Arbeitgeber:innen, sich mit dem Gender Pay Gap in ihren Betrieben zu befassen und dieses abzustellen. Gewerkschaften und Betriebsrät:innen müssen eine stärkere Rolle einnehmen können, z.B. durch Verbandsklagerechte und Prozessstandschaften. Wie dies gehen kann, zeigen der Vorschlag für eine EU-Richtlinie zur Lohntransparenz (Dezember 2022) und der Entwurf für ein Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft vom Deutschen Juristinnenbund (Juli 2021). In beiden sind z.B. Bestandsaufnahmen zum Gender Pay Gap im Betrieb, strengere Berichtspflichten als im Entgelttransparenzgesetz, Verbandsklagerechte und Sanktionen vorgesehen. Konkrete Vorschläge für eine Stärkung und Durchsetzung der Entgeltgleichheit gibt es also genug.

Prof. Dr. Cara Röhner ist Professorin für Soziales Recht an der Hochschule RheinMain in Wiesbaden.

Anmerkungen:

iStatistische Bundesamt, Neuer Indikator „Gender Gap Arbeitsmarkt“ erweitert den Blickwinkel auf Verdienstungleichheit, Pressemitteilung vom 6. März 2023

iiDie Klägerin hat dazu jüngst veröffentlicht: Birte Meier, EQUAL PAY NOW! Endlich gleiches Gehalt für Frauen und Männer. Was wir jetzt tun können. Goldmann 2023.

iiiS. www.freiheitsrechte.org/equalpay.

nach oben