Ein Gespenst geht um...
aus: vorgänge Nr. 29 (Heft 5/1977), S. 127
Es kann einen mitunter das Fürchten lehren, was gegenwärtig aus Politiker- und Publizistenmund dringt, zumal von der rechten Seite. Bisweilen will es scheinen, als ob nun die ganz große Keule geschwungen werde, mit einem verbissenen Endlich auf den Lippen; Rache für die jahrelang empfundene Demütigung seitens linker Intellektueller scheint im Spiel zu sein, sowie der Triumph dessen, der es immer schon gewußt, doch stets nur Hohn geerntet hat. Vom endgültigen Schlußmachen ist die Rede, vom Austrocknen des Sympathisantensumpfs. Endlich kommen die antiautoritären Lehrer und die laschen Politiker, die liberalen Sowohl-als-auch-Apostel und auch die permissiven Eltern an den Pranger; am besten auch gleich das ganze Psycho-, Polito- und Soziologenpack der linken Szene. Ein Gespenst geht um in diesem Land, es trägt den Namen McCarthy….
Es ist nun möglich, daß die Art, wie Parteipolitiker die gegenwärtig im Volk vorhandene Unruhe noch anheizen, statt sie mit Vernunft und Aufklärung zu dämpfen, einen wichtigen, nämlich den intelligenteren Teil der Jugend vollends abstößt, seine Zweifel an der Funktionsfähigkeit des föderalen, demokratischen Systems bestärkt, Solidaritätsgefühle verkümmern läßt. Zu fürchten ist indessen, daß die meisten Politiker dies gar nicht erkennen. Wieder einmal ist die Beobachtung zu machen, daß politische Reden oft nichts anderes sind als ein permanentes Sich-selber-auf-die-Schulter-Klopfen… Daß jetzt so viel falsch geredet wird, stößt jedenfalls auf tiefe Abneigung in jenem Teil der Wähler, der sich erst einmal ein geordnetes Bild vom Denken und Handeln demokratischer Politiker macht. Dieser Teil wird kaum angesprochen. Es ist merkwürdig, wie wenige Politiker sich bemühen, einen Tonfall zu finden, der Zwanzig- bis Dreißigjährige angeht, überzeugt, bewegt….
Hans Heigert in der Süddeutschen Zeitung vom 19.9.1977