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Erfahrungen mit Rosa L.

Das Buch über Rosa Luxemburg und ihre Zeit: wie es entstand, was ich dabei erlebte, wie es Kritik und Leser aufnahmen

aus: vorgänge Nr. 29 (Heft 5/1977), S. 115-119

I. Zur Entste­hungs­ge­schichte des Buches

Die Anregung, eine Biografie über Rosa Luxemburg zu schreiben, kam von meinem Lektor Hans-Joachim Gelberg. Ich sagte zuerst: nein. Ich hatte die Sisyphusarbeit an und die Diskussion um mein Buch „Ich habe sieben Leben — Die Geschichte des Ernesto Guevara, genannt Che” hinter mir, das im bürgerlichen Lager, bei der extremen Linken und in der DDR (aus unterschiedlichen Gründen) auf teilweise wütende Kritik gestoßen war. Ich wollte nicht als Autor auf Biografien sozialistischer Gallionsfiguren festgelegt werden, mich nicht in ein Kästchen sperren lassen. Ich war langsam davon überzeugt — von der Kritik immer wieder in diese Pfütze geduckt! — daß jene Stoffe zu schwierig seien für solche Jugendlichen, die nicht Ober- oder Realschüler sind, für das damals so hochstilisierte Arbeiterkind.
Andererseits: ich kann, wenn ich solche Stoffe gestalte, nicht bei Adam und Eva anfangen. Ich muß formal was wagen können, sonst macht es keinen Spaß, und damit ich Wissen, Informationen vermitteln kann, muß der Umgang mit ihnen auch immer mir selbst Spaß machen.
Was Rosa Luxemburg anging, so gab es zudem ja einige recht gute Biografien. Ich nenne hier nur vier: Peter Nettls „Rosa Luxemburg”, zweibändig, ursprünglich in England erschienen, dann in einer einbändigen Volksausgabe bei Kiepenheuer & Witsch; zwar mit einigen Fehlern in den biografischen Fakten behaftet, sonst aber gediegen. Paul Frölichs „Rosa Luxemburg, Gedanke und Tat”, bei der Europäischen Verlagsanstalt. Frölich hat die Luxemburg noch gekannt, war Augenzeuge der frühen Jahre der deutschen KP, saß unter Hitler im KZ, wurde 1934 befreit und schrieb dieses Buch als kritischer Kommunist in Paris Ende August 1939. Weiter: „Rosa Luxemburg — ihr Wirken in der deutschen Arbeiterbewegung”, im Verlag der Marxistischen Blätter, Frankfurt/Main 1971, verfaßt von den Luxemburg-Kennern der DDR,
Annelies Laschitza und Günter Radczun. (Letzterer hat übrigens auch die seit 1974 abgeschlossenen, in fünf Bänden vorliegenden „Gesammelten Werke” im Dietz Verlag redaktionell betreut und sie mit einem Vorwort versehen, aus dem sich die Interpretation des luxemburg’schen Werkes durch das Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED ablesen läßt).
Hinzukäme noch: Helmut Hirschs Monografie bei Rowohlt. (Als erster Überblick gut brauchbar.) Nicht vergessen werden darf: die fast einer Teilbiografie gleichkommende Sammlung der Briefe zwischen Rosa und Leon Jogiches, von der seit 1971 eine Auswahl aus der zweibändigen polnischen, von Feliks Tych edierten Ausgabe bei der Europäischen Verlagsanstalt in deutscher Sprache vorliegt.
Fazit: Es schien mir, mit diesen Büchern sei das Marktinteresse auf der Skala vom wissenschaftlichen Fachbuch bis zur mehr populären, aber zuverlässigen Information hinreichend abgedeckt. Ich sagte: nein. Unter anderem auch, weil ich zweifelte, ob mein Lektor, der vorallem Rosas empfindsame Briefe aus dem Gefängnis kannte, sich eine klare Vorstellung von der Brisanz mache, die in den Fakten dieses Lebens und in den Gedanken dieser Frau steckten.
Dann fuhr ich auf Einladung des Bulgarischen Schriftsteller-Verbandes nach Sofia. Ich sprach mit Kollegen, Parteifunktionären, Professoren. Was mich bestürzte, war das völlige Desinteresse an einer Theoriediskussion. Ich machte eine weitere Probe: Was wissen Studenten der Volkswirtschaft, der Politischen Wissenschaften in einem Land mit sozialistischer Gesellschaftsordnung über eine der Erzmütter des modernen Sozialismus? Was wissen sie über Rosa Luxemburg? Ergebnis: Sie wissen nicht mehr, als daß sie 1918/19 die KP in Deutschland mitgegründet hat. Wirklich und wahrhaftig nichts mehr!
Da erwachte mein Interesse.
Eine Szene in der Bundesrepublik fiel mir wieder ein. Ich war nachmittags auf die Bahnpost in Wiesbaden gegangen. Ich gebe dort gewöhnlich meine Briefe auf. Vor mir steht eine freundlich wirkende alte Dame. Sie verlangt zehn Briefmarken. Sie bekommt die Briefmarken, zahlt, stutzt, sagt dann zu dem Schalterbeamten: „Diese Briefmarke nehme ich nicht.” „Warum nicht?” fragte der Beamte er-staunt. „Das fragen Sie noch.., da ist die Luxemburg drauf… dieses bolschewistische Flintenweib.”
Die alte, freundlich aussehende Dame besteht nicht einmal darauf, daß ihr der Beamte andere Marken gibt. Sie nimmt die zehn Sondermarken mit Rosa Luxemburgs Porträt, wirft sie zusammengeknüllt auf den Boden und tritt mit der Schuhsohle so lange darauf herum, bis sie völlig zerfetzt sind.
Ich hatte mich damals schon gefragt: Wie ist es nur möglich, daß man jemanden, der über fünfzig Jahre tot ist, noch immer so haßt?
Jetzt sagte ich mir: Ich will herausfinden, wie dieser Haß entstanden ist, warum er fortdauert? Ja, schrieb ich an Hans-Joachim Gelberg, ich werde das Buch über Rosa L. schreiben.

II. Rosa nachgereist

Die Vorbereitungsphase für ein solches Buch sieht bei mir so aus: ich lese alles, aber auch wirklich alles, was sich zur Person und ihrem Umfeld auftreiben läßt. Danach reise ich ihren Lebensweg ab. Zuerst fuhr ich mit Günther Stiller, der den Bildteil gestalten sollte, nach Amsterdam ins „International Instituut voor Sociale Geschiedenis”. Ich suchte dort die Kautsky-Korrespondenz, ich rekonstruierte mir den schließlich doch gescheiterten Versuch des Büros der Internationale, durch solidarisches Handeln des europäischen Proletariats den Ausbruch des I. Weltkriegs zu verhindern. Ich traf im Lesezimmer Prof Feliks Tych aus Warschau, der zufällig auch am Institut zu Besuch war. Was mich dort beeindruckte, war, daß es über die Grenzen der Machtblöcke hinweg Kontakte zwischen Leuten gab, die an solch einem Thema arbeiten.
Ein halbes Jahr später fuhr ich nach Warschau. Durch Vermittlung einer westdeutschen Kommunistin stöberte ich die uralte, aber geistig noch sehr bewegliche Sofia Marchlewski auf. Ihr Vater spielte in der polnischen sozialistischen Bewegung an der Seite von Rosa Luxemburg eine wichtige Rolle. Wer das Heraufkommen des Sozialismus in Polen kennenlernen will, muß sich mit dem Lebensweg dieses Mannes beschäftigen. Seine Tochter war eine Zeitlang mit dem Jugendstil-Maler Heinrich Vogeler verheiratet. All das ist unter Fachleuten bekannt. Was weniger oder gar nicht bekannt war, ist dies: Sofias Mutter hieß mit dem Mädchennamen Bronislawa Gutman. Sie gehörte als junges Mädchen auf dem Gymnasium in Warschau (später studierte sie in Zürich Biochemie!) zu jenen politischen Schülerzirkeln, in denen auch Rosa mit den Ideen des Sozialismus, den Werken von Karl Marx und dem Programm der „Partei des II. Proletariats” zum erstenmal in Berührung gekommen sein muß. Die Erzählungen von Sofia Marchlewski waren für mich insofern von unschätzbarem Wert, als durch sie einiges Licht auf die im Dunkeln liegende, in den meisten Biografien mit ein paar allgemeinen Sätzen abgetane Jugendzeit von Rosa Luxemburg in Warschau fiel. Die Frage, wie denn damals ein junges Mädchen aus einer jüdischen Familie politisiert worden sei, mußte gerade die Jugendlichen unter meinen Lesern, so überlegte ich mir, besonders interessieren. Ich begriff hier auch, daß eine Biografie von Rosa immer zwei Schauplätze im Auge behalten müsse: das damals russische Polen und seine sozialistische Bewegung einerseits, und die Schweiz, das Deutsche Kaiserreich bzw. Mittel- und Westeuropa andererseits.
Mein zweiter wichtiger Kontakt in Warschau war Prof. Feliks Tych. Daß Tych einer der exzellentesten Luxemburg-Kenner ist, dürfte bekannt sein. In Westeuropa bekanntgemacht werden sollte, daß er seit Jahren an einer Biografie Leon Jogiches‘ arbeitet, einer Gestalt, die auch über ihre Beziehungen zu Rosa Luxemburg hinaus für die Geschichte des europäischen Sozialismus auf der Schwelle zwischen 19. und 20. Jahrhundert außerordentlich wichtig ist.
Tych konnte für seine Arbeit in Moskau archivierte Briefe von Rosa und Leon einsehen, die beispielsweise Nettl nicht bekannt waren. Er kann an Hand dieser Briefe beweisen, daß sich der Bruch zwischen Rosa und Leon 1907 anders abgespielt hat als noch Nettl mutmaßt. (Wer um die Bedeutung der Bindung zwischen Rosa und Jogiches weiß, wird begreifen, daß es hier nicht um spieß-bürgerliche Affärenschnüffelei geht, sondern um ein psychologisch sehr entscheidendes Moment.) Tych erlaubte mir, diese seine Forschungsergebnisse, die ausführlich in seiner Jogiches-Biografie dargestellt werden, für mein Buch zu verwenden. Dann Zürich. Mit Theo Pinkus bin ich zwar nicht verwandt, aber er war und ist für mich seit Jahren so etwas wie ein väterlicher Freund in allen Fragen des Sozialismus und Marxismus. Selbstverständlich, daß ich ihn fragte, wie man ein solches Buch über Rosa Luxemburg angehen solle. Seinen Rat kann man im Buch selbst nachlesen, aber ich zitiere diesen Satz hier gern: Theo sagte in Zürich: „Du müßtest an ihr kIar machen, was Emanzipation bedeutet. Sie war nun wirklich eine emanzipierte Frau, in einem viel umfassenderen Sinn, als wir diesen Begriff heute gemeinhin verstehen. Gescheit und gebildet. Allein die Vielseitigkeit ihrer Interessen. Die Leute denken doch immer noch… eine Sozialistin, die hat nur ihr Parteiprogramm im Kopf.”
Das wurde dann fast zum Hauptthema: klarzumachen – es gab da einmal eine sich durch den Sozialismus allround-emanzipierende Frau. Was hieß das im einzelnen? Wie schwierig war das damals? Theo und ich redeten eine ganze Nacht (am Tag war ich die verschiedenen Wohnungen Rosas in Zürich abgeklappert, hatte mir ihren enfant terrible-Auftritt auf dem Intemationalen Sozialistischen Arbeiterkongreß 1893 und ihre Existenz zwischen Uni in Zürich und Zeitungsredigieren in Paris vorzustellen versucht). Ich klagte Theo mein Leid, wie schwer es mir falle, einen Einstieg in die Theorie zu finden.
Er sagte: „Warte mal.., was man eben auch erklären müßte, … wie fest sie auf dem Boden des Marxismus gestanden hat, und daß sie dennoch keine Scheuklappen trug. Sie war eine kritische Marxleserin. Das ist auch eine Tradition, die es aufzudecken gilt.”
Und dann wies er mich auf einen Text hin, von dem ich mittlerweile immer wieder fordere, daß er in jedem deutschsprachigen Geschichtsbuch (so ab 10. Klasse) zu finden sein sollte. Als sich nämlich Franz Mehring bei seiner Marx-Biografie das Problem stellte, den Inhalt des „Kapitals” zu rekapitulieren (und zwar so, daß er von möglichst vielen Lesern verstanden würde), wandte er sich an Rosa, und sie schrieb ihm eine allgemeinverständliche Zusammenfassung, eine Skizze der Hauptgedankenwege.
Davon abgesehen, daß es die kürzeste und allgemeinverständlichste Einführung ins „Kapital” ist, die ich kenne, bekommt man durch diesen Text auch als Laie eine Vorstellung davon, wie sich Rosa Marx angeeignet hat.
Ja, und dann natürlich Berlin…
Ich bin die Wegstrecke der Autos, in denen die Freikorps-Gangster erst Karl Liebknecht, dann Rosa Luxemburg zur Liquidierung fuhren, nachgegangen. Überhaupt diese Episode… diese Mordsache geht einem schon bis in die politische Seele.
Und wer es noch nicht kennt, der sollte sich unbedingt E. Hannover-Drücks und Heinrich Hannovers Dokumentation eines politischen Mordes „Der Mord an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht” einmal vornehmen. Dieses schmale Bändchen in der edition suhrkamp ist ein Muß für jeden, der begreifen lernen will, warum die Weimarer Republik scheiterte. Und wer es je aus politischen Gründen mit der deutschen Justiz zu tun kriegt, der weiß, wenn er diese Schrift gelesen hat, was ihm blühen kann.
Ich bin Jahrgang 1934. Zwischen 1945 und 1954 habe ich in beiden deutschen Staaten die Oberschule besucht. Wie sich die (vielleicht wichtigste) deutsche Revolution 1918/19 wirklich abspielte, darüber habe ich im Geschichtsunterricht so gut wie gar nichts mitgekriegt. Von daher wurde mir für das Rosa-Luxemburg-Buch auch das wichtig: Jüngeren Deutschen (nicht nur Jugendlichen und Schülern) zunächst einmal vorzuführen, was bei dieser Revolution geschah.
Ich war (um es gemäßigt auszudrücken) tief bestürzt und beschämt über das Verhalten der damaligen Parteiführer der SPD, die ja heute gern zu Säulenheiligen verklärt werden. (Als ihnen die Ehre widerfuhr im Großen Hauptquartier mit den Militärs an einem Tisch essen zu dürfen, war’s für sie persönlich vollbracht und das sozialistische Bewußtsein rasch vergessen!) Verständlich, daß man noch heut in der SPD kein Interesse hat, solches an die große Glocke zu hängen.
Das schlechte Gewissen ist in diesem Punkt wirklich allgemein: die Bürgerlichen haben es, die Sozialdemokraten, die so rasch gute Bürger wurden. Und natürlich ist da auch viel Schweigen bei den Kommunisten.
Wer weiß schon, daß Rosa vor den so dirigistisch auftretenden Abgesandten aus Moskau warnte? Wer weiß schon, wie beim mitteldeutschen Aufstand deutsche Arbeiter von dieser Partei verheizt wurden? Wer kennt schon das Schicksal eines Mannes wie Paul Levi, an dessen Lebensweg sich so vieles über die Entwicklung und das Elend des Kommunismus in Deutschland ablesen läßt. Dieser Mann, der schon 1913 Rosa Luxemburg in dem „Wehrzersetzungsprozeß” verteidigt hatte, nahm kurz vor Ablauf der Verjährungsfrist den Kampf gegen den die Mörder Rosas begünstigenden Richter Jorns auf. Das Ende Levis ist geradezu metaphernhaft. Bei einer Grippe stürzte er sich, von Schreckensbildern verfolgt, aus dem Fenster seiner Wohnung und stirbt unten auf dem Pflaster.

III. Rosas Theorie

Da will auch niemand ran. Beliebteste Ausrede: Sie habe kein geschlossenes System hinterlassen. Dabei sind auch da Lektionen aufzuarbeiten, die uns bis heute und für morgen angehen. Von der komplizierten Geschichte jenes Textes, der in der neuen Luxemburg-Ausgabe der DDR mit der Überschrift „Zur russischen Revolution” versehen wurde, will ich hier gar nicht reden. Da kennt man immer nur den Satz vom linken Manuskriptrand ohne Einordnungshinweis: „Freiheit für die Anhänger der Regierung, nur für die Mitglieder einer Partei – mögen sie noch so zahlreich sein – ist keine Freiheit. Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden. Nicht wegen des Fanatismus der ,Gerechtigkeit`, sondern weil all das Belebende, Heilsame und Reinigende der politischen ,Freiheit` an diesem Wesen hängt und weil seine Wirkung versagt, wenn die Freiheit zum Privilegium wird.”
Mit diesem Satz (dann meist unvollkommen zitiert) schmückten sich lange kalte Krieger. Ihnen sei vorgehalten, daß auch ein anderer Satz „reine” Rosa Luxemburg ist: „Geschändet, entehrt, im Blute watend, von Schmutz triefend, so steht die bürgerliche Gesellschaft da, so ist sie.”
Nein, nein, man muß schon das ganze Manuskript lesen, seinen geschichtlichen und entstehungsgeschichtlichen Kontext sehen, aber dann – und das ist wieder einem anderen Lager sehr peinlich – wird es zu einer der Schriften, in denen der Wurzelgrund dessen sich vorbereitet, was heute „Eurokommunismus” heißt.
Und weiter: Erleben wir nicht heute in der SPD wieder eine Art Revisionismusdebatte?
Wie differenziert wird bei Rosa über die Frage der revolutionären Gewalt nachgedacht! Wie stellen sich sowjetrussische und DDR-Kommunisten zu dem Luxemburg-Satz: „Es ist die historische Aufgabe des Proletariats, wenn es zur Macht gelangt, an Stelle der bürgerlichen Demokratie sozialistische Demokratie zu schaffen, nicht jegliche Demokratie abzuschaffen.”?
Was hat die SPD im Jahre 1977 zu den Sätzen Rosas zu sagen, die da lauten: „In der bürgerlichen Gesellschaft ist der Sozialdemokratie dem Wesen nach die Rolle einer oppositionellen Partei vorgezeichnet, als regierende darf sie nur auf den Trümmern des bürgerlichen Staates auftreten”?
Ist man ein „Sponti”, ein Spinner, wenn man darauf beharrt, daß sozialistische Parteien sich mit diesen Sätzen heute auseinanderzusetzen haben? Oder sind solche Forderungen schon als Indizien für (verbotene) Aktionsgemeinschaften mit den
Kommunisten benutzbar? Als Verherrlichung von Gewalt oder Mangel an Verfassungstreue? All dies ließe sich noch viel weiter treiben. Und im Sinn des Fortschritts von Sozialismus fände ich es sehr wünschenswert, daß, von diesen Sätzen ausgehend, sie kritisch untersuchend und benutzend, es jemand weitertreibt.

IV. Rezep­ti­ons­ge­schichten

Zum Schluß ein paar Auskünfte zu der Frage: Wie ist das Buch angekommen? Wie wurde es verbreitet? Wie waren die Reaktionen? Ein deutscher Verleger: „Nun Herr Hetmann, als nächstes kommt dann wohl eine Biografie über Josef Stalin!”
Ein anderer deutscher Verleger: „Sie müssen auf-passen, daß man Sie nicht in die linke Ecke stellt. Dann kann ich ihre Bücher nicht mehr verkaufen…”
Noch ein deutscher Verleger: „Wenn jemand schon ein Buch über Rosa Luxemburg schreibt, ist ja klar…”
Das Buch ist jetzt knapp ein Jahr auf dem Markt. Der Verlag verkauft die 3. Auflage. In dem Exemplar, mit dem ich arbeite, steht 11.–15 000. Ich erwähne das nur, weil dies – im Zeichen der „Tendenzwende” – niemand erwartet hatte. Die Frage wäre dann: Wer sind die Leser? Bestimmt nicht nur Jugendliche. Ich würde vermuten, daß das Gros der Leser in der Altersgruppe zwischen 20 und 40 Jahren zu suchen sein wird.
Kritik an dem Buch: Es wende sich nur an eine elitäre Minderheit (Ute Blaich in der Zeit). Dazu kann ich nur sagen: Noch einfacher, noch tiefer ansetzend, hätte ich nicht schreiben können. Positiv: „Was mir besonders gefällt… daß Hetmann Verständnishilfen gibt, indem er die Lebensumstände der Normalbürger beschreibt.” (Ulla Schickling in der Frankfurter Rundschau). Ja, das schien mir wichtig, denn wer kann sich denn heute von uns noch so ohne weiteres vorstellen, wie ein schlesischer Landarbeiter damals lebte, wie die Reichen und wie die Armen wohnten, was man an einer Grundschule des wilhelminischen Deutschland über Kaiser, Soldaten und Krieg lernte, wie man damals den 1. Mai feierte!
Gehässig bis antisemitisch – eine Leserzuschrift: „Ihr Wahrheitsfanatismus ist demgemäß, wie die gesamte sozialistische Idee, auch die der Rosa Luxemburg nur pseudo-edel… sie unternehmen den Versuch, den Leser systematisch zu verhirschelmardochaisieren.” „Ihrem Buch fehlt das pädagogische Bemühen!”
Stimme aus der DDR auf die Frage, ob man das Buch dort nicht in Lizenz herausbringen wolle: „In fünf Jahren werden wir vielleicht soweit sein…!” (Das war vor den „Ereignissen des IV. Quartals”, wie man in der DDR die Vorgänge um die Ausbürgerung von Wolf Biermann zu umschreiben pflegt.) Überschrift in einer Provinzzeitung: „Die Träume der Rosa Luxemburg… Stille, Ruhe, ein Baby, eine Bibliothek…” (Weilburger Tagblatt).
Was nie geschah (auch nicht bei einer Diskussion zum Start des Buches in einer Vorortsbücherei in Wiesbaden, zu der der rege Bibliotheksdirektor K.H. Pröve auch Vertreter der Parteien eingeladen hatte): Rosas Denken und Handeln am Heute überprüfen. Aber da riet mir jemand, ich solle das Buch doch mal an den Vorwärts schicken.
Na, ich weiß nicht. So viel Optimismus habe ich schon längst nicht mehr!

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