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Schirm­herr­schaft und Grußwort

Über zwei Kuriositäten der politischen Kultur

aus: Vorgänge Nr. 171/172 ( Heft 3-4/2005), S. 270-272

Zu den bemerkenswerten Absonderlichkeiten der Politik gehören die Schirmherrschaft und das Grußwort. Beide Institutionen haben sich im öffentlichen Leben festgesetzt und werden wie selbstverständlich akzeptiert. Bei genauerer Betrachtung jedoch sagen sie aber auch einiges über unsere politische Kultur aus. Des-halb verdienen sie eine genauere Analyse.

Die Schirmherrschaft gibt es, vereinfacht gesprochen, in zwei Formen. Schirmherrschaft I ist aktiv und mitgestaltend; zeitliches Engagement ist gefragt und wird erwartet. Diese Art von Schirmherrschaft ist eine Form ehren-amtlicher Unterstützung eines guten Zwecks, einer gemeinnützigen privaten Initiative. Sie ist häufig dort anzutreffen, wo Politik nicht die Hauptsache ist, etwa bei der Frau des Bundespräsidenten, die für eine Reihe von guten Zwecken die Schirmherrschaft übernommen hat. Eine prima Sache, alles in allem. Schirmherrschaft II ist passiv und erfordert von Seiten der Schirmherrschaft keine weitere Initiative. Die Aktivität beschränkt sich auf eine Art ideelle Mitträgerschaft. So werden beispielsweise Konzerte, Festveranstaltungen, Festumzüge und anderes mehr mit der Tatsache beworben, dass sie unter der Schirmherrschaft eines Ministers, eines Stadtoberhauptes Zeitgeist oder sonst einer wichtigen politischen Person stehen. Nehmen wir das Beispiel eines Konzerts. Wenn ein Konzert unter der Schirmherrschaft, sagen wir, des Ministerpräsidenten steht, bedeutet das denn, dass der Ministerpräsident auch das Konzert besucht? Nein, heißt es nicht. Der Ministerpräsident hat lediglich seinen Namen zur Verfügung gestellt, mehr nicht. Er hat damit keine Zusage über sein Kommen gegeben. Wahrscheinlich war es noch nicht einmal er selbst, der die Schirmherrschaft zugesagt hat, sondern sein Büro. So mancher Schirmherr soll schon davon überrascht worden sein, welchen Veranstaltungen er als ideeller Mitträger verpflichtet ist.

Warum wird man Schirmherr? Darauf gibt es zwei Antworten. Die zynische Antwort lautet: Weil dies kostenlose Werbung ist durch Identifikation mit einer guten Sache (z.B. einem Konzert). Das kann den Wahlchancen sicherlich nicht abträglich sein, zumal ja auch die gute Sache signalisiert, dass der Politiker sich dafür einsetzt. Die freundliche Antwort lautet: Weil man mit seinem Namen einem besonderen gemeinnützigen Zweck helfen will. Das kann (vorausgesetzt, der Politiker verfügt über eine einigermaßen gute Reputation) dem Zweck nur zuträglich sein. Im Regelfall ist es eine Mischung aus beiden Beweggründen.

Spannender ist aber die Frage: Warum sucht sich eine Veranstaltung einen Schirmherrn? Böse Zungen könnten behaupten: Um sich eines Qualitätssiegels zu versichern. Wenn z.B, der Oberbürgermeister eine Veranstaltung durch eine Schirmherrschaft unter-stützt, muss sie ja gut sein. Der Name wird also zu Werbezwecken eingesetzt; er garantiert Qualität. Mehr steht in der Regel bei einer Schirmherrschaft II nicht zu erwarten. Denn eine materielle Unterstützung scheidet in der Regel aus, ebenso eine tätige Mithilfe oder eine sonstige Inanspruchnahme. Der Schirmherr muss gar nicht wissen, ob die Veranstaltung wirklich hohen Standards genügt; er wird es in der Regel auch nicht wissen können. Aber die Verbindung seines Namens mit der Veranstaltung weckt Qualitätserwartungen.

Warum aber gerade ein Politiker, warum nicht (was doch nahe liegen würde) ein berühmter Sänger oder Sportler? Die könnten doch zum einen eine solche Veranstaltung eher beurteilen (wenn es um Musik oder Sport geht), und vielleicht auch noch den einen oder anderen Euro dazu beisteuern? Die Namen von Sängern oder Sportlern könnten aber kommerzielle Interessen signalisieren. Politiker hingegen gelten als Repräsentanten des Gemeinwohls. Der Politiker als Schirmherr adelt die Veranstaltung als eine gemeinnützige. Damit erhöht er gleichzeitig die Veranstalter. Er hat von ihnen und der Veranstaltung Kenntnis genommen – auch wenn dies, wie wir oben gesehen haben, häufig ein Trngschlussist.Ein wenig erinnert das Ritual an Zeiten, in denen es in Deutschland noch Kaiser, Könige und sonstige adeligen Herrschaften gab. Es ist ja auch kein Zufall, dass monarchische Würdenträger in demokratischen Staaten einen großen Teil ihrer Zeit mit Schirmherrschaften aller Art verbringen – und zwar der Formen 1 und II. Und ein wenig beklommen fragt man sich, ob das Instrument der Schirmherrschaft(zumindest in Variante II) eben nicht ein Relikt aus alter Zeit ist: wo es um Ehre ging und um huldvolle Anerkennung, allerdings bei grundsätzlicher Wahrung der Distanz von Adel und Bürger. Schirmherrschaften sind keine Beziehungen in einer entwickelten Zivilgesellschaft; sie machen den Statusunterschied von Bürger und Repräsentant deutlich. Sie mögen zwar die Sache herausstreichen, aber unterstreichen dabei vor allem eines: die vorgebliche Wichtigkeit des Schirmherrn. Dieser erhöht sich, indem er die Sache – beschirmt.

Vom Schirmherrn zum Grußaugust

Eng verwandt mit der Schirmherrschaft ist das Grußwort. Auch das Grußwort kommt in zwei Varianten. Schriftlich findet man es an den erstaunlichsten Plätzen (z.B. in einem Branchentelefonbuch), aber auch an Orten, wo es schlicht deplaziert ist. Das Grußwort (oder „Geleitwort”) eines demokratisch gewählten Repräsentanten etwa in einer wissenschaftlichen Abhandlung wirkt nicht weniger peinlich wenn man weiß, dass die entsprechende Publikation von der Stadt, dem Land oder dem Bund bezahlt worden ist. Zumal ja auch klar ist, dass das Grußwort in der Regel eben nicht von dem Grüßenden selbst geschrieben wurde. Dafür gibt es Assistenten, Referenten, oder eben notfalls den Buchautor, der z.B, dem Landrat dann ein Geleitwort vorformulieren darf.

Wirklich erstaunlich ist aber das gesprochene Grußwort. Manchmal kann es die Funktion haben, einen Gast zu ehren. So ist es gute Sitte, bei Parteitagen Repräsentanten ausländischer befreundeter Parteien dadurch zu ehren, dass man ihnen das Podium für ein (kurzes) Grußwort überlässt. Das ist nicht nur höflich, sondern dient auch der Völkerverständigung. Häufig aber hat das Grußwort nur eine Funktion: Es signalisiert, dass der betreffende Politiker anwesend ist. Dürfte er kein Grußwort sprechen, er wäre vielleicht gar nicht gekommen. Politik lebt vom gesprochenen Wort, und der Politiker allemal. Dabei kommt es nicht darauf an was gesagt wird, sondern dass etwas gesagt wurde. In aller Regel sind Grußworte inhaltlich nichts sagend. Der Zuhörer weiß dies und kann sich darauf einstellen. Folgt dem Grußwort (oder, wenn es dicke kommt, den Grußworten) ein inhaltlich ansprechender Vortrag, kann der Zuhörer sich an leichter Kost einhören. Folgt eine gesellige Veranstaltung, kann man sich schon einmal an der Biertheke anstellen.

Eine Sonderform des Grußworts sind die Begrüßungen. Peinlich genau wird darauf geachtet, dass etwa ein Bürgermeister bei der Eröffnung eines Festes die anwesenden Abgeordneten öffentlich begrüßt, oder zumindest pars pro toto einen für die jeweilige Partei. Auch wenn man sich zwei Stunden später bei der Eröffnung eines neuen Altenheims sieht, das Ritual ist das gleiche. Der Volksvertreterwill wahrgenommen werden, wenn er denn schon kein Grußwort sprechen kann. Begrüßungen sind also Formen der Grußwortvermeidung. Und das ist auch schon das einzig positive, was dazu zu vermerken ist.

Schirmherrschaften, Begrüßungen, Grußworte: sie alle machen eine Differenz zwischen Bürgern und gewählten Repräsentanten deutlich. Sie sind eine Form der Erhöhung, der Markierung von Differenz. Sie sind aber auch eine Form der Banalisierung des Politischen. Je mehr auf dem leeren Ritual insistiert wird, desto stärker wird der Verdacht, dass die Würde des Politischen nicht mehr inhaltlich, sondern nur noch formal begründet werden kann. In einer modernen Demokratie haben Schirmherrschaften nichts verloren; sie sind Relikte einer paternalistischen Politikauffassung. Und was die Grußworte angeht, gilt doch sehr häufig der Satz: Si tacuisses…

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