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Gefängnis contra Familie

Ein Beispiel für die Sozialschädlichkeit der Freiheitsstrafe

aus: vorgänge Nr. 29 (Heft 5/1977), S. 100-105

Ein wesent­li­cher Aspekt der Freiheits­s­trafe wird in der Diskussion über Strafe und Straf­vollzug hartnäckig vernach­läs­sigt: Die Familie, obwohl selbst nicht straffällig geworden, wird ebenso hart mitbestraft wie das ihrer Mitglieder, das im Gefängnis einsitzen muß. Während die Familie so nahezu de-so­zi­a­li­siert wird, wird die Re-so­zi­a­li­sie­rung des Gefangenen durch Abschnei­dung seiner primären sozialen Beziehungen fast unmöglich gemacht. Unsere Autoren haben in ihrem 1975 erschie­nenen Buch „Gefängnis und Familie” eine Fülle erschüt­ternden Materials dazu vorgelegt.

Das Gefängnis hat wieder einiges Ansehen erlangt. Den Täter einzusperren und von den Anständigen abzusondern gilt in der Öffentlichkeit als probates und richtiges Mittel und befriedigt das Bedürfnis nach Sicherheit und sozialer Ordnung. Wendet man aber den Blick vom Gefängnis und dem Täter einmal ab und schaut darauf, wie denn die Freiheitsstrafe auch auf andere — Nichteingesperrte und Nichtverurteilte wirkt —, so gerät unweigerlich die Situation der Angehörigen des Gefangenen, der Ehefrau oder des Ehemannes und der Kinder ins Blickfeld.

Auswir­kungen der Strafhaft auf die Familie

Wie sich aus einigen Untersuchungen und speziell Selbstzeugnissen Betroffener aus letzter Zeit ergibt, sind die Auswirkungen der Strafhaft auf die Familie erheblich. Hier nur eine kurze Zusammenfassung [1]:

–  Wird der Ehemann eingesperrt, wird in aller Regel der Familie der Ernährer entzogen, da sie von seiner Arbeitskraft und -einkommen lebte. Die Folgen sind ein erheblicher Einkommensrückgang, verbunden mit einem entsprechenden sozialen und ökonomischen Abstieg (Konsumeinschränkung, Wohnungsverlust, Sozialhilfe etc.). Für die Ehefrau entsteht die Mehrbelastung, sowohl für Unterhalt als auch gegebenenfalls für Haushalt und Kinder weiterzusorgen. Die unterprivilegierte Stellung der Frau im Arbeitsprozeß sowie die an-haltende Ausgliederung von Arbeitskräften aus dem Arbeitsprozeß tragen ihr übriges dazu bei, um diese Notlage zu verschärfen.
 – Wird die Frau eingesperrt, ist in einem Großteil der Fälle vor allem die interne Versorgungslage der Familie betroffen. Der Ehemann, der weiter-hin seinen Beruf ausübt, kapituliert in traditionellem Rollenverhalten vor der Doppelbelastung und versucht, die Kinder bei Verwandten oder in Krippen, Tagesstätten oder gar Heimen abzustellen.
–  Für die Kinder selbst sind die Folgen noch am schlimmsten. Es beginnt bei dem für sie oft unbegreiflichen Verlust einer festen Bezugsperson und der Einschränkung der Beziehung zu der verbliebenen. Es geht weiter mit wechselnden Aufenthalten bei Großmüttern, Onkeln oder Tanten, in tristen Horten und Kinderkrippen/-gärten (ca. 24 Kinder pro Bezugsperson). Diskriminierungen in der Nachbarschaft und Schule, Leistungsabfall in der Schule, soziales Unwertgefühl erzeugen den Ansatz für die „Verwahrlosung” und „Kriminalisierung” der Kinder. Als Kinder von Gefangenen in schwieriger familiärer und ökonomischer Situation unterliegen sie verstärkter Kontrolle.
Das Jugendamt registriert das zunehmende Versagen, Lehrer und Erzieher sehen sich in ihren Vorurteilen bestätigt, behördliches Eingreifen, Maßnahmen der Schule (z.B. Sonderschuleinweisung etc.) setzen den Stigmatisierungsprozeß fort, so daß sich schließlich die alte Volksdummheit vom Apfel, der nicht weit vom Stamm fällt, bestätigt.

–  Die Eltern versuchen durch Notlügen die Kinder über die wahre Situation hinwegzutäuschen („Vater ist auf Reisen“, „das ist ein Krankenhaus, die Gitter sind nur dazu da, daß man nicht aus dem Fenster fällt…” etc.).
So entwickelt sich ein Klima von Ängsten und Schuldgefühlen innerhalb der Familie, und der Schock und Identitätsverlust ist um so größer, wenn die Kinder auf anderen Wegen schließlich die Wahrheit erfahren.
–  Die gesellschaftliche Diskriminierung, zumindest jedoch das gewisse Mißtrauen gegenüber der alleinstehenden Frau – und eventuell auch noch mit Kind –(„Wo ist denn der Mann?“), die Unsicherheiten im Umgang mit Behörden und Gerichten, die Angst vor ablehnenden Reaktionen in der Nachbarschaft oder am Arbeitsplatz bewirken Fluchtreaktionen. Einige versuchen dem durch Arbeitsplatz- oder Wohnungswechsel zu entgehen, andere isolieren sich, erzählen erfundene Geschichten oder flüchten sich in Krankheiten, greifen zu Tabletten bis hin zum verzweifelten Selbstmordversuch.
–  Die ökonomischen Einschränkungen drängen die Betroffenen zu den entsprechenden Behörden: Sozialämter und Jugendämter erhalten ihre Klientel. Es entstehen neue Kontrollsituationen, die Deklassierung als „Sozialfall” setzt ein.
– Die familiäre und eheliche Kommunikation ist weitestgehend eingeschränkt oder auch gänzlich unterbunden. Die Schwierigkeiten des Besuchsverkehrs, oftmals lange und kostspielige Anreisen für 30-Minuten-Sprechzeiten, die immer noch geübte generelle Überwachung entzieht den Angehörigen ihr vertrautes nicht-formalisiertes privates Gespräch. Der oft ungewohnte Briefverkehr, der ebenfalls der Zensur unterliegt, ist nur ein kümmerlicher Ersatz. Die Scheu, Kinder in die tristen Gefängnisbauten mitzunehmen, reduziert in der Praxis das „elterliche Verkehrsrecht” auf ein Minimum. Die in allen Gesellschaftschichten gewohnte und vertraute TeIefonkommunikation ist dort, wo sie am notwendigsten wäre, in einem heillosen Anachronismus noch die Ausnahme geblieben.
Die Sexualität ist als notwendiger und wesentlicher Bestandteil einer Beziehung gänzlich unterbunden. Von der Institution Ehe bleibt ein formalrechtliches, im wesentlichen auf Unterhaltsansprüche beschränktes, Gebilde zurück, das allerdings nach begriffsjuristischer Auffassung den Anforderungen des Art 6 I GG genüge tut [2].
So sind wohl auch die weiteren Folgen von den Eheleuten selbstverschuldet: zunehmende Entfremdung, psychische Zerrüttung, Kommunikationslosigkeit, Mißtrauen, Ängste, Eifersüchteleien bis hin zur Scheidung, wodurch das Bild vom entwurzelten Knacki endlich fertiggemalt ist.
Die proklamierten Ziele der Strafe verkehren sich ins Gegenteil: Zurückführung in die Rechtsgemeinschaft, Eingliederung in ein normales, geregeltes soziales Leben, Hilfe zur Entwicklung einer Persönlichkeit, die eigenverantwortlich ihr Leben gestaltet, kurzum alles, was unter den Oberbegriffen Resozialisierungsziel und Behandlungsvollzug verstanden wird, bleibt durch die verhängte Strafe selbst auf der Strecke.
Ist dies nun nur eine „zufällige” Auswirkung der Strafhaft, eine beheizbare Nebenfolge, die man vorübergehend hinnehmen muß, oder Iiegt es im System der Freiheitsstrafe selbst begründet, daß sie derartig sozialschädliche Folgen hat?

Indivi­du­al­e­thi­scher Schuld­be­griff und soziale Isolation

Die Justiz geht vom Rechtsbrecher als dem Einzelgänger, dem einsam reißenden Wolf aus. Das Strafrecht stellt mit seinem individualethischen Schuldbegriff (oder modernisiert: die Verantworte
lichkeit, Vorwerfbarkeit) und seiner normativen Tatbestandsbeschreibung auf den Einzeltäter und auf eine isolierte Handlung ab. Alle Interaktionszusammenhänge, alle sozialen und ökonomischen Bedingtheiten und Wechselbeziehungen, die das Verhalten in einer Gesellschaft bedingen, treten zurück, werden sekundär. Erst als gegebenenfalls zu berücksichtigende Motive, Lebensumstände sind sie dann im Nachhinein bei der Strafzumessung zu berücksichtigen ( § § 561, 4611 StGB). Die richterliche Subsumtion vollzieht bereits methodisch eine Isolation, bereits hier gerät der soziale Zusammenhang aus dem Blickfeld [3].
Mit der Sanktion selbst wird dann die Isolierung auch praktisch vollzogen: Der Verurteilte wird aus seiner sozialen Umwelt abtransportiert, wird aus dem Arbeitszusammenhang entfernt, seine Arbeitskraft wird im Strafvollzug entwertet, er verliert den Zugang zur Zirkulationssphäre überhaupt, kann nicht mehr an normalen Konsumtionsprozessen teilnehmen, verliert somit seine soziale und ökonomische Versorgungsfunktion, seine persönlichen Kontakte werden entweder als kriminogen untersagt oder durch das Gefängnis weitgehend unterbunden.
Nicht der Rechtsbruch macht den Menschen asozial, sondern die staatliche Reaktion.
Auch hier wird erst im Nachhinein wieder der soziale Bezugsrahmen berücksichtigt, um etwas von den Löchern, die man aufgerissen hat, wieder zuzukitten: Besuchs- und Briefkontakte, Ausgang und Urlaub soll die Wiedereingliederung fördern, Beziehungen erhalten, neue herstellen. Noch in der gesetzlichen Formulierung selbst kommt der unüberbrückbare Gegensatz zwischen schädlicher Isolierung (in der Tradition der Vergeltung und der christlichen Buße) und sozialintegrativen staatlichen Hilfeleistungen (in der Tradition der Aufklärung und der défense sociale) zum Ausdruck: in § 2 StVollzG, der neben das Resozialisierungsziel den Schutzzweck für die Allgemeinheit stellt; besonders aber in § 3 1, II StVollzG, der fordert, den Vollzug den allgemeinen Lebensbedingungen soweit wie möglich anzugleichen und schädlichen Folgen der Freiheitsstrafe entgegenzuwirken! Der schädliche Vollzug soll sich also gewissermaßen selbst durch einen entgegengerichteten Vollzug aufheben. Ein wahrhaft dialektisches gesetzgeberisches Kunststück.
Solange man an der Isolation als Grundprinzip der Strafe festhält, muß notwendigerweise die Strafe mit anderen gesellschaftlichen Ordnungssystemen — wie z.B. die Familie — in Konflikt kommen. Strafe ist nicht ein sozialintegrierender Bestandteil gesellschaftlicher Verkehrsformen, sondern beendet diese: wer nach normativer Betrachtungsweise asozial ist, hat das Recht auf soziales Leben verwirkt und verfällt der Isolation [4].
Man wende nun nicht ein, daß „Kriminelle” ja gar nicht über die hier genannten sozialen Beziehungen verfügen würden beziehungsweise daß es eben nur solche wären, die gerade nicht gebilligt werden könnten. Es muß hier dahingestellt bleiben, inwieweit das Strafsystem, speziell bei der Strafverfolgung, hier eine petitio principii vornimmt, indem man das gesellschaftliche Unwerturteil auf das „kriminelle Milieu” ausweitet. Die Untersuchungen der neueren Kriminologie legen die Vermutung nahe, daß hier massive Zuschreibungs-, klassenspezifische Wertungsprozesse stattfinden (so ist es eben ein Unterschied, ob ein Mitglied der Münchner „Schickeria” nichts arbeitet, viel umherreist, nachts in Lokalen sitzt, keine feste Zweierbeziehung pflegt oder ob all dies von einem Unterschichtmitglied getan wird, der damit die Tatbestandsmerkmale für „Verwahrlosung” oder für eine schlechte Sozialprognose oder auch für den Erlaß eines Haftbefehls wegen Fluchtgefahr erfüllt [5].
Betrachten wir hingegen nur die „normalen” legitimen Beziehungen von Gefangenen.

Wissen­schaft­liche und rechtliche Vernach­läs­si­gung der sozialen Bezüge

Hier steht ebenfalls gleich ein methodisches Problem entgegen, da die sozialen Beziehungen nicht nur von der Justiz, sondern auch von der Sozialforschung, Kriminologie und der Statistik weit-gehend vernachlässigt wurden. Auch hier dienten Angaben über soziale Verhältnisse nur als Indikatoren für mögliche Kriminalitätsentwicklung. Die Beziehungen zwischen staatlicher Sanktion und sozialen Lebensverhältnissen wurden darüberhinaus kaum untersucht. Die arbeitsteilige Verwaltung, deren Aufgabenabgrenzungen von den Wissenschaften ja gern als Gegenstandsabgrenzungen übernommen werden, hat ihr übriges dazu getan, daß derartige Zusammenhänge aus dem Blickfeld geraten: soweit nämlich die Strafe nicht den Verurteilten, sondern seine Angehörigen betrifft, ist ja nicht die Justiz, sondern sind die Sozial-, Arbeits- und Jugendämter zuständig. Hier werden diese erfaßt und behandelt. Die Justizmaßnahme, die Verurteilung, ist hier wiederum nur Indikator und vorgegebenes Tatbestandsmerkmal für entsprechen-des fürsorgerisches Eingreifen. Mit dieser Aufteilung in Sozial- und Straffälle verschwindet für Staat und Öffentlichkeit weitgehend der Kausalzusammenhang zwischen beiden, gerät in Vergessenheit, daß beides Ergebnis eines staatlichen Handelns ist, erlischt die Verantwortlichkeit und der Legitimierungszwang für die Justiz [6].
Aber soweit die kärglichen statistischen Angaben überhaupt hierzu etwas aussagen, wird doch klar, daß es sich hier nicht um ein Marginalproblem handelt, um atypische Einzelfälle:
Im Jahr 1975 waren immerhin von insgesamt 28.090 männlichen, erwachsenen Gefangenen, die eine Freiheitsstrafe verbüßten oder in Sicherungsverwahrung waren, 23,7% verheiratet, 25,2% geschieden, 1,5% verwitwet. Also gut die Hälfte aller Gefangenen hat oder hatte entsprechende familiäre Bindungen (hierbei ist ja gerade zu berücksichtigen, daß die Scheidung oft erst Ergebnis der Freiheitsstrafe ist und daß ca. 80% der männlichen Strafgefangenen vorbestraft sind!). Bei der kleinen Gruppe von erwachsenen Frauen liegen die Zahlen noch höher: von 750 Frauen sind 34,8% verheiratet, 28,9% geschieden, 8,4% verwitwet.
Denkt man noch daran, daß im Jahr 1975 insgesamt 63 747 Personen zum Antritt einer Kriminalstrafe in eine Anstalt eingewiesen wurden und daß im gleichen Jahr von den bundesdeutschen Gerichten ca. 90 000 Freiheitsstrafen an Erwachsenen rechtskräftig verhängt wurden, so wird klar, daß die wissenschaftliche und aber vor allem auch rechtliche Vernachlässigung in keinem Verhältnis zur wirklichen Bedeutung der aufgezeigten Probleme steht [7].
Auch das neue Strafvollzugsgesetz (StVollzG), das am 1. 1. 1977 inkraftgetreten ist (wenigstens zum größten Teil!) und die hundertjährige Demonstration staatlicher Reformunfähigkeit im Strafvollzugsbereich würdig abgeschlossen hat, gibt nur wenig Ansatzpunkte, um die genannten Konfliktbereiche für die Familie zu mildern. Da am Grundsatz der Isolierung festgehalten wurde, auch wenn es im § 10 StVollzG so klingt, als ob der „offene Vollzug” die Regel und der „geschlossene” die Ausnahme sei, wird man durch die weiteren Detailregelungen und vor allem durch die unberührte Praxis der Landesjustizverwaltungen rasch wieder auf vertrauten Knastboden geführt. Es kann also nur versucht werden, durch „Lockerungen” der Isolation die Folgen wieder abzumildern.

Reform­be­dürf­tige Entlohnung

Ein Grundproblem der Familie hängt ja unmittelbar mit der ökonomischen Situation und damit mit
der Arbeitsmöglichkeit und Arbeitsentlohnung von Gefangenen zusammen. So war in der Reformdiskussion immer wieder verlangt worden, daß die Gefangenen eine tarifmäßige Bezahlung für ihre Arbeit erhalten, um somit den Familien-unterhalt (neben Entschädigungsleistungen, Gerichtskosten und Haftkosten) zu gewährleisten. Zwar wurde im § 43 StVollzG nunmehr ein Rechtsanspruch auf Entlohnung für den Gefangenen begründet, jedoch hat man bei einem wesentlichen Merkmal dieser Entlohnung, nämlich bei ihrer Höhe, vorerst alle Reform aufgeschoben: bis zum Ende des Jahres 1980 erhalten die Gefangenen für volle Arbeitsleistung bei voller Arbeitszeit nur einen Bruchteil eines „normalen Lohnes“ [8]. Nach der derzeitigen Bemessungs- und Berechnungsgrundlage liegt dieser Entgelt je nach Vergütungsstufe zwischen 3,27 DM und 4,45 DM pro Arbeitstag, was einem Stundenlohn zwischen 47 Pfennig und 78 Pfennig entspricht! Dieses „Entgelt” teilt sich dann auf in Hausgeld (hiervon muß der notwendige monatliche Einkauf, Zeitungen, Porto etc. bestritten werden) und Überbrückungsgeld, eine Art Sparstrumpf für den Weg in die Freiheit. Die übrigen Ziele der Reform wurden somit auf Betreiben aller Länder, die auf ihre Haushaltskassen sahen, hintangestellt. Man hat es noch nicht einmal für nötig befunden, die wenigstens schrittweise Steigerung des Entgelts gesetzlich festzulegen. § 200 II bestimmt lediglich, daß über „eine Erhöhung erneut befunden” werden muß. Da eine Sanierung der öffentlichen Haushalte nicht absehbar ist, andererseits man sich auch nicht zu dem Selbstverständlichen durchringen kann, daß der Gefangene von dem jeweiligen (privaten oder justizeigenen) Unternehmen den Gegenwert für seine geleistete Arbeit direkt erhält, dieser also erst ins allgemeine Staatssäckel fließt und verschwindet, und da weiterhin bei der Wirtschaftspolitik der Unternehmen nicht zu erwarten ist, daß diese von sich aus ein gesteigertes Interesse an verteuerter Gefangenenarbeit entwickeln, wird es wohl weitgehend bei der ausbeuterischen Zwangsarbeit im Gefängnis bleiben.

Familiäre Kommu­ni­ka­tion und sexuelle Entfaltung

Betrachtet man den nächsten großen Problembereich, die familiäre, eheliche Kommunikation, so sieht es hier nicht wesentlich besser aus.
Trotz der Betonung der „Behandlung” gegenüber bloßer Verwahrung und trotz des Vordringens psychiatrischen und psychoanalytischen Denkens bei der Planung dieser Maßnahmen zur Behandlung, stellt man sich in einem Punkt weitgehend taub und blind: die normale Entfaltung der Sexualität ist im Strafvollzug nach wie vor unterbunden. Zwar wird seit Entstehung der Psychoanalyse immer wieder beschrieben, wie Störungen in der sexuellen Entwicklung und Entfaltung die Ursachen für neurotisches Verhalten legen, zwar wurde auch von einzelnen Personen und Institutionen im Laufe der letzten Jahre gefordert, hier Möglichkeiten (Wochenendpavillons für die Partner, Besuchszellen ohne Überwachungsmöglichkeiten etc.) zu schaffen: der Gesetzgeber hat es jedoch vermieden, eine positive Regelung zu treffen. Zwar wird grundsätzlich der Verkehr mit Angehörigen und überhaupt mit Außenstehenden gewährleistet ( § 23 StVollzG) und ein sogenannter „Intimbesuch”, wie es in der ach so menschlichen Justizsprache heißt, nicht ausgeschlossen, jedoch wird durch Einräumung eines großzügigen Ermessensspielraumes für die Verwaltung im Rahmen der Regelung durch Hausordnungen (!) und durch die Verwendung schwammiger und restriktiver Generalklauseln wie „Gefährdung von Sicherheit und Ordnung” der herkömmlichen Praxis ihre Bestandskraft gelassen.
Und die Justizverwaltungen haben bereits in ihren Verwaltungsvorschriften und Allgemeinverfügungen von diesem Ermessen bisher unbeanstandet entsprechend restriktiven Gebrauch gemacht: In der Regelung von Rheinland-Pfalz heißt es z.B., daß der Besuch in der Regel überwacht wird und nur in Ausnahmefällen hiervon abgesehen werden kann [10]. Hier ist das gesetzliche Verhältnis von Regel und Ausnahme bereits auf den Kopf gestellt. Ergibt sich aus dem Strafvollzugsgesetz, daß der Besuch nur bei bestimmten Voraussetzungen überwacht werden soll, sonst aber nicht, so wird hier bestimmt, daß nur bei bestimmten Voraussetzungen nicht überwacht werden soll.
Da grundsätzlich die Rechte des Gefangenen auf sexuelle Entfaltung und psychische Gesundheit, wie sie aus Art 2 und im Hinblick auf die Ehe aus Art 6 1 GG herrühren, durch das StVollzG nicht eingeschränkt worden sind und sich dies auch nicht als notwendige Folge anderer Grundrechtseinschränkung ergibt, kann nicht die Justizverwaltung in eigener Machtvollkommenheit hierüber negativ befinden. Es wird eine konsequente Rechtsverfolgung durch Gefangene und durch die ebenfalls in ihren Rechten verletzten Ehepartner nötig sein, um die mögliche Humanisierung, die mögliche Durchbrechung der Isolation zu erreichen!
Von gesetzgeberischer Seite hoffte man, daß das Problem des leidigen Sexualtriebes vielleicht durch die weitgehende Urlaubsregelung, durch Möglichkeiten des Ausgangs etc. aus der Anstalt herausgehalten werden kann. So sind bis zu 21 Tagen Urlaub aus der Anstalt (§13 StVollzG) gesetzlich möglich. Ebenfalls möglich sind z.B. Ausgänge am Wochenende, möglich wären auch Kontakte bei einem freien Beschäftigungsverhältnis außerhalb der Anstalt (Freigang) und möglich wäre auch eine entsprechende Ausgestaltung des offenen Vollzugs. Aber auch hier wurde von den Länderverwaltungen bereits der eingeräumte Ermessensspielraum entsprechend genutzt: in den bundeseinheitlichen Verwaltungsvorschriften zum StVollzG stellte man — wie oben beim Besuch — wieder Regeln für die Ungeeignetheit zum Urlaub auf, die darauf hinauslaufen, daß die Urlaubsgewährung die Ausnahme, die besonders geprüft werden muß, bleibt. Sollte der Urlaub eigentlich dazu dienen, die Folgen für das soziale Leben bei langen Freiheitsstrafen zu mildern, so haben die Länderverwaltungen es verstanden, diesen zum Quasi-Entlassungsurlaub umzufunktionieren, indem sie verfügten, daß u.a. alle ungeeignet sind, die sich im geschlossenen Vollzug befinden (und das sind ja die meisten) und noch mehr als 1 1/2 Jahre zu verbüßen haben, wobei auf die zugrundegelegte Strafzeit noch nicht einmal die verbüßte U-Haft angerechnet wird [11]!
Auch hier bleibt es den Gefangenen und ihren Angehörigen überlassen, konsequent ihre Rechte durchzufechten!

Reform­be­mü­hungen wider Verwal­tungs­praxis

Diese beiden Beispiele zeigen, daß mit der gesetzgeberischen „Vollzugsreform” die angesprochenen Probleme der Angehörigen kaum aufgehoben worden sind und eine baldige Änderung auch nicht zu erwarten ist.
Im Gegenteil, Terroristenbekämpfung einerseits und bevorstehende Wahlen andererseits haben die Forderungen nach Abschaffung der Freiheitsstrafe weitgehend in die linksverdächtige, staatsfeindliche oder zumindest völlig utopische Ecke gedrängt, obwohl diese Forderung bald so alt wie die Freiheitsstrafe selbst ist und auch wirklich kein vernünftiges Argument, am allerwenigsten die Ziffern der Strafvollzugsstatistik (Rückfälligkeit) selbst, für deren Funktion und Sinn sprechen. Selbst mögliche schrittweise Lockerungen und Reformen werden immer unter dem Verdikt der Gefährdung von Sicherheit und Ordnung und
unter der Einschränkung knapper Mittel für den Strafvollzug stehen, wie es das Schicksal bestehen-der und geplanter sozialtherapeutischer Anstalten und die Reaktionen auf liberale Versuche in einzelnen Anstalten zeigen.
Es bleibt nur ein mühseliger bürokratischer und juristischer Kleinkrieg der Betroffenen, der beteiligten Sozialarbeiter, Betreuer und Rechtsanwälte, um hier wenigstens stückchenweise Reform gegen zähe Verwaltungspraxis durchzusetzen.
Weiterhin bleibt für die Angehörigen selbst die Notwendigkeit, ihre Hilflosigkeit und Ausgeliefertheit durch Selbstorganisation und Solidarität zu überwinden. Die auf sich gestellte Kleinfamilie als reine Konsumgemeinschaft muß zerbrechen, wenn ihr die ökonomische Basis entzogen wird. Hier ist ein neuer Bereich von Gemeinwesenarbeit eröffnet, die tragfähige Formen des Zusammenlebens und Zusammenwirtschaftens entwickeln muß, damit derartige Belastungen aufgefangen werden können.

Verweise

1 Zur weiteren Information sei auf die in letzter Zeit erschienenen Darstellungen und Untersuchungen verwiesen: Ortner/ Wetter, Gefängnis und Familie, Berlin 1975; Angelika Mechtel, Ein Plädoyer für uns. Frauen und Mütter von Strafgefangenen berichten, Percha a Starnberger See 1975; Sönke Sela, Die Auswirkungen der Freiheitsstrafe auf die Familien der Gefangenen, Dissertation, lfd, Seminar f Strafrecht und Kriminologie der Universität Hamburg; Koepsel, ZS für Strafvollzug und Straffälligenhilfe, 1976, 125; sowie weitere Berichte in STERN, Konkret, ZDF. Siehe auch unseren Beitrag in Vorgänge 18 (6/1975): „Die Familie wird mitbestraft oder: Sippenhaft in der BRD?”
2 So die frühere Rechtsprechung z.B. OLG Celle FamRZ 1961, 119; OLG Hannover FamRZ 1968, 387.
3 Diese richterliche Herstellung“ seines Gegenstandes wurde speziell im Rahmen des kriminologischen Ansatzes des „labeling approach” in den letzten Jahren auch in Deutschland thematisiert. Vgl Kriminologisches Journal 1/1972 und die folgenden Ausgaben.
4 Nicht nur zwischen den früheren Bezügen des Angeklagten wird soziale Kommunikation beendet, sondern ja auch zwischen Opfer und Täter wird von der Justiz ein möglicher sozialer Kontakt zugunsten des Verhandlungsrituals aufgehoben. Dieser kommunikationsverhindernde Effekt der Justiz zwischen Täter und Opfer ist bisher kaum beachtet worden, erscheint uns aber für die gesellschaftliche Lösung von Konflikten sehr bedeutsam.
5 Vgl hier wieder die Untersuchungen über Zuschreibungsprozesse und Etikettierungen durch die sozialen Kontrollinstanzen, veröffentlicht in den Ausgaben des Kriminologischen Journals.
6 Ein gewisser Zusammenhang entsteht dann als Berufsproblem wieder für den Sozialarbeiter, der als Justizangehöriger oder zumindest -mitarbeiter gleichzeitig auch diese soziale Seite bearbeiten muß.
7 Quelle: Statistisches Bundesamt Wiesbaden, Fachserie A Rechtspflege, Reihe 1 Ausgewählte Zahlen, 1975.
8 Grundlage der Berechnung des Entgeltes ist nicht eine tarifliche Bewertung, sondern eine allgemeine Eckvergütung, die z.Z. 5% des durchschnittlichen Arbeitsentgeltes aller Versicherten der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten ohne Auszubildende des vorvergangenen Kalenderjahrs ( § 200 I StVollzG). Wie man sieht, wird der Gefangene in der Regel auch mit der Inflationsrate belastet sein. Von dieser Eckvergütung stehen dem Gefangenen mindestens 75% zu. Das Nähere ist in der VO über Vergütungsstufen des Arbeitsentgelts und der Ausbildungsbeihilfe nach StVollzG (StVollz-VergO) v. 11.1.1977 (BGBI I S 57) geregelt.
9 So z.B. der Justizminister von Nordrhein-Westfalen im Jahr 1974, auch der frühere Hamburger Justizsenator Seeler stellte entsprechende Erwägungen an. Vgl auch die entsprechende Kommentierung in Callies, Müller-Dietz, Strafvollzugsgesetz, § 27 RdNr. 8.
10 Vgl AV v 20.1.1977, Justizblatt v Rheinland-Pfalz 1977, S 51.
11 Vgl Verwaltungsvorschriften zum Strafvollzugsgesetz, in Kraft getreten am 1.1. 1977 und in den jeweiligen Amtsblättem der Länder veröffentlicht; vgl AV v 10.12.1976, Justizblatt v Rheinland-Pfalz, 1976, S 288.

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