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Der britische Sex-Dis­cri­mi­na­ti­o­n-Act von 1975 und seine Wirkungen

vorgängevorgänge 2910/1977Seite 19-22

Zum ersten Bericht der Equal-Opportunities-Commission

aus: vorgänge Nr. 29 (Heft 5/1977), S. 19-22

Seit Anfang 1976 gilt in Großbritannien ein neues Gleichberechtigungsgesetz, der Sex-Discrimination-Act.
Jede Benachteiligung aufgrund des Geschlechts oder des Familienstandes ist seitdem in England verboten. Die Durchführung des Gesetzes wird von der Equal-Opportunities-Commission (etwa: Kommission für Chancengleichheit) überwacht und in hartnäckigen Diskriminierungsfällen auch erzwungen. Diese Kommission, der momentan 100 Mitarbeiter angehören (geplant sind bis 1978 acht regionale Außenstellen und ein Mitarbeiterstab von 400 Leuten), hat jetzt einen Rechenschaftsbericht über das erste Jahr ihrer Tätigkeit vorgelegt.
Die Benachteiligung aufgrund des Geschlechts betrifft weitgehend Frauen, aber nicht nur: von den über 8000 Fällen, die die Kommission in diesem ersten Jahr bearbeitet hat, kamen etwa ein Viertel der Klagen von Männerseite. Zum Beispiel: Männerfall Nr. 1: Steve Turner, Birmingham, verklagte einen Pub, weil er den Posten als „Barmaid” mangels Busen nicht bekam. Vor Gericht bekam er 50 Pfund Schmerzensgeld für „verletzte Gefühle” zugesprochen. Männerfall Nr. 2: Ein Arbeiter beschwert sich, daß die Frauen in seinem Betrieb – zum Einkaufen – fünf Minuten früher mit der Arbeit aufhören durften. Er bekam Recht, und Männer dürfen nun auch früher gehen.

Zur Praxis der Kommission

Ihr Ziel, mehr Chancengleichheit, verfolgt die Kommission auf verschiedenen Wegen:

Rat und Hilfe: Wer sich aufgrund seines Geschlechts benachteiligt fühlt, wendet sich an die Kommission. Hier erhält er juristischen Rat und vielleicht auch Hilfe vor Gericht. Zu diesem Zweck hat die Kommission einen Fragebogen entwickelt, mit dem der oder die Betroffene den Arbeitgeber befragen kann. Die Antworten des Beschuldigten gelten vor Gericht als Beweismittel. Der Arbeitgeber (oder wer sonst beschuldigt wird zu diskriminieren) kann zwar die Beantwortung der Fragen verweigern, muß aber damit rechnen, daß dies gegen ihn und für einen Fall von Diskriminierung spricht.

Verhandlungen: Wenn möglich, verhandelt die Kommission direkt mit den betroffenen Firmen oder Organisationen und kann, indem sie für die Abschaffung diskriminierender Praktiken sorgt, viele Fälle von Diskriminierung gleichzeitig beseitigen. Fall: In wirtschaftlich unterentwickelten Gebieten Englands wurden den Arbeitgebern vom Staat Prämien für jeden Beschäftigten gezahlt: 1,50 Pfund für eine Frau, 3 Pfund für einen Mann. Diese Diskriminierung wurde durch ein Gespräch der Kommission mit dem Wirtschaftsministerium beendet.

Politische Entscheidungshilfen: Politische Entscheidungen werden von der Kommission vorbereitet. So hat sie etwa zur Frage des unterschiedlichen Rentenalters von Mann und Frau Lösungsvorschläge von vier verschiedenen Experten veröffentlicht und die damit verbundenen Kosten errechnet. Dadurch wurde eine öffentliche Diskussion dieses Problems erst möglich.

Forschung: Positive Aktionen zur größeren Chancengleichheit und neue Strategien in dieser Richtung werden von der Kommission gefördert. Sie initiiert und unterstützt Forschungsarbeit auf diesem Gebiet.

Gleichberechtigungsforschung

Einige Forschungsprojekte werden schon jetzt von der Kommission selbst durchgeführt oder sind von ihr in Auftrag gegeben – es sollen noch mehr werden. Die Auswirkungen von Niedriglöhnen, besonders bei Frauen, sollen untersucht werden; ein Problem, das sich auch in der Bundesrepublik nicht durch das Verbot von Leichtlohngruppen hat lösen lassen.
Das Thema Steuern und Gleichberechtigung soll ebenso untersucht werden wie das Problem Renten, und beide Probleme sollen später nach dem Willen der Kommission in das Gesetz eingearbeitet werden. Ebenso sollen die bisher ausgesparte Frage der geschiedenen Frauen, die Frage der Einwanderung und der Staatsangehörigkeit möglichst bald in das Gesetz aufgenommen werden.

Die vielen Ausnahmen vom Gesetz

Das englische Gesetz kennt viele — zu viele, wie ich meine — Ausnahmen (Warum dürfen z.B. Männer in England nicht Hebamme werden?). Eine der großen Ausnahmen ist die „Verteidigung der Nation” — beim englischen Militär hat Gleichberechtigung keine Chance. Eine weitere sicher von allen akzeptierte Ausnahme sind die Schwangerschaftsschutzgesetze. Männer oder nicht schwangere Frauen können hier nicht etwa auf Gleichbehandlung klagen.
Ungeklärt ist aber bisher noch das Problem aller anderen Schutzbestimmungen. Bisher genießen Jugendliche und Frauen Sonderschutz: keine Nachtarbeit, mehr Pausen, Wochenstundenbegrenzung, Traglastenbegrenzung, weniger Strahlenbelastung. Abgesehen davon, daß Männer sich diskriminiert fühlen und gleichen Schutz verlangen könnten, sind manche Schutzbestimmungen tatsächlich karrierehemmend, so etwa das Überstundenverbot durch Wochenstundenbegrenzung.
Die Kommission hat einen Forschungsauftrag über Schutzgesetze erteilt und will bis Ende 1978 Empfehlungen für eine gesetzliche Regelung vorlegen. Man darf gespannt sein, ob sich in England das amerikanische Prinzip durchsetzt: Vorrechte einer Gruppe können, einmal gewährt, der Gruppe nicht mehr genommen werden, sie können höchstens auf alle ausgedehnt werden.

Der Bericht der Chancen­gleich­heits­kom­mis­sion

Analog zum Text des englischen Anti-Diskriminierungs-Gesetzes ist auch der Bericht der Kommission in vier Abschnitte gegliedert: Arbeit, Güter- und Dienstleistung, Erziehung und Werbung.
Die Arbeit der Kommission war im ersten Jahr nicht nur durch die üblichen Aufbauschwierigkeiten einer so ungewöhnlichen Kommission beeinträchtigt, hinzu kam die miserable Wirtschaftslage Englands. Angesichts von Inflation und Arbeitslosigkeit zeigten sich die Arbeitgeber nur wenig ge neigt, sich nun auch noch um Gleichberechtigung zu kümmern.

Chancen­gleich­heit am Arbeits­platz

Etwa ein Drittel aller eingegangenen Beschwerden betraf Diskriminierung bei der Arbeit. Der Bericht Annemarie Rengers hat die Hartnäckigkeit dieser Benachteiligung kürzlich ja auch für die Bundesrepublik bestätigt. In Großbritannien läuft mithilfe der Kommission für Chancengleichheit gerade als umfangreichstes Verfahren eine Klage gegen die Firma Electrolux, die von über 200 Arbeiterinnen beschuldigt wird, Männer und Frauen in unter-schiedliche Lohngruppen einzustufen.
Aus der Fülle der Fälle seien hier zwei als Beispiele zitiert: Arbeitsfall Nr. 1: Ein Ehepaar arbeitet bei demselben Arbeitgeber. Für ihre — gleich lange — Teepause wird dem Mann eine halbe Stunde von der Arbeitszeit abgezogen, der Frau eine dreiviertel Stunde. Nach Intervention durch die Kommission bekommen nun beide eine halbe Stunde abgezogen. Arbeitsfall Nr. 2: Bei einer Einsparungsmaßnahme hat die Firma die Wahl zwischen einem Mann und einer Frau. Der Frau wird daraufhin eine niedrigere Stelle angeboten. Es war klar, daß zwischen der Arbeit beider kein Unterschied bestand und daß die Frau schon länger bei dieser Firma arbeitete. Es half der Firma wenig, daß sie sich darauf berief, der Mann sei älter und verheiratet, das Gericht entschied: ein klarer Fall von Geschlechtsdiskriminierung. Die Frau erhielt außer der Entschädigung auch ein Schmerzensgeld für „verletzte Gefühle” in Höhe von 500 Pfund. Das Gesetz verbietet aber nicht nur derart offenkundige und direkte Diskriminierung, auch indirekte Diskriminierung ist nicht erlaubt.
Indirekte Diskriminierung bedeutet, daß zwar die Bedingungen für eine Stelle gleichermaßen für Mann und Frau gelten, daß diese Bedingungen aber so gestellt sind, daß sie von fast allen Männern erfüllt werden können, aber nur von ganz wenigen Frauen.
Folgendes Beispiel ist ein Fall von indirekter Diskriminierung: Mrs. Price, Mitte 30, bewirbt sich um eine Staatsdienststelle. Da die Altersgrenze für diese Stelle 28 Jahre ist, wird sie abgelehnt. Diese Begrenzung trifft fast ausschließlich Frauen, da nur sie durch Kindererziehung am rechtzeitigen Eintritt in den Staatsdienst gehindert werden. In diesem Fall hat jetzt die Kommission die Vertretung vor Gericht übernommen, weil es sich um eine Grundsatzentscheidung handelt. In der Bundesrepublik besteht bei den Altersgrenzen für Beamte eine ebensolche indirekte Diskriminierung.

Güter- und Dienst­leis­tungen

Erfolgreicher als auf dem Gebiet der gleichen Bezahlung war die Kommission auf dem Sektor „Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen”. Darunter versteht das englische Gesetz unter anderem den Zutritt zu Clubs, Restaurants, öffentlichen Einrichtungen, zur medizinischen Versorgung, zum Transport (Verkehr) usw.
Verhandlungen mit Ministerien und Kommunalverwaltungen haben dazu geführt, daß Frauen jetzt Zutritt zu allen Sport- und Freizeiteinrichtungen haben. Baugesellschaften haben nach vermittelnden Gesprächen mit der Kommission ihre diskriminierenden Bedingungen bei Miete und Kauf von Wohnungen oder Häusern aufgegeben.
Bisher war es in England üblich, daß Ehefrauen bei der Eröffnung eines eigenen Kontos nach Beruf und Einkommen des Ehemannes gefragt wurden. Die Kommission erkundigte sich bei den Banken, ob etwa auch Ehemänner nach Beruf und Einkommen ihrer Frauen gefragt werden — sie wurden es natürlich nicht —, und in Zukunft werden auch Frauen danach nicht mehr gefragt. Verhandlungen mit den Banken haben dazu geführt, daß von nun an bei Kreditvergabe und Versicherungen Männer und Frauen gleich behandelt werden (Krankenversicherungen und Lebensversicherungen gehören seltsamerweise zu den vom Gesetz genehmigten Ausnahmen). Last not least hat die Arbeit der Kommission aber dazu geführt, daß in einem bestimmten Billard-Salon jetzt auch Frauen Billard spielen dürfen.

Erziehung und Bildung

Erstaunlicherweise erhielt die Kommission fast keine Beschwerden auf dem Gebiet von Erziehung und Bildung. Gibt es in Großbritannien hier wirklich keine Diskriminierung oder nimmt man sie, weil altgewohnt, als selbstverständlich hin? Die wenigen Fälle von Beschwerden stammten von Lehrern und betrafen ihren Beruf, waren also mehr Arbeits- als Erziehungsfragen. Ein typisches Beispiel: Ein Lehrer bewirbt sich um eine Stelle im Mädchen-Internat und wird aufgrund seines Geschlechts abgelehnt. Die Untersuchung der Beschwerde muß jetzt klären, inwieweit die vorgesehene Arbeit hauptsächlich im Unterrichten besteht (hier darf sein Geschlecht kein Hindernis sein), wie weit er aber verpflichtet sein würde, in den Schlafsälen Aufsicht zu führen. Bei „Verstoß gegen die guten Sitten” genehmigt das Gesetz
Ausnahmen, aber auch nur, wenn nicht genügend Personal des anderen Geschlechts vorhanden ist, um diesen Teil der Pflichten zu übernehmen. Es muß also geprüft werden, ob nicht genügend Lehrerinnen für die Aufsicht vorhanden sind. Der Fall ist noch nicht entschieden.

Inserate und Werbung

30 Prozent aller Beschwerden waren überraschenderweise Klagen über diskriminierende Inserate. Diese Tatsache wird verständlicher, wenn man bedenkt, daß hier wie auf keinem anderen Gebiet Diskriminierung wirklich in aller Öffentlichkeit stattfindet. Diskriminierende Arbeitsbedingungen sind nur den Betroffenen bekannt, Inserate aber werden von Tausenden gelesen.
Für das Gebiet der Inserate ist die Kommission laut Gesetz die einzig zuständige Institution. Sie will ihre Befugnisse aber vorzugsweise konstruktiv oder zumindest verhindernd und möglichst nicht vor Gericht klagend wahrnehmen. Viele Verhandlungen mit Werbefirmen und Zeitungsgesellschaften haben dazu geführt, daß die verbotenen Bezeichnungen wie Kaufmann und Putzfrau aus den Stellenannoncen verschwunden sind. Anstelle von „man” oder „woman” bietet sich im Englischen das neutrale „person” an. Vor lauter Diskriminierung um sie herum scheint aber die Kommission sich selbst bei ihren Bemühungen vergessen zu haben: Der Bericht der Kommission ist am Schluß von seiner Vorsitzenden unterzeichnet: Betty Lockwood, Chairman.

Fazit

Fast alle Diskriminierungsfälle, die im Bericht der Kommission behandelt werden, sind auch in der Bundesrepublik an der Tagesordnung, und unser im Grundgesetz deklamatorisch verankertes Recht auf Gleichberechtigung hilft uns da wenig. Momentan wäre die einzig mögliche Antwort auf Geschlechtsdiskriminierung eine Verfassungsklage, und dieses Instrument ist für den Diskriminierten viel zu aufwendig und umständlich. Die Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union fordert deshalb ein Anti-Diskriminierungs-Gesetz für die Bundesrepublik.
In einem solchen Ausführungsgesetz zu Art 3 GG sollten die verschiedenen Diskriminierungstatbestände beim Namen genannt und verboten werden. Eine entsprechende Kommission müßte die Einhaltung des Gesetzes überwachen und jedem zu seinem Recht verhelfen, der aufgrund seines Geschlechts diskriminiert wird. Die Humanistische Union wird auf einer Tagung im November 1977 einen Entwurf für ein solches Anti-Diskriminierungs-Gesetz erarbeiten.
Ein besonders krasses Beispiel für direkte Diskriminierung ist der Stellenmarkt in deutschen Tageszeitungen. Weder Herausgeber noch annoncierende Firmen und die meisten Zeitungsleser scheinen sich über das Ausmaß der hier praktizierten Diskriminierung klar zu sein. Samstag für Samstag wird die Einteilung in Stellen „männlich” und Stellen „weiblich” gleichmütig hingenommen. Ob es wohl ebenso gleichmütig aufgenommen würde, wenn plötzlich die offenen Stellen ebenso diskriminierend eingeteilt wären in Stellen für Weiße und Stellen für Schwarze?

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