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Mit Gott und Polemik gegen Porno und Unzucht

aus: vorgänge Nr. 29 (Heft 5/1977), S. 22-24

Eines der seltsamsten Gewächse im Dickicht der rechten, meinetwegen auch: ultrarechten Bürgerbewegung ist die „Europäische Bürgerinitiative zum Schutz der Menschenwürde”. Sie hat sich das Markenzeichen UCE zugelegt, ein Kürzel, das aus ihrem in anspruchsvollem Latein gewählten Namen „Unio civium europae” stammt. Zusammen mit einem Kreuz, das christliche Bezüge andeutet, geben die Initialen ein markantes Emblem ab, das Briefbögen, Broschüren und Plakaten der Bürgerrechtler ein nobles Aussehen verleiht.
Seit ihrer Gründung im August 1976 macht die Bürgerinitiative zumindest in ihrer engeren Heimat, in der Bundesrepublik und in Österreich, vehement von sich reden. Auf ihre erzkonservative Fahne hat sie einige Kampfziele geschrieben, die sie „aus christlicher Verpflichtung” allerorten „überkonfessionell” proklamiert. Mit den bewährten Methoden rechter Bürger will sie sich so „gegen die Zerstörung christlicher Wertvorstellungen und der abendländischen Kultur zur Wehr setzen”. Schenkt man ihr Glauben, was man allerdings unbesehen nicht tun sollte, dann wird in keinem europäischen Land die Menschenwürde „seitens der Regierungen und Kirchenleitungen” noch ausreichend geschützt, dann gilt es, überall und insbesondere, eine „zunehmende geistig-seelische Vergiftung der Staatsbürger” zu beklagen.
Spezielles Kampfgebiet der UCE ist das weite Feld der Sexualität zwischen Abtreibung und Unzucht, Emanzipation und Schamgefühl. Hier bezieht die Bürgerinitiative eindeutig Stellung gegen den „Mord an Ungeborenen”; hier verurteilt sie mit markigen Worten „Ehebruch” und „Unzucht in jeglicher vorehelicher, außerehelicher oder gleich-geschlechtlicher Betätigung”; hier setzt sie sich vorbehaltlos für die „Würde der Frau”, insbesondere „der Jungfrau und Mutter”, und deren „besondere Aufgabe in Familie und Volk” ein; hier schließlich bekennt sie sich in ungebrochener Sittenstrenge „zur Wahrung und zum Schutz der Reinheit und des Schamgefühls”.
Wo immer die UCE aus angeblich humanitären Gründen ihren Protest anmeldet, geraten Argumente zur wilden Polemik, entgleisen Beweisführungen zu unerträglichen Verdächtigungen, entarten Anklagen zum rhetorischen Klamauk. Kritik an europäischen Zuständen trieft dieser humanen Zivilunion wie selbstverständlich aus allen Poren, nur: sie verwechselt Kritik stets und ständig mit Rechthaberei um jeden Preis, und das umsomehr, je eindeutiger es ihr an überzeugender Glaubwürdigkeit gebricht.
Was auch immer die UCE gegen den „allgemeinen Sittenverfall” ins Feld führen mag, es wirkt unbeholfen und harmlos gegenüber dem klobigen Geschütz, das sie seit ihrem Bestehen gegen die Sexualerziehung auffährt. Erst hier, bei ihrem Lieblingsthema, entfaltet die Bürgerinitiative ihr wahres Können. Erst hier steigert sie ihr polemisches Talent, ihren diffamierenden Einfallsreichtum und ihre kreative Verlogenheit zu einsamen Spitzenleistungen.

In Hamburg zum Beispiel lud sie in diesem Sommer zu einem Aufklärungsvortrag ein, dessen Thema noch jeden arglosen Bürger in Schrecken versetzt: „Unsere Kinder sind in größter Gefahr!” Aktueller Anlaß für dieses unverwechselbare Grundrechtsspektakel war der Entwurf eines neuen Schulgesetzes, das der hanseatischen Bürgerschaft zur Beratung vorlag und in dem es lapidar hieß: „Die Sexualerziehung gehört zu den Aufgaben der Schule.”
Eine Schule jedoch, die lediglich das verwirklicht, was Deutschlands Kultusminister ihr bereits 1968 „empfohlen” hatten, ist für die UCE noch immer ein Gefahrenherd ersten Ranges. Die ungezügelten Sitten in ganz Europa vor Augen, mußte sie in Hamburg ganz folgerichtig die erste Alarmstufe ihrer moralischen Entrüstung auslösen. Denn die sogenannte „Zwangs-Schulsexualerziehung”, so die UCE-Puritaner, verletzt gleich ein ganzes Bündel von Grundrechten: „die Glaubens- und Gewissensfreiheit und das Elternrecht, die Menschenwürde und den Jugendschutz, den Schutz des Lebens und der Familie”.
Was von der schulischen Sexualerziehung, die in Hamburg allerdings schon 1970 durch einen Richtlinienerlaß eingeführt wurde, tatsächlich zu halten ist, gab die UCE in einem ebenso aufschlußreichen wie demaskierenden Flugblatt bekannt: „Schwere Jugendgefährdung mit krimineller Tendenz.” Da beginnt doch eine „schamzerstörende Aufklärung bereits ab 1. Schuljahr mit pornografischer Tendenz”; da muten Lehrer ihren Schülern eine „schamlose Bloßstellung des Intimbereichs im Klassengespräch” zu und „zwingen” sie zu einer „Selbsterarbeitung des Sex”; da werden Kinder „zum Ausprobieren” verführt, nämlich „zu der nach § 176 StGB strafbaren Kinderunzucht” (man beachte: den Begriff „Unzucht” gibt es schon seit Jahren im Strafrecht nicht mehr!); da geben doch die Schulen „grünes Licht” für den „selbstsüchtigen Sex”; da wird schließlich der „staatliche Jugendschutz” nicht nur angegriffen vom „Pornomarkt”, von Jugendzeitschriften wie „Bravo” und „Praline” und von der „kommunistischen Schüler- und Studentenbewegung”, sondern auch „vom Staat selbst” – „mit Sexualpädagogen, die ebenfalls Gegner jenes Jugendschutzes und Befürworter der Pornografie für die Jugend und der Kinderunzucht sind”.
Die Schule ein Saustall, Deutschland ein Pornoland, Europa ein babylonischer Sündenpfuhl — die UCE verfügt da über einen bemerkenswerten Scharfblick. Scharfsinnig sind solche Analysen der Wirklichkeit allerdings nicht, dürfen es auch nicht sein. Spekulieren ihre Verfasser doch skrupellos darauf, daß die Verunglimpfungen, die sie in lauterer Absicht mit bösen Blicken hervorbringen, einer nicht geringen Anzahl von unbedarften Sympathisanten einfach fair und unbestechlich erscheinen. Aber Klischeedenken, möge es sich noch so kongenial mit Naivität, Verbohrtheit und Hartnäckigkeit mischen, führt ebensowenig zu richtigen Urteilen wie Vorurteile zu originellen Einsichten.
Bemerkenswerte Aussagen, sozusagen grundsätzlich und unumstößlich, enthält auch ein „Memorandum zur Schulsexualerziehung”, das die UCE mittlerweile in dritter Auflage in der Bundesrepublik und in Österreich verteilt. Es bietet interessierten Laien, Eltern und Pädagogen wundersame Orakel über die „Werte der Innerlichkeit”, die „Erhabenheit und Heiligkeit der Intimität”, deren „bathische Wunderbarkeit” und über die „tiefwertige Seligkeit der Zweisamkeit”. Inmitten dieser Aura aus lauter -heiten und -keiten gerät der UCE dann das einzig akzeptierbare Ziel jeder Sexualerziehung, die Ehe, zur „Erfüllung der biologischen Sonderaufgabe, geistig wertvolle Kinder zu erzeugen”. Nazigall, ick hör dir trapsen!
Mit größtem Bedauern stellen die europäischen Saubermänner angesichts der schulischen Sexualerziehung denn auch fest: „Die Anstrengungen der ungeistigen Sexisten, die Volkserziehung in ihre Hände zu bekommen, sind ungeheuer, die der geistigen Liebessexualisten (zu denen die UCE sich zählt; Anm d Verf) leider noch zu schwach.” Den reinen Sex nämlich als durchgängiges Erziehungsziel fordern nur die „materialistischen Sexisten” und „Freudmarxisten”. Was die den Kindern in der Schule heutzutage alles beibringen verfolgt nur ein einziges Ziel: die „absolute Erziehung zur publiken Promiskuität mit Vulgärsprache zur Schaffung der unbedingten Revolutionsschablonen für den Zuchthausstaat der kommunistischen Funktionäre”. Punkt.
Vom moralischen Zuchthausstaat der UCE-Puritaner sind wir — gottseidank — weit entfernt. Er wäre, allem Gerede über Menschenwürde zum Trotz, weder überzeugend katholisch noch ernst-haft christlich und keineswegs human. Die UCE-Moral ist nicht einmal hausbacken, vielmehr trägt sie die verzerrten Züge eines ethischen Terrorismus, der grobschlächtiger nicht sein kann.
Wer in der sexuellen Liberalisierung des 20. Jahrhunderts nichts anderes zu erblicken vermag als „eine auf eiskalter und skrupelloser Berechnung aufgebaute Ideologie zur Weltbeherrschung”, die „an der Verwirklichung eines wahrhaft satanischen Planes zur Zerstörung der Kulturvölker” arbeitet; wer im gleichen Atemzug und im gleichen Gedankengang zu rühmen weiß, daß „diese Entwicklung jedoch durch das nationale Machtstreben Hitlers der eine gesunde Jugend brauchte, in Deutschland gestoppt” wurde; wer so daherredet, der rechns damit, daß faschistoides Gedankengut hierzuland noch immer auf fruchtbaren Boden fällt.

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