Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 171/172: Die Zukunft der Linken

"Tabubruch" und rassis­ti­sches Vorurteil

Zwei Bücher über Antisemitismus in der Gegenwart. In: vorgänge Nr. 171/172 (Heft 3-4/2005), S. 227-229

Sechzig Jahre nach Kriegsende und der Befreiung von Auschwitz, im ersten Halbjahr 2005, zeigten sich die politischen und kulturellen Eliten der Bundesrepublikweitgehend einig in der Sanktionierung antisemitischer Ideologeme. Deren öffentlichkeitswirksame Artikulation blieb in jenem politisch hochsensiblen Gedenk-Zeitraum im wesentlichen auf die NPD und ihr Umfeld beschränkt. Aufgeschreckt durch den von der NPD provozierten ,Bomben-Holocaust`-Eklat im sächsischen Landtag am 21. Januar 2005, verhinderten gesetzgeberische Maßnahmen und zivilgesellschaftliche Akteure einen für den B. Mai angekündigten Aufmarsch am zentralen Holocaust-Mahnmal in Berlin.

Aus dieser situativen Einigkeit gegen die NPD und deren aggressiven Versuch der Schuldabwehr allerdings zu folgern, Antisemitismus sei in der Deutschland nur noch in der extremen Rechten, nicht aber im politischen Mainstream auffindbar, würde nicht nur die anhaltende Präsenz antisemitischer Vorurteilsstrukturen, sondern auch die Ambivalenzen je nationaler politischer Kulturen in der Gegenwart verkennen. Der Berliner Politikwissenschaftler Lars Rensmann zeichnet detailliert nach, in welchen manifesten wie latenten Formen antijüdische Stereotype hierzulande seit der Wiedervereinigung auftreten — u.a. auch in der Debatte zur Errichtung eines zentralen Denkmals für die ermordeten Judep Europas.

Lars Rensmann: Demokratie und Judenbild. Antisemitismus in der politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland, VS Verlag: Wiesbaden 2004, 540 S., ISBN 3-531-14006-X; 44,90 Euro

Aufgrund der weitgehenden Diskreditierung eines manifesten Antisemitismus in der bundesdeutschen politischen Kultur richtet Rensmann ein besonderes Augenmerk auf die zeitgenössischen Möglichkeitsbedingungen und Gelegenheitsstrukturen judenfeindlicher politischer Mobilisierungen. Zu diesem Zweck entfaltet der Autor im ersten Schritt einen avancierten theoretischen Rahmen, der es ermöglicht, die im Zentrum der Studie stehen-den empirischen Fälle mit der gebotenen Tiefenschärfe zu analysieren. Rensmann rückt dabei nicht nur die, zumeist am rechten Rand des politischen Feldes stehenden, ,Anbieter` antisemitischer Deutungen ins Blickfeld, sondern auch die Reaktionsweisen der etablierten Parteien und staatlichen Institutionen. Er bezieht die Strukturen und Dynamiken politischer Diskurse in den Medien ebenso mit ein wie die „mentalitätsgeschichtlichen Reservoirs” von Antisemitismus auf Seiten der Rezipienten. Zudem vermittelt er die Attraktivität antijüdischer Diskursivierungen mit den Auswirkungen sozioökonomischer bzw. -kultureller Transformationsprozesse.

Auf dieser theoretischen Basis, in der Parteien- und Einstellungsforschung mit Politischer Psychologie und Kritischer Theorie vermittelt werden, fragt Rensmann, „wie Juden/Judenbilder in der politischen Öffentlichkeit und in politischen Kommunikationsprozessen repräsentiert werden, welche symbolischen Ordnungen und kollektiven/nationalen Selbstbilder dabei konstruiert und bearbeitet werden, und wie sich jene Bilder im Kontext ideologischer Begründungsmuster, diskursiver Opportunitätsgrenzen und gesellschaftlicher Vorurteilsbereitschaften im politischen und kommunikativen Prozess verschieben oder transformieren” (19). Neben einer Analyse antisemitischer Mobilisierungen in der extremen Rechten und der  anteimperialistischen Linken, die gerade hinsichtlich ihrer Globalisierungs- sowie ihrer Israelkritik weitgehende Übereinstimmungen aufweisen, konzentriert sich Rensmann insbesondere auf die Rekonstruktion der großen öffentlichen Konflikte: die Diskussion um die Studie von Daniel Goldhagen, die Kontroversen um Martin Wal sec, die Debatten über das Holocaust-Mahnmal und die Zwangsarbeiter-Entschädigung sowie die Möllemann-Affäre im FDP-Bundestagswahlkampf 2002.

Vorallem in der Rekonstruktion der öffentlichen Konfliktverläufe vermag Rensmann herauszuarbeiten, in welchen Formen sich nach 1990 die Opportunitätsstrukturen für den in Deutschland besonders relevanten ,sekundären` – die Erinnerung an den Holocaust abwehrenden – Antisemitismus verschoben haben. Rensmann konstatiert, die Thematisierung der NS-Vergangenheit habe einerseits zwar stetig zugenommen und die politische Verdrängung des Geschehenen weitgehendabgelöst, zugleich aber habe auch die Proklamation ,selbstbewusster` nationaler Identität und Souveränität an Bedeutung gewonnen, nicht selten innerhalb vergangenheitspolitischer Diskurse. Antisemitische Mobilisierungsversuche, die in Deutschland nach 1945 immer in einem unauflösbaren Zusammenhang zur NS-Vergangenheit stehen, können dabei immer auch auf politisch-kulturelle Ressourcen an unbewussten Vorurteilen und autoritär-ethnozentristischen Orientierungen zurückgreifen, und dies – wie Einstellungsuntersuchungen zeigen – in einem keineswegs geringer werdenden Ausmaß. Zugleich aber stoßen solche Deutungsangebote in einer Demokratie auf politische, juristische und kulturelle Grenzen. Nicht zuletzt deshalb treten Antisemitismen häufig in codierter Form auf oder werden als Bruch mit vermeintlichen Tabus inszeniert. „Der sekundäre Antisemitismus adaptiert und reproduziert – vielfach unbewusst – mit dem Motiv, die Geschichte der NS-Verbrechen bagatellisieren oder ,normalisieren` zu wollen, in spezifischer Weise tradierte antijüdische Klischees und Projektionen (etwa von ,jüdischer Rachsucht‘ und ,jüdischer Geldgier‘) gegenüber den Opfern und ihren Nachkommen” (498), während die öffentliche Skandalisierungsbereitschaft zugleich abnehme und die Problematisierung des Antisemitismus in der Frühphase politisch-kultureller Auseinandersetzungen den Juden selbst überlassen bleibe. Das schafft wiederum den Raum, Antisemitismus-Vorwürfe als die Vergangenheit ,instrumentalisierende` Interventionen zu diskreditieren.

Rensmanns Studie vermag vor allem durch die detaillierte und überaus materialreiche Analyse zentraler öffentlicher Kontroversen zum Antisemitismus zu überzeugen, auch wenn diese – da der Autor Rekonstruktion und Interpretation in der Darstellung der Debatten nur noch selten trennt  bisweilen ein wenig polemisch ausfallen mögen. Auch die fundierte theoretische Einbettung verdient breite Beachtung, liefert sie doch zahlreiche Anschlussmöglichkeiten für weitere empirische Untersuchungen zum Antisemitismus, aber auch zu Rassismus und Rechtsextremismus.

Wenn sich, wie Rensmann herausarbeitet, die Opportunitätsstrukturen für antisemitische Mobilisierungen verbessern, wirft dies immer auch die Frage nach politischen Interventionsmöglichkeiten auf, gerade in Deutschland. Wissenschaftliche Studien können zwar ,potentiell` eine politische Relevanz für sich beanspruchen, eingelöst wird diese aber nur selten, da auch die Rezeption solcher Arbeiten in der Regel eine rein innerwissenschaftliche Angelegenheit bleibt. Auf der anderen Seite mangelt es Problemdarstellungen, die sich an ein breiteres, nicht auf akademische Interessenlagen fokussiertes Publikum richten, häufig an analytischem Tiefgang. Einen vielversprechenden Mittelweg wählt der vom Giessener Politikwissenschaftler Samuel Salzborn herausgegebene Band

Samuel Salzborn (Hg.): Antisemitismus – Geschichte und Gegenwart, Netzwerk für politische Bildung, Kultur und Kommunikation: Gießen 2004, 158 S., ISBN 3-00-012714-3; 10 Euro

Insgesamt sechs, relativ kurz gehaltene Beiträge widmen sich jeweils Einzelaspekten des antisemitischen Syndromkomplexes. Die spezifische Stärke der meisten dieser Aufsätze besteht in ihrer Prägnanz, ihrer Fokussierung auf zentrale Aspekte des jeweils behandelten Teilphänomens, unter Beibehaltung eines Argumentationsstils, der auch für solche Leserinnen und Leser nachvollziehbar bleibt, die sich nicht bereits eingehend mit der Antisemitismusforschung beschäftigt haben. So liefert etwa Wolfgang Benz eine präzise Einführung in Struktur und Geschichte des Antisemitismus, vom seit dem Mittelalter virulenten christlichen Antijudaismus bis hin zum Post-Holocaust-Antisemitismus, Werner Bergmann stellt die Entwicklung des Antisemitismus in West- und Ostdeutschland nach 1945 dar und kommt dabei bezüglich der jüngeren Entwicklungstendenzen zu insgesamt etwas positiveren Einschätzungen als etwa Lars Rens-mann. Besondere Beachtung verdient der den Band abschließende Beitrag von Thomas Haury, der sich dem Problem des antisemitischen Antizionismus von links widmet. Der als ,Tabubruch` verkleideten Israel-Kritik und dem seit einigen Jahren selbst bei ehemaligen Spitzenpolitikern wie Jürgen Möllemann oder Norbert Blüm anzutreffenden Gestus eines „Das wird man doch wohl noch sagen dürfen…” stellt Haury eine Genealogie der in der Linken verbreiteten antizionistischen Deutungsmuster entgegen. Deren antisemitische Gestalt deutet sich schon bei der Kommunistischen Internationale der 1930er Jahre an, verwirklicht sich vollends aber erst nach 1945, im Realsozialismus und bei den westdeutschen ,Anti-Imps`. Virulent ist die Entlastung deutscher Verbrechen durch die Gleichsetzung Israels mit dem deutschen Faschismus bis heute, etwa in Periodika wie der Jungen Welt oder Gruppierungen wie Linksruck. Doch dieser Argumentationsgang ist mittlerweile auch von der extremen Rechten adaptiert worden. In deren Publikationen findet man heute nicht nur Parolen wie „Internationale Solidarität im Kampf der Palästinenser gegen den Zionismus”: selbst das Tragen des Palästinensertuchs ist dort mittlerweile en vogue.

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