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Intel­lek­tu­elle als Urheber des Terro­ris­mus?

vorgängevorgänge 2910/1977Seite 14-15

aus: vorgänge Nr. 29 (Heft 5/1977), S. 14-15

Nach dem hinterhältigen Mord an dem Bankier Jürgen Ponto, dem schon nicht mehr letzten Glied einer blutigen Kette, hat sich die Auseinandersetzung um die Ursachen des Terrorismus zugespitzt. Eine umgrenzbare soziale Gruppe wird als Urheber des Terrorismus vorgestellt: linke Intellektuelle, insbesondere Hochschullehrer, die das gegebene gesellschaftliche System als änderungsbedürftig ansehen. Der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Hans Filbinger, spricht für viele, wenn er die Fakultäten mancher Universitäten als „Brutstätten revolutionärer ldeologie” bezeichnet, von denen es „nicht mehr allzu weit zu den Terroristen” sei, die „den Marx im Kopf und den Revolver in der Tasche” hätten.
Mit der verbreiteten Behauptung, daß kritische Gesellschaftsanalyse die Entschlossenheit zu tötender Gewalt nach sich ziehe, wird übersehen, daß es gerade jene Gesellschaftsanalyse ist, die den mörderischen Irrwitz von Desperados richtet. Hätten die Terroristen tatsächlich Marx im Kopf, so wären sie keine. Denn die Marxsche Theorie besitzt ihre Substanz darin, nicht individuelle Menschen zu bekämpfen, sondern inhumane Einrichtungen und Verhältnisse, deren Entfremdungszusammenhang auch die herrschenden Repräsentanten unterliegen. Aus dieser theoretischen Grundposition folgt eine politische Moral, die den „Meuchelmord haßt und verabscheut”, wie es 1918 der auf der äußersten Linken stehende Spartakusbund formulierte. Hieran hat die bundesdeutsche Linke von Wolfgang Abendroth über Oskar Negt bis Helmut Gollwitzer festgehalten und die seit Beginn der 70er Jahre bei uns aufflammenden terroristischen Aktionen kompromißlos verurteilt: Von den Bedürfnissen und Interessen der abhängig arbeitenden Schichten getrennt, sind derartige Aktionen den Zielen des Sozialismus wie den legitimen Kampfmitteln in einem demokratischen Verfassungsstaat vollkommen entgegengesetzt. Erst jüngst hat Gollwitzer noch einmal unzweideutig klargestellt: „Ausschließlich mit ihrer Selbstreproduktion beschäftigt, unterscheiden sich ihre Handlungen (der sogenannten RAF und ihrer Nachfolgeorganisationen) nicht mehr von denen einer kriminellen Gruppe. Das gilt auch für die als ,Bestrafung` ausgelegte Ermordung Generalbundesanwalt Bubacks.”
Die grundsätzliche Ablehnung des Terrorismus schien, folgt man einem beachtlichen Teil der veröffentlichten Meinung, bei 45 linken Hochschullehrern ins Wanken geraten zu sein, die den von einem Göttinger Anonymus verfaßten „Nachruf” auf den ermordeten Generalbundesanwalt im Rahmen einer Dokumentation erneut publizierten. Der Artikel des Göttinger „Mescalero” spricht zu Beginn von einer „klammheimlichen Freude” über den „Abschuß von Buback”, eine — erschreckende — Gefühlsregung, die im weiteren Fortgang mit der Bemerkung verworfen wird: „Unser Weg zum Sozialismus… kann nicht mit Leichen gepflastert werden.” In der Presse waren zumeist allein die ersten, zu Recht Entsetzen auslösenden Abschnitte des Mescalero-Artikels zitiert worden, nicht aber seine späteren, dem Anfang widersprechenden Partien. Die Hochschullehrer hatten, was vielfach übersehen worden ist, ihren ungewöhnlichen Schritt damit begründet, das Augenmerk auf den Hauptteil des Mescalero-Artikels zu lenken, weil dessen „zentrale Intention” — seine Absage an Gewaltanwendung — „unterschlagen” werde.
Nicht zuletzt wegen der ersten Partien des Mescalero-Artikels sind gegen die Herausgeber staatsanwaltschaftliche Ermittlungen und gegen die niedersächsischen Hochschullehrer, die für die Dokumentation mitverantwortlich zeichnen, disziplinarische Vorermittlungen eingeleitet worden; der Berliner und der Bremer Wissenschaftssenator haben die Professoren aufgefordert, ihre Haltung zu dem „Nachruf” unzweideutig klarzulegen.
Inzwischen haben sämtliche Hochschullehrer in einer am 16. 8. veröffentlichten Erklärung selbstkritisch eingeräumt, daß die Form der Dokumentation „auch bei Gutwilligen” „Mißverständnisse” hat entstehen lassen, bei Gutwilligen, die — mag man ergänzen — Kritik mindestens an jenen Passagen des Mescalero-Artikels erwartet hatten, die mit der Romantik der Gewalt spielen. Diesen Tatbestand nahm einer der Herausgeber zum Anlaß, in einem Spiegel-Gespräch zu erklären: „Ich bedaure heute, daß wir nicht ein kritisches Vorwort vorangestellt, sondern den Text nahezu kommentarlos veröffentlicht haben.” So heben die Professoren in der genannten Erklärung ausdrücklich hervor, daß die „Herausgabe eines Textes nicht die Identifikation mit dessen Inhalt bedeutet”, insbesondere also nicht mit den ersten Passagen des Mescalero-Artikels. Unmißverständlich bekräftigen die Professoren die unverrückbare Grundposition der Linken: „Wir lehnen Terror als Mittel der politischen Auseinandersetzung ab.”
Es mag irritieren, ja schockieren, diese Auffassung aus dem umstrittenen Mescalero-Artikel herauszulesen, wenn man die ersten Partien im Auge behält. Aber gewichtige Zeugen, die in den Streit nicht verwickelt sind, wie der Berliner Tagesspiegel und ein Düsseldorfer Jugendschöffengericht, sehen, nachdem sie den Mescalero-Artikel in seiner Gesamtheit und von seinem Ergebnis her betrachtet haben, die Sache nicht anders als die Hochschullehrer: „Der Göttinger Mescalero hat”, schreibt der Tagesspiegel, „in seiner Sprache zur Absage an den Terrorismus aufgerufen und ein Plädoyer zur Rückkehr zur antiautoritären Methode des Lächerlichmachens empfohlen.” Insgesamt, urteilt das Düsseldorfer Gericht, „billigt der Verfasser des Buback-Nachrufs nicht den Mord an Generalbundesanwalt Buback.”
Auch wer diese Sichtweise nicht akzeptiert, sollte sie respektieren und denjenigen, die sie teilen — wie die ins Kreuzfeuer geratenen Hochschullehrer —, nicht ein Liebäugeln mit dem Terrorismus unterstellen. Falsche Frontlinien, die dazu führen, daß die linke Kritik am Terrorismus nicht ernst-und wahrgenommen wird, gefährden den Versuch, dem Terrorismus mit den oft beschworenen geistigen Mitteln entgegenzutreten. Wer kann das wollen? 

(6.9. 77)

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