Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 171/172: Die Zukunft der Linken

Und der Zukunft zugewandt...?

Die Linkspartei . PDS nach der Bundestagswahl 2005

aus: Vorgänge Nr. 171/172 ( Heft 3/4/2005 ), S.40-44

Niemand weiß, ob Gregor Gysi und Oskar Lafontaine gemeinsam einen Dankesbrief an Gerhard Schröder geschrieben haben, denn ohne dessen spezielle Art und Weise, die Agenda 2010 zu initiieren und zu kommunizieren, wären sowohl das Ausmaß der Verunsicherung in der SPD als auch das der öffentlichen Proteste insbesondere in den ostdeutschen Städten geringer geblieben. So lieferte der Kanzler die Hefe, die zur Gründung von zwei Initiativen führte, die sich bald zur Wahlalternative Arbeit&Soziale Gerechtigkeit (WASG) zusammenschlossen. Die Niederlage der SPD bei der Landtagswahl in NRW im Mai 2005 deprimierte den Kanzler dann so sehr, dass er beschloss, die Wähler vorzeitig über seine weitere politische Laufbahn entscheiden zu lassen. Das Ergebnis ist hinlänglich bekannt.

In der PDS, die sich seit der Niederlage bei der Bundestagswahl 2002 intern mühselig stabilisiert hatte – unter anderem wurden ein ehemaliger Vorsitzender, Lothar Bisky, wie-der gewählt und endlich ein neues Programm verabschiedet —, hatten Wahlerfolge bei ostdeutschen Landtagswahlen und bei der Europawahl 2004 die Hoffnung genährt, 2006 wieder in den Bundestag einziehen zu können. Sicher war sich dessen allerdings niemand. Die Überzeugung war weit verbreitet, dass ein neuer Misserfolg das endgültige Ende aller Pläne einer Westausdehnung der PDS bedeuten würde. Dieses Dilemma hatte sich schon in den vorangegangenen Jahren gezeigt, als die PDS in der vielfältigen linken Szene Westdeutschlands nur sehr bedingt Respekt und Zustimmung finden konnte. Oft waren es ihre Ressourcen, die manche Aktivisten zum Andocken veranlassten, aber ein attraktives politisches Angebot für den Westen konnte sie nicht unterbreiteten.

Deshalb wurde die alte – und nie wirklich gestorbene – Idee einer neuen linken Partei, die erstmals im Frühjahr 1990 in einer Kreuzberger Küche unter Beteiligung von Gregor Gysi diskutiert wurde, revitalisiert. Bereits vor der Bundestagswahl 2002 war ein Angebot aus der PDS an Oskar Lafontaine ergangen, doch der lehnte damals ab. Als er jedoch in der Situation des späten Frühjahrs 2005, in der die Entscheidung zur Neuwahl die Hoffnungen linker Flügelleute in der SPD und in den Gewerkschaften nährte,wieder politischen Einfluss gewinnen zu können, erneut gefragt wurde, stimmte Lafontaine zu und wurde Spitzenkandidat der WASG.

Es folgte ein komplizierter und noch längst nicht abgeschlossener Prozess der Annäherung der so ungleichen Partner WASG und PDS. Die nannten sich nun Linkspartei.PDS, durchaus irritierend für jene, die darin den Anspruch auf Vertretung aller Linken sehen wollten, und auch für andere, die den Verlust der sozialistischen — und von ihnen als zentral betrachteten – Identität der PDS befürchteten. Verabredet wurden zwei Verfahren: Einmal versprach die PDS, dass sie auf ihren Landeslisten Kandidaten der WASG Plätze einräumen wollte; das wurde im Wesentlichen erfolgreich zentral durch eine gemeinsam beschickte „Elefantenrunde” organisiert. Zum anderen sollte nach der Bundestagswahl ein Fusionsprozess mit dem Ziel eingeleitet werden, eine neue gesamt deutsche linke Partei zu etablieren.

Die Partei, die es noch nicht gibt

Die Verabredungen und der Wahlkampf ließen viele glauben, es gäbe diese Partei bereits; das ist eine Erklärung für die spürbare Verbesserung des Ergebnisses der PDS in Westdeutschland gegenüber 2002: plus 3,8 Prozentpunkte oder über 1,4 Millionen Zweitstimmen mehr. Im Osten war es ein Plus von 8,4 Prozentpunkten bzw, von rund 770.000 Stimmen; einen größeren Teil davon hätte die PDS allerdings unter den veränderten politischen Rahmenbedingungen auch allein mobilisieren können. Denn die Ursachen dieses Erfolgs liegen eindeutig in der Politik der bis dato regierenden rot-grünen Koalition. Ihre Parteien verloren rund 1,3 Millionen Wählerinnen an die Linkspartei.PDS, die zudem noch ca. 430.000 Stimmen aus dem Nichtwählerbereich gewinnen konnte, darunter etliche, die 2002 nicht mehr rot oder grün gewählt hatten, sondern zu Hause geblieben waren. Seitdem die Bundestagsfraktion sich – unter der faktischen Führung von Oskar Lafontaine – konstituiert hat und sich „Die Linke” nennt, wird sie als parlamentarische Repräsentation einer neuen Linkspartei betrachtet, obwohl es diese Partei noch gar nicht gibt. Der Parteibildungsprozess soll, wie es Anfang Dezember 2005 in einer Rahmenvereinbarung zwischen WASG und LP.PDS festgelegt und da-nach mit Mühe vom Parteitag bestätigt wurde, bis zum Sommer 2007 abgeschlossen werden. Linkspartei.PDS und WASG wären erst dann wirklich vereinigt.

Diese Gewissheit, dass es so kommen wird, basiert auf der Annahme, dass die Gemeinsamkeiten das Trennende überwiegen und dass die innerparteilichen Widerstände in der WASG überwunden werden können. Denn in letzter Zeit wird die öffentliche Wahrnehmung sowohl von Kontroversen in einzelnen Landesverbänden der WASG wie auch von mehr als nur symbolisch gemeinten Gesten aus der PDS bestimmt. Während die letzteren signalisieren, man werde widerspenstige Positionen aus der WASG nicht akzeptieren und mit Liebes- wie mit Geldentzug bestrafen, lassen erstere die Möglichkeit des politischen Scheiterns aufscheinen. Dahinter steht die Befürchtung, dass die Linkspartei.PDS keine neue linke Partei wird, sondern lediglich das Projekt Westausdehnung der PDS auf Kosten der WASG betreibt. Größte Streitpunkte sind momentan die Regierungsbeteiligungen der PDS in Berlin und in Mecklenburg-Vorpommern sowie die Politik von PDS-Politikern in Kommunen. Ein Flügel der WASG bewertet die von der PDS mit betriebene Privatisierung von Wohnungsbaugesellschaften oder von kommunalen Betrieben, von Kindertagesstätten und Gesundheitseinrichtungen sowie tarifpolitische Entscheidungen, die zu reduzierten Einkommen und zu Arbeitszeitverlängerungen im öffentlichen Dienst führen, als neoliberal und deshalb mit linker Politik unvereinbar. Der Parteibildungsprozess ist für diese Gruppen nichts anderes als eine Übernahme der WASG durch die PDS unter Duldung der WASG-Führung. Sie wollen die Verhandlungen erst fortsetzen, wenn die Regierungsbeteiligungen der PDS beendet werden oder ein deutlicher Politikwechsel eingeleitet würde.

Wenn, wie im späten Herbst 2005 in Berlin geschehen, eine kleine systemoppositionelle Partei, begünstigt durch das Institut der Doppelmitgliedschaft, die Führung des Landesverbandes der WASG übernehmen kann, dann spricht vieles dafür, dass die Auseinandersetzung um das Zustandekommen der gemeinsamen linken Partei vor allem von taktischen Interessen bestimmt wird und dass sich — die PDS hat das ebenso erfahren können — hinter ideologischen Konflikten handfeste Auseinandersetzungen um Posten in der künftigen Organisation verbergen. Andererseits offenbaren sich darin zugleich Probleme der Definition dessen, was linke Politik als Gegenentwurf zur geschmähten neoliberalen Politik auf nationaler sowie auf internationaler, insbesondere der europäischen Ebene, sein kann. Damit werden Fragen nach der politischen wie programmatischen Strategien aufgeworfen, die von den Akteuren verfolgt werden.

Wofür die Flügel stehen

Die Linkspartei.PDS tritt ideologisch weitgehend einheitlich auf, verweist auf ihr 2003 verabschiedetes Programm und verdeckt innerparteiliche Kontroversen in programmatischen wie politischen und personalen (es gibt einen handfesten Generationenkonflikt) Angelegenheiten auch mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit, den Parteibildungsprozess erfolgreich abzuschließen. Sie setzt auf die Fortsetzung ihrer bisherigen Strategie und erhofft sich einen Platz im politischen Spektrum links von der SPD und den Bündnisgrünen. Die Annahme, dass sich ähnlich wie in anderen nord- und westeuropäischen Ländern in Folge der abnehmenden Polarisierung in den Parteiensystemen auch in Deutschland eine Position auf der linken Seite des Parteiensystems besetzen ließe, ist nicht zwingend. Zum einen existieren in Deutschland in Folge der Nachkriegsgeschichte spezifische politisch-kulturelle Faktoren, zum anderen stellt sich im europäischen Vergleich schnell heraus, dass die dortigen linken Parteien unter anderen Voraussetzungen und historischen Bedingungen agierten und agieren. Die neue linke Formation müsste unter anderem ihr Verhältnis zu den kommunistischen und postkommunistischen Parteien bestimmen, mit denen die PDS im Rahmen der neuen Europäischen Linke (EL) kooperiert. Wenn es zudem richtig ist, dass das Wahlergebnis 2005 wesentlich durch den Protest gegen die rot-grüne Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik bestimmt ist, dann ist nicht sicher, dass die 2005 gefundene Unterstützung auch bei der nächsten Wahl noch gegeben ist. Die Linie der SPD in der Großen Koalition lässt jedoch Raum für Hoffnungen, bietet aber keine Gewissheit.

In der WASG dagegen streiten sich zwei — auch in der PDS beheimatete — Linien: fundamentale Systemopposition steht gegen grundsätzliche Systemakzeptanz. Dieser Widerspruch ist verknüpft mit unterschiedlichen politischen Biographien und Kulturen. Trotzkisten, orthodoxe wie dogmatische Marxisten sind in der WASG ebenso vertreten wie linkssozialdemokratische Gewerkschafter, libertäre Sozialisten und Ökologen. Die unterschiedliche Herkunft der beiden Initiativen, die sich zur WASG vereint haben, ist trotz mancher Verständigungen noch unübersehbar. Der anfänglich von oben nach unten verlaufende Gründungsprozess, der vor der eigentlichen Konsolidierung der WASG bereits in den Parteibildungsprozess einmündete, wird momentan stärker von der Basis her bestimmt. Dabei münden die nachgeholten Verständigungsprozesse unter den Bedingungen der angestrebten Parteibildung gelegentlich in Positionskämpfe und Beschlüsse, die den Wünschen der WASG-Führung entgegen stehen.

Die interne Trennung verläuft primär entlang der Frage, ob unter den herrschenden Bedingungen Systemopposition bereits eine produktive politische Auseinandersetzung mit dem — in der Regel undifferenziert betrachteten — Neoliberalismus bedeutet oder ob es nicht richtig sei, selbst unter schwierigen Bedingungen wie engen institutionellen oder finanziellen Handlungsspielräumen zu versuchen, durch Regierungsbeteiligung Verantwortung zu übernehmen und Alternativen anzubieten, um dem Eindruck der politischen Dominanz des — sich im Einzelnen wie auch immer gerierenden — Neoliberalismus entgegen zu treten.

Der Weg, den die „Neue Vereinte Linke” als Partei nehmen wird, ist politisch wie programmatisch offen. Wird Oskar Lafontaine das als die Chance zu einer (Wieder-?) Gründung einer linken sozialdemokratischen Partei nutzen und dabei auf die Unterstützung der Gewerkschaften hoffen, die das politische Gewicht der PDS als zu gering betrachtet haben, nun jedoch zugreifen könnten, und sei es nur, um Druck von links auf die SPD auszuüben? Das war ein stetes Ziel der dabei erfolglosen PDS, die am Ende ihrer postsozialistischen Entwicklung die Chance sieht, das darin eingeschlossene Erbe durch eine Bluttransfusion loswerden zu können. Ihre demographische wie politische Perspektive legt das nahe, die politische Sozialisation mancher Funktionäre nicht immer. Die pragmatische, d, h, an den Möglichkeiten orientierte Politik in Regierungsbeteiligungen könnte sich als vorteilhaft erweisen, wenn es bei einer Konstellation im deutschen Parteiensystem bliebe, die eine Koalitionsbildung aus drei Parteien zur Regel und nicht zur Ausnahme werden lässt.

Die programmatische Richtung der neuen Linkspartei soll in Foren, die den Parteibildungsprozess begleiten, gefunden und konturiert werden. Akteure aus beiden Partei-en werden versuchen, Verbündete bei der anderen Seite zu finden. Was dann als links definiert und die „Neue Vereinte Linke” als eine moderne sozialistische Partei aus-zeichnen wird, muss abgewartet werden.

Das Programm der PDS kann, soweit es die Reformdiskussion der 1990er Jahre widerspiegelt, das insgesamt ebenso wenig vorgeben wie dogmatische Positionen, die verbindlich definieren wollen, was Links oder was Sozialismus ist. Eine linke Partei, die sich nicht auf eine prinzipielle Gegnerschaft zum Liberalismus reduziert, kann eine Chance haben, wenn unter anderem ihr politisches Handeln an sozialer Gerechtigkeit und gesamtwirtschaftlicher Vernunft orientiert ist, die Würde des Menschen und seine Rechte bewahrt und die Entwicklung der Demokratie fördert.

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